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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

„Herrgott, ja, ich kenne mein Verbrechen nun schon auswendig, verschont mich doch, ich hab’s nun einmal gesagt und werde es vertreten,“ erklärt Edith, „ich habe keine Angst vor ihm!“

Aber sie bleibt doch, trotz ihrer Courage, in dem dunklen Zimmer ihrer Freundin und horcht auf den Pendelschlag der Turmuhr, horcht auf das Hasten im Hause und wartet auf den Hufschlag des Pferdes, das ihn zurückbringen soll, mit heimlichem starken Herzklopfen. Tante Tonette ist seufzend hinausgeschlichen und huscht gegen ihre sonstige Gewohnheit scheu, wie ein Gespenst, die Treppen hinunter, um notgedrungen etwas nach dem Rechten zu sehen. Alle Räume sind erfüllt von der drückenden Schwüle dieses sengenden Sommertages, dem keine Abkühlung gefolgt ist. Die Gärtner in dem hohen Saale sind ebenso erhitzt wie die Leute in der Küche und ebenso mißmutig, denn sie stehen ohne Anleitung umher. Und Tante Tonette ist völlig verwirrt, sie starrt bei den Fragen, die an sie gerichtet werden, geistesabwesend die Menschen an und giebt verkehrte Antworten.

Und eine Stunde nach der anderen verrinnt, das allzulaute Treiben ist verstummt, die Leute, bis auf Antons Diener, sind schlafen gegangen. Auch Tonette, unfähig, sich noch aufrecht zu halten, hat ihr Lager gesucht, es Gott und Ediths Klugheit überlassend, die Sache auszugleichen. Vom Turme schlägt es Elf.

„Gute Nacht,“ sagt Edith zu Ma, die getreulich mit ihr gewartet hat bis jetzt, „ich lege mich auch; je länger er sich draußen austobt, um so besser.“

Ma erhebt sich von der Chaiselongue; in der Dunkelheit sieht es aus, als erstehe die gespenstige weiße Frau plötzlich. „Di,“ sagt sie traurig, „du thust mir furchtbar leid, denn, siehst du, ich glaube –“

„Was glaubst du denn, Frau Weisheit?“

Das läßt sich kein Mann sagen, zumal von der Frau, die er so geliebt, so auf Händen getragen hat, oder – er ist ein jämmerlicher Mensch! Wie kannst du ihn je wieder achten, wenn er diesen Schlag erträgt, ohne zu zucken?“

„Du vergißt die Kinder, Ma, denke doch an Lothar und die Kleinen! Mach’ dir keine Sorgen; Lothars Mutter wird schon Absolution finden. Gute Nacht, Ma!“

„Schlaf wohl, Di, sei nachgiebig, Di, ich bitte dich! Und Di, spiele die Sache mit Edi auf mich hinüber, ich habe ihn sehen wollen – hörst du? Ich will es ja gern tragen, und Lattwitz kann ich ja die Wahrheit sagen.“

„Sehr freundlich, werd’s überlegen.“

Die Thüre fällt hinter Edith zu. Ein Weilchen bleibt sie vor der Kinderstube stehen und denkt nach. Soll sie Lothar mit hinunter nehmen, das Kind in den Armen, ihn erwarten? Das sähe doch zu gesucht aus, zu sehr, als habe sie dieses Hilfsmittel nötig; vorläufig will sie doch möglichst die Gekränkte spielen.

Sie schlüpft die Treppe hinunter, zieht sich in ihrer Stube ein weißes Batistnegligé an und huscht auf kleinen Pantoffeln in sein Zimmer hinüber, dort kauert sie sich in das Sofa auf das Bärenfell und wartet. Was sie ihm sagen will, weiß sie noch nicht, sie überläßt es dem Zufall; nur geängstigt hat sie sich natürlich über sein Ausbleiben, das soll als Einleitung dienen.

In Wahrheit ist ihr Mut gleich Null, in Wahrheit vergeht sie vor jämmerlicher Angst, denn sie fühlt: heute steht sie vor einem entscheidenden Punkt in ihrem Leben; sie fühlt: er kann ihr gar nicht verzeihen. Dann denkt sie sich einige Möglichkeiten aus, wie sich die Sache vielleicht entwickeln wird. Zweifellos wird er rasen, wenn er sie sieht. Sie schüttelt sich bei dem Gedanken an seinen Zorn, sie hat ihn einmal so gesehen, als er sich an dem Reitknechte vergriff, thätlich vergriff, als dieser, zum Arzte für den erkrankten Lothar geschickt, in aller Gemütlichkeit und in der Meinung, es sei nicht so schlimm, bei seiner alten Mutter in Dobberau eingekehrt war. Deutlich sieht sie wieder, wie Anton auf den Menschen losstürzt, ihn schüttelt und dann zur Thür hinausschleudert, sieht die blaue Ader auf seiner Stirn und – ihre Zähne schlagen hörbar zusammen.

Aber, um Gottes willen, an ihr wird er sich doch nicht vergreifen, an der Mutter seiner Kinder! Ach nein, weit eher glaubt sie: er wird den Tiefgekränkten herauskehren, er wird wochenlang kaum mit ihr reden, viel ausgehen, wie schon einmal, und dann wird es ihre Sache sein, ihn mit Nachgiebigkeit und Demut, mit sehr viel Liebenswürdigkeit zu überzeugen, daß es doch gar nicht so übel ist, Edith von Ebradts Gatte zu sein, wenn sie auch – na, und außerdem muß sie eben sagen, wie sehr sie gereizt war, wie angegriffen von der enormen Hitze.

Viertelstunde auf Viertelstunde verrinnt, die Uhr auf dem Schreibtisch schlägt Zwölf. Edith fröstelt, sie hat nichts gegessen, seit Mittag, und die innere Angst schüttelt sie förmlich. Sie steht langsam auf, wie Blei liegt es in ihren Gliedern, als sie ein paar Schritte thut, dann richtet sie ihre Augen mit einem Ausdruck des Entsetzens zum Fenster – jetzt kommt er, das Trappeln des Pferdes schallt herein, er hält vor der Freitreppe an. Sie hört, wie er nach dem Diener ruft, wie er befiehlt, das Tier sorgfältig abzureiben, und dann die Tritte auf den steinernen Stufen, im Hause – nun steht er im Zimmer.

Die Lampe ist am Erlöschen, aber ihr schwaches Licht zeigt dennoch deutlich Ediths Gesicht, das ein ihre Unruhe schlecht verbergendes Lächeln förmlich verzerrt. Ihre Gesichtsfarbe ist fahl wie die eines Toten.

„Du hier?“ fragt er müde und gleichgültig, die Reitpeitsche und den Hut auf den Tisch werfend.

Sie geht mit ausgestreckter Hand auf ihn zu, will irgend etwas sagen von ihrer Angst um ihn, aber sie läßt den Arm sinken. Er steht am Schreibtisch, die Hände in den Hosentaschen, und streift sie mit eisigen Blicken. „Wozu denn das?“ fragt er.

Sie wendet kurz um und geht zur Thür. „Dann nicht,“ sagt sie, „Gute Nacht!“

„Gute Nacht!“ klingt es ruhig zurück.

Sie dreht sich wieder hastig zu ihm. „Willst du morgen auch den Schmollpeter spielen? Das dürfte ja sehr interessant werden für unsere Gäste.“

„Doch nicht, das wird nicht nötig sein.“ Er greift nach dem Etui und zündet sich eine Cigarre an.

„Was soll das heißen?“ fragt sie, die diese absichtlich betonte Ruhe völlig aus der Fassung bringt.

„Daß ich sämtlichen Gästen, mit Ausnahme des Geistlichen, abtelegraphiert habe vorhin.“

„Bist du toll? Das hättest du gew – – ?“ stößt sie atemlos hervor.

„Ja, das habe ich gewagt, um dir die Mühe zu sparen, vor einem größeren Publikum noch einmal Komödie spielen zu müssen.“

Edith zittert so, daß sie sich auf den Tisch stützen muß. Aus dem fügsamen schmachtenden Gatten, der bisher nur gute liebende Worte für sie fand, der bereit gewesen wäre, ihr die Sterne vom Himmel herunterzuholen, hätte sie dieselben verlangt, hat sich nun dieser ironische, eiskalte Mensch entpuppt, in dessen Augen weiter nichts zu lesen ist als die intensivste Verachtung. Sie weiß jetzt, daß sie ihn beleidigt hat bis zur Unversöhnlichkeit.

„Du bauschst die Sache ja riesig auf,“ sagt sie bitter in der unbestimmten Empfindung, daß selber gekränkt zu scheinen das wirksamste Mittel ist, ihn aus seiner Ruhe zu bringen. Ach, wenn er nur erst zornig würde, wenn er lieber wetterte und tobte!

„Findest du?“ fragt er gelassen, „ich meine, daß ich das durchaus nicht thue. Wenn man geglaubt hat, einen Brillant zu kaufen, und entdeckt dann eines Tages, daß er ein Simili ist, so ist das kein angenehmes Gefühl, aber man trennt sich ruhig von dem Wertlosen, man hat das Interesse daran verloren und macht möglichst wenig Gerede davon.“

„Soll ich den Simili vorstellen?“

„Das überlasse ich deinem Scharfsinn.“

„Weißt du was, mein Schatz? Du bist toll eifersüchtig!“ ruft sie außer sich.

„Auf den Waldenberg? Nicht im mindesten mehr, weder auf ihn noch auf andere. Vielleicht gestern früh noch, ich gebe es zu, aber seit heute abend – ach nein, das kannst du nicht verlangen.“

„Josepha hatte mich gereizt, weißt du,“ spricht sie hastig, „und im Zorn sagt man zuweilen etwas, was man später nicht verantworten kann. Es ist schändlich von dir, dich daran zu klammern, lediglich, um das dir verhaßte Fest unmöglich zu machen, mir eine Freude zu verderben.“

Er antwortet nicht darauf, sondern fährt gelassen fort: „Ich sehe ein, daß es dir sehr peinlich sein muß, aber gesprochene Worte sind nicht zurückzunehmen, gleichviel ob sie im Zorn gesagt wurden oder nicht. Du hast mich nie geliebt, liebst mich auch heute noch nicht – so war’s doch, Edith – wie?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0306.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2020)