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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

und sie dem Vetter ein kleines altes Gebetbüchlein triumphierend entgegen geschwungen – da hatte er förmlich aufgeatmet. Sie war immer nett gewesen.

„Papa,“ unterbrach ihn Elika in seinen Betrachtungen, „und was war denn da?“ Sie zeigte auf den dritten leeren Platz.

„Da war die Kuh, die Schekovska.“

„Schekovska hat sie geheißen?“

„Tante Luise hat sie so genannt.“

„Und warum hat Tante Luise sie so genannt? War sie vielleicht ein Scheck?“

Er lächelte: „Nein, braun war sie.“

„Und warum steht heute keine Schekovska da?“

„Schau hinauf. Es würde ihr ja auf den Kopf regnen.“

„Du mußt das zumachen lassen, Papa,“ entschied Elika. „Du mußt das ganz schön machen lassen und dann mußt du eine Kuh herschicken. Joseph sagt, die Tante Luise hat keine einzige Kuh, und wir haben so viele. Wieviele haben wir?“

So gut er konnte, gab er Rechenschaft. Im Gespräch mit ihr war er nicht zerstreut, alles, was sie sprach, gefiel ihm, interessierte ihn. Apollonia hatte recht, zu behaupten, im Geistigen sei ihm Elika „absolut“ ähnlich, keiner seiner Söhne gleiche ihm so sehr wie sie.

Kosel dachte darüber nach, wie leid ihm sein würde, wenn er sein kleines, geistiges Ebenbild nicht mehr um sich haben könnte. In der weichen Stimmung, die ihn ergriffen hatte, versprach er seiner Tochter alles, was sie wollte. Ja, der Stall wird neu aufgebaut und eine Kuh wird hinein gestellt und Elika darf dann der Tante sagen: „Das schenk ich dir.“ So wünschte sie’s und so sollte es sein; alles so wie seine kleine kluge Tochter es wünschte.

„Ja, wenn es dich freut,“ sagte er immer.

O, es freute sie! Erbauerin eines Stalles und Spenderin einer Kuh sein, das ist doch was! Aber sie ließ nicht allzuviel von ihrer Freude zum Durchbruch kommen, sie hatte eine bestimmte Ahnung von der Macht, die sie als arme Kleine besaß.

Luise mußte eine Zeit lang den untern Teil des Gartens meiden, durfte nichts hören und nichts sehen bis zu der Stunde, in der sie eingeladen wurde, eine wiedererstandene alte Bekannte begrüßen zu gehen.

Ganz Velice hatte sich zur Ueberraschungsfeier in Vrobek eingefunden. Vor dem restaurierten Höfchen standen Kosel und die beiden Tanten, Apollonia, die unerhört Konservierte, prangte neben ihnen in der Farbe der Rose ohne ihre Vergänglichkeit. Etwas abseits hielt sich – ein Bild stillen Glückes – das Ehepaar Heideschmied. Er, würdig und stolz, sie fein, freundlich und voll Anmut noch im Alter. Wenn er zu ihr niederblickte, schimmerte helle Wonne durch das Grau seines Teints, und er hatte etwas vom verschleierten Mond. Joseph war ins Haus gelaufen, um Luise abzuholen, und als sie kamen, legte Leopold eben einen Kranz um die Hörner der neuen Schekovska, die aber diese Zierde lieber in ihrem Magen beherbergt hätte. Franz war auf das Dach geklettert, saß rittlings auf dem Firste und krähte wie ein Hahn.

Elika stand an der offenen Stallthür im weißen Kleide, das Köpfchen zur Seite geneigt, und ihre sanfte Duldermiene schien zu sagen: Wem du diese Freude verdankst, mußt du durch andre erfahren, ich bin zu bescheiden, ich verrat’ es nicht.

(Fortsetzung folgt.)




Die Wiederbelebung der Kunsthandweberei in Nordschleswig.


Wir sehen heute auf den verschiedensten kunstgewerblichen Gebieten eine bewußte Rückkehr zu früheren, scheinbar durch die Maschinentechnik längst überflügelten Handfertigkeiten. Es hat sich eben immer deutlicher herausgestellt, was die Maschine nicht hervorbringen kann: nämlich den eigentümlichen Reiz, weichen nur die feinfühlige Menschenhand ihrem Werke verleiht. So kommt diese heute zu neuen Ehren, und ihre Schnitzereien, Metallarbeiten, Töpferwaren etc. erzielen befriedigende, oft sogar hohe Preise, weil sie eben die Besonderheit des Kunstwerks an sich tragen und hoch über dem bloßen Maschinenfabrikat stehen.

Es ist sehr erfreulich, daß in jüngster Zeit auch die Handweberei, diese ursprünglichste und älteste Frauenbeschäftigung, deren letzte Ueberbleibsel in den schwedischen und norwegischen Thalwinkeln ein stilles Dasein führten, zu neuem Leben erweckt wird. Noch finden sicb dort die uralten Muster: einfache Rechtecke der verschiedensten Anordnung und Versetzung, sonderbar altertümliche Blumen-, Vogel- und Menschengestalten, ernsthafte, tieftönige Gebilde, wie sie die altnordische Frau zum Schmuck der Halle, zu Sitzkissen und Decken für die heimkehrenden Krieger anfertigte. Auch die nordischen Klöster des Mittelalters pflegten die überlieferte Webekunst, hier entstanden gobelinartige Wandteppiche mit Bildern aus der Heiligen Schrift und die kostbaren, mit selbstgefertigten Klöppelspitzen besetzten Altardecken, die sich heute hier und da als Schatzstücke in unsern Museen finden.

Noch im vorigen Jahrhundert, wo es bereits mit dieser Art mühseliger Technik stark abwärts ging, weil Stramin-, Filet- und Häkelarbeit die Frauen angenehmer beschäftigte, gab es trotzdem in Norwegen und Schleswig-Holstein noch einzelne Künstlerinnen im Bildweben, deren Teppiche mit Darstellungen der Hochzeit zu Kana und andern biblischen Scenen sehr gesucht waren. In neuerer Zeit dagegen beschäftigte sich die auf dem Lande stets in Uebung gebliebene Handweberei vorzugsweise mit der Herstellung einfacher Gegenstände zum täglichen Gebrauch. Die Kunstweberei verschwand mit der Klöppelei, und ebenso ging es den schönen alten Decken von Mutter und Großmutter in den Bauernhäusern, sie wurden von Händlern aufgekauft und von Sammlern in aller Welt erworben.

Aber gerade dies war das Mittel, die Welt draußen auf den Schatz von köstlichen alten Mustern aufmerksam zu machen, deren Wiedergewinnung für das moderne Kunstgewerbe ja nur eine Frage des Entschlusses zu sein brauchte. Es gereicht den Norwegern zu großer Ehre, daß sie diesen Entschluß mit kräftiger Energie alsbald zur That machten und die erste Webschule zur Wiederaufnahme ihrer altnordischen Kunst errichteten. Fräulein Hanson in Christiania ist die verdiente Vorsteherin dieser ersten Anstalt, die beute nach mehrjährigem Bestehen schon Schülerinnen überallhin aussendet und mit ihren Leistungen auf der Ausstellung in Malmö im Jahre 1896 die verdiente große Anerkennung fand.

Dem Beispiel von Norwegen ist zuerst Schleswig gefolgt, wo Pastor Jacobsen in Scherrebek eifrig für Gründung einer solchen Schule wirkte. In weiteren Kreisen der Provinz fand er lebhaftes Interesse für seinen Plan, und Herren aus Hamburg, Meldorf, Kiel u. a. O. gründeten in Scherrebek eine Schule für Kunsthandweberei. Hiermit ist eine neue Erwerbsart für Frauen auf den deutschen Reichsboden verpflanzt, wo die häusliche Handweberei freilich in alten Zeiten ebenso heimisch war wie in dem konservativeren Norwegen. Die Sache entwickelte sich bald in erfreulichster Weise. Eine der befähigtsten Schülerinnen des obengenannten Fräulein Hanson wurde als Lehrerin gewonnen, man verschrieb einen Webstuhl aus Norwegen und ließ nach diesem Muster weitere in Scherrebek anfertigen. Der Maler Otto Eckmann in München, jetzt Professor an der Berliner Kunstgewerbeschule, sagte seinen Beistand zu und lieferte bald mehrere sehr schöne Muster.

Am 18. Februar 1896 fand die feierliche Eröffnung der Schule statt, zu welcher Gelegenheit die leitenden Damen eine kleine Ausstellung von Erzeugnissen der Kunsthandweberei veranstaltet hatten, deren altschleswigsche und altnorwegische Muster das lebhafteste Interesse aller Betrachter erregten. Vor allem bewundert wurde ein Beiderwand[1]-Gewebe, aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts herrührend, welches den Einzug Christi in Jerusalem darstellte und aus der Gegend bei Barsö im Nordschleswigschen stammt. Ein Kursus dauert gewöhnlich vier Wochen, kann aber bei besonderer Handfertigkeit der Schülerin sich auf drei Wochen verkürzen. Das Honorar beträgt 40 Mark. Der Webstuhl, kein unförmiges, großes Möbel, der vielmehr leicht beiseite gestellt werden kann, kostet 35 Mark. In der Schule sind natürlich solche Stühle genug vorhanden. Der Webstuhl unterscheidet sich von den gewöhnlichen besonders dadurch, daß er sich nicht in der Horizontalen ausbreitet, sondern in der Senkrechten. Die Kettenfäden sind aus starker Baumwolle, als Einschlag dient sehr weiches, aus Lammwolle hergestelltes Garn, das mit Pflanzenfarben gefärbt ist und wundervoll starke, tiefe Töne zeigt. Diese Färbung ist vorzüglich haltbar, sie bleicht niemals; es mußte daher das gesamte Material an solcher Wolle bisher aus Norwegen bezogen werden, da man in Deutschland diese Färberei nicht kannte. Neuerdings nun werden in Scherrebek Versuche gemacht, die Farben herzustellen, die zu guten Resultaten geführt haben, so daß eine eigene Färberei für die Webschule in Betrieb gesetzt ist.

Das Muster hängt oder liegt vor der Weberin. Diese schlägt danach Faden nach Faden ein, aber nicht mit einem Schiffchen, sondern mit der Hand. Sie spannt mit einer Hand so viele Fäden, als das Muster zeigt, und so weit zurück, daß sie ein Bündelchen Wolle durchreichen kann. Der Faden wird mit einer Gabel festgeschlagen. Das Bündelchen Wolle bleibt frei hängen. Die Arbeiterin ergreift ein anderes und bringt dessen Faden ebenso durch.

Es ist ersichtlich, daß die Arbeit langsam fortschreitet. Dieses, sowie die ziemlich hohen Kosten des Materials lassen die Preise der Webereien recht hoch erscheinen. Dafür aber sind die hergestellten, auf beiden Seiten gleichen Teppiche etc. so eigenartig wirkungsvoll und von so unbegrenzter Dauerhaftigkeit, daß sich ihre Anschaffung doch reichlich lohnt.

Die Arbeiten lassen sich herstellen in drei verschiedenen Arten: in Schicht-, Halbgobelin- und Gobelinweberei. Bei der Schichtweberei wird von unten auf an der ganzen Breite des Gewebes der Faden nach dem Muster eingeschlagen. Es wachsen so Untergrund und eingewebte Formen miteinander gleichmäßig Schicht um Schicht. Die Gegenstände

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0299.jpg&oldid=- (Version vom 2.12.2020)
  1. Beiderwand ist ein grober Stoff aus baumwollener Kette und streichwollenem Schuß. Das Gewebe ist noch heute unter dem Namen „Beiderwand“ in Holstein bekannt und wird besonders von Köchinnen gerne getragen.