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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

einen Veteranen der demokratischen Partei in der Paulskirche vor uns, als deren Führer erst Robert Blum und nach des letzteren tragischem Tode Karl Vogt wirkte. Ein warmblütiger Rheinländer, wurde Wesendonck, der beim Ausbruch der Märzbewegung in Düsseldorf Advokat war, vom Geiste derselben mächtig ergriffen. An dem Adressensturm der rheinischen Städte nach Berlin war er hervorragend beteiligt. Im Frankfurter Vorparlament nahm er, wie wir sahen, eine vermittelnde Stellung zwischen der radikalen Richtung Heckers und der konstitutionellen Majorität ein. Von Düsseldorf in die Nationalversammlung gewählt, vertrat er in der Linken neben dem feierlichen Pathos Blums, dem satirischen Witz Karl Vogts, dem leidenschaftlichen Feuer Ludwig Simons und Trützschlers thatkräftigem Ungestüm die ruhige Logik des geschulten Juristen. Mit beharrlicher Konsequenz wahrte er den Standpunkt, daß ein Vereinbaren mit den Fürsten das ganze Einheitswerk gefährden müsse, daß, unbeschadet des Fortbestands der konstitutionellen Monarchie in den Einzelstaaten, die Centralgewalt eine demokratische Form erhalten müsse und daß zur Durchführung dieser Aufgabe es absolut nötig sei, die Truppen auf die Centralgewalt und die Reichsverfassung zu vereidigen. Auch aus seiner Seele war Uhlands berühmtes Wort gesprochen: „Es wird kein Haupt über Deutschland leuchten, das nicht mit einem vollen Tropfen demokratischen Oeles gesalbt ist.“ Bei der Reichsverweserwahl stimmte Uhland in diesem Sinne für Gagern, während die Mehrzahl von Wesendoncks Freunden unter W. Jordans Führung ihre Stimme dem Ehrenhaupte der Linken, dem greisen Adam v. Itzstein, gaben. Uhland wünschte „einen Mann an der Spitze, der in der ganzen Größe bürgerlicher Einfachheit durch den Adel freierer Gesinnung auch die rohe Gewalt zu bändigen, die verwilderte Leidenschaft in die rechte Strömung zu lenken verstände“. In diesem Wunsche wurzelten die „republikanischen“ Hoffnungen der Idealisten in der Frankfurter „Linken“. Wesendonck, der heute 81 Jahre zählt, hat in diesen Tagen seinen Freunden eine litterarische Jubiläumsgabe, „Erinnerungen aus dem Jahr 1848“, überreicht. Die kleine Schrift ist in New York erschienen, wo ihr Verfasser 1860 die noch bestehende Germania-Lebensversicherung gründete, deren Berliner Zweiganstalt er gleichfalls ins Leben rief. Er spricht in jenen Blättern mit großer Liebe von seinen damaligen Mitkämpfern. Auch die Oberhauptfrage streift er darin. „Es war,“ sagt er, „von vornherein unmöglich – sobald die Republik ausgeschlossen war – einen anderen als einen preußischen Fürsten an die Spitze Deutschlands zu stellen.“

Der Partei, die diesen Gedanken in der Paulskirche zum Siege führte, der „Erbkaiserpartei“, gehören alle weiteren Veteranen an, die noch unter den Lebenden weilen. Es sind ihrer zehn, und unter ihnen befindet sich auch der Führer der Frankfurter Deputation, welche dem König in Berlin am 3. April 1849 die Kaiserkrone antrug, Eduard v. Simson, Gagerns Nachfolger als Präsident der Nationalversammlung.

Simson, dessen feiner Takt und würdevolles Wesen die Mission der Kaiserdeputierten trotz ihres Mißerfolges auf der vollen Höhe erhielt, hat noch oft im Leben Gelegenheit gehabt, diese Eigenschaften als Präsident zu entfalten, die ihm schon in der Paulskirche die Sympathien aller Parteien eintrugen. Als er von seiner Vaterstadt Königsberg ins Frankfurter Parlament gewählt wurde, war er dort Tribunalsrat und ein Professor der Rechtswissenschaft von Ruf. Der politischen Richtung, die er in der Paulskirche vertrat und die ihn zum Gesinnungsgenossen von Gagern und Dahlmann und zum Mitglied des rechten Centrums machte, ist der jetzt fast 88jährige allezeit treugeblieben. Im Unionsparlament zu Erfurt war er Präsident des Volkshauses. Nach dem Scheitern der Union stand er im preußischen Abgeordnetenhaus mit an der Spitze der Opposition. 1860 und 1861 war er Präsident dieser Kammer. In gleicher Würde sah ihn der konstituierende und der erste ordentliche Reichstag des Norddeutschen Bundes, und am 18. Dezember 1870 war es ihm, dem „Achtundvierziger“, vergönnt, die Adresse des Reichstages, welche dem siegreichen König Wilhelm die deutsche Kaiserwürde antrug, diesem in Versailles zu überreichen. Auch der erste deutsche Reichstag wählte Simson zum Präsidenten. Eine gleich glänzende Laufbahn war ihm auf dem Gebiete des praktischen Juristen beschieden. Nachdem er längere Zeit dem Appellationsgericht in Frankfurt a. O. vorgestanden hatte, wurde er 1879 bei Gründung des Deutschen Reichsgerichts in Leipzig an dessen Spitze berufen, in welcher Stellung er bis vor wenigen Jahren aufs segensreichste gewirkt hat.

Eine hervorragende Rolle fiel in der Paulskirche auch dem Leipziger Historiker Karl Biedermann zu. Auch er war ein Mitglied der Kaiserdeputation, auch ihm war das präsidiale Talent gleichsam angeboren. Daß er schon im Vormärz ein Bahnbrecher der Idee der preußischen Führung und ein Mitglied des „Vorparlaments“ war, haben wir in den vorausgehenden Aufsätzen berichtet. In dem wirklichen Parlament gehörte er zu den Mitgliedern des linken Centrums, die sich zu gunsten der Erbkaiseridee im „Augsburger Hof“ und im „Weidenbusch“ zusammenschlössen. Er hat in diesen Klubs wiederholt das Amt des Präsidenten bekleidet. Während der ganzen Dauer des Parlaments war er einer der Schriftführer, kurz vor seinem Austritt wurde er noch Vicepräsident der Versammlung. Im sächsischen Landtag bekämpfte er dann lebhaft die Reaktion; dem ersten deutschen Reichstag gehörte er auch an. Karl Biedermann, der seit 1838 Professor der Geschichte an der Universität Leipzig ist, in dieser Zeit auch immer ein eifriger Publizist war, ist recht eigentlich als der Historiker der Erbkaiserpartei zu bezeichnen. Im Geiste derselben schrieb er das Werk „Dreißig Jahre deutscher Geschichte 1840–70“ und noch andere gehaltvolle Bände. Auch die soeben erschienene interessante Jubiläumsschrift „Das erste Deutsche Parlament“ des fast 86jährigen Politikers ist von diesem Geiste getragen.

Wesentlich jünger ist sein Kollege Professor Rudolf Haym in Halle, der mit 26 Jahren in die Paulskirche eintrat. Zu Grünberg in Schlesien geboren, war er Privatgelehrter in Halle, als er für den Mansfelder Kreis nach Frankfurt gewählt ward. Sein noch während der Tagung entstandenes Werk „Die Deutsche Nationalversammlung“ zeigt ihn als begeisterten Anhänger Gagerns. Er wurde dann in Halle Professor für Philosophie und neuere deutsche Litteratur und war 1858 bis 1864 Redakteur der „Preußischen Jahrbücher“. Seine biographisch kritischen Werke über Wilhelm v. Humboldt, Hegel, Schopenhauer, die romantische Schule und Herder sind Schöpfungen eines geistvollen Mannes und bekämpfen jene mystische Romantik, deren höchster politischer Ausdruck Friedrich Wilhelm IV gewesen ist.

Von den weitschauenden Handelsherren des Rheinlands, die im ersten preußischen „Vereinigten Landtag“ für ein konstitutionelles Leben und die Durchführung des Zollvereins eintraten, ist der Kölner Mevissen noch am Leben. Als Mitgründer der „Rheinischen Zeitung“, als einen Teilnehmer an der Heppenheimer Versammlung haben wir ihn früher erwähnt. In der Paulskirche zählte er zum rechten Centrum; mit Mathy und Bassermann war er einer der Unterstaatssekretäre im Reichsministerium, und zwar an der Seite des Handelsministers Duckwitz. An dem großartigen Aufschwung, den das Rheinland auf industriellem Gebiete seit 1848 genommen, hatte Gustav v. Mevissen, der heute 83 Jahre zählt, einen namhaften Anteil.

In dem Reichsministerium für Handel saß auch Wilhelm Jordan, der Dichter. Seine erfolgreiche Thätigkeit als Sekretär des Marineausschusses im Parlament, welcher die Gründung einer ersten deutschen Flotte herbeiführte, trug ihm die Berufung in die Marineabteilung des Handelsministeriums ein. Wilhelm Jordan gehörte anfänglich zur Linken. In Königsberg, wo er studierte, hatte Jacoby stark auf ihn gewirkt. Als Mitglied der Schriftstellerkolonie Leipzigs war er mit Blum befreundet, und der Freisinn, der sich in seinen ersten Dichtungen kundgab, hatte seine Ausweisung aus Sachsen zur Folge. In der Paulskirche, wo er einen Berliner Wahlkreis vertrat, war er einer der glänzendsten Redner. Als er sich infolge seiner antipolnischen Rede in der Polendebatte mit der Linken entzweit hatte, wurde er in den Reihen des Centrums mit Freuden aufgenommen. In seinen epischen Dichtungen „Demiurgos“ und „Nibelunge“ sowie in seinen lyrischen Gedichten findet sich ein voller poetischer Nachhall jener Entschlüsse, die ihn, den liberalen Ostpreußen, zur Erbkaiserpartei damals trieben. Daß große Neugestaltungen in der Geschichte Männer der That fordern, und daß auch die Geschichte dem Gesetz organischer Entwicklung gehorcht, diese Erkenntnissätze wurden zu Leitsternen für sein poetisches Schaffen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0303.jpg&oldid=- (Version vom 2.12.2020)