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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

tanzen lassen. Sie vermag da zu sitzen und zu sinnen bis in den Abend hinein, bis neue Arbeit sie ruft.

Wäre sie nur erst wieder dort!

Und endlich kommt der Tag, da sie abreisen kann; ihre junge Nichte ist eingetroffen, blaß, mit verweinten Augen, um die Stelle der Hausfrau einzunehmen.

Christel geht zuerst mit Vater und Tochter an das Grab, und als man wieder heimgekommen ist, giebt sie in ihrer milden Art dem verängstigten Kinde einige Anweisungen für den Haushalt, und nachher – am andern Morgen will sie reisen – geht sie allein im Pfarrgarten auf und ab, in alte Erinnerungen verloren. Als endlich der Mond aufsteigt, steht sie still und schaut über die Mauer auf die Felder hinaus, die vernichteten Felder, über die heuer zur Erntezeit schon die Pflugschar gegangen ist, als wäre es bereits Spätherbst, und die jetzt ein schwächlicher grüner Schimmer der Futterkräuter schmückt, die man gesät hat, um doch etwas zu ernten.

Und Christel denkt, wie sehr diesem Bilde ihr Herz gleicht, wie darinnen auch einmal prächtige goldene Saat wogte, die vom Sturm des Geschickes niedergebrochen wurde, und daß jetzt, wie dort drüben auch, nur ein bißchen bescheidenes Grün wachse, die Pflänzlein der Entsagung und der stillen Treue, des thatenlosen Mitleids. Ja, könnte sie ihm helfen, könnte sie ihn bewahren vor dem Schweren, das ihm droht!

Ach ja, die Wirtschaft geht bedenklich zurück auf Wartau, sie hat ja alles erfahren in diesen paar Tagen. Christel weiß ja noch so genau, wie viel sie herausgewirtschaftet hat aus dem Kuhstall an Milch, Butter, Käse, an Kälbern und Kühen, sie weiß noch, wie stattliche Summen sie Anton brachte aus dem Garten an Gemüsen, Erdbeeren, Winterobst, wieviel aus dem Hühnerhof. Sie erinnert sich so deutlich, wie er sich darüber gefreut und sie gelobt hat. In der Landwirtschaft, da will das kleinste berücksichtigt sein, wenn etwas dabei gewonnen werden soll. Sie ist immer aufgestanden vor Tau und Tag und spät zu Bett gegangen; und wie war Anton selbst so sparsam, so sparsam auch in der Zeit, wo sie es nicht mehr nötig hatten. – – Und nun, nun hat er schwere Sorgen, und die Frau verthut sein mühsam erworbenes Geld in den Bädern!

Wäre sie nur gar nicht hergekommen, hätte sie es lieber nicht erfahren, ihn nicht gesehen mit der gefurchten Stirn und den grauen Haaren in dem blonden Vollbart. Sie fühlt, sie wird von Wartau scheiden, niedergedrückter noch als damals … damals!

Du hättest ihn nicht verlassen dürfen! sagt eine Stimme in ihr, du hättest wissen müssen, daß er mit jener Frau ins Unglück ging. Und sie bleibt stehen und schaut starr in den silberdurchleuchteten Nebel, der aus den nassen Aeckern emporsteigt, es fliegt wie ein Schauer über ihren Körper.

„Ich mußte!“ sagt sie leise.




Ueber Wartau liegt der Novemberhimmel; einförmig und trübe schleppen sich die Tage hin. Im Schlosse ist es kühl und ungemütlich, die zwei großen Amerikaneröfen im Flur werden aus Sparsamkeit nicht mehr geheizt. Mittags wird in einem kleinen Zimmer gespeist, das Tafelzimmer ist so schrecklich groß, zu groß für die zwei Menschen, die alte Stiftsdame und den Hausherrn. Zuweilen nimmt Anton seine Mahlzeit ganz allein. Nach dem kurzen einfachen Essen – wie in der ersten Zeit, wird nur ein Gericht aufgetragen – steigt Anton in die Kinderstube hinauf, nimmt seinen Jungen von dem Teppich empor, auf dem er spielt, hält ihn auf den Knieen und starrt die kleinen Mädchen an, die gewöhnlich schlafen. Er muß Lothar reiten lassen, muß versprechen, ihm seinen Pony mal ganz lebendig mit heraufzubringen, der gar nicht mehr vorhanden ist, und verbringt dann wieder Stunde um Stunde vor den Büchern und Berechnungen, um abends wieder stumm der Baronesse gegenüber zu sitzen.

Die alte Dame hilft ihm schweigend bei seinen Bestrebungen, sich einzuschränken. In der Küche ist sie deshalb beinahe verhaßt. Die neue Köchin hat eines Tages wieder gekündigt, sie hätte sich doch zu sehr getäuscht, sie habe gemeint, in ein wirklich vornehmes Haus zu kommen, aber wenn sie nicht mal das Sauerkraut mit Champagner kochen solle und nie mal eine Pastete oder dergleichen zu machen habe, dann wolle sie lieber gehen, denn auf so einer Stelle verlerne sie alles.

Die Stiftsdame giebt ihr ohne weiteres den Lohn und die Papiere, und nun kocht das frühere Küchenmädchen, allerdings ein bißchen primitiv, aber Anton merkt es kaum. Hier und da besucht einer der Herren, die bei ihm in den letzten Jahren verkehrt haben, den Einsamen, doch der ernste gedrückte Mann ist nicht imstande, den angenehmen Wirt zu spielen, und die guten Freunde bleiben weg.

Heine flucht und räsonniert, wenn er von dem Herrn zurückkommt. „Himmel – Herrgott – das sollte mir passieren!“ Und als die kleine Frau ganz erschreckt fragt: „Was ist denn nur um Gottes willen?“ da schreit er los: „So schindet man sich und spart und kratzt die Groschens zusammen, daß die Hunde Blut lecken, und wenn man denkt, man hat ein Loch zugestopft, dann reißt da ein anderes auf! Hol’ der Teufel all so ’n gottslästerliches Weibervolk wie die!“ Und er stellt sich vor seine kleine Frau, schlägt in die flache Hand und ruft: „Rund jeden Monat zweitausend Mark an diese Frau, und er muckt nicht mal dagegen! Ja, da arbeite du dir den Bast von den Händen und quetsche es heraus, wo du kannst, in den Sumpf geworfen ist’s doch! – – Kann er denn nicht zum Donnerwetter ein ‚Stopp!‘ hinwettern nach Neapel, oder wo sie sonst herumflaniert, die allergnädigste Frau Mohrmann, geborne von Ebradt? Ich kann ihr doch nicht sagen: wenn du so flott leben willst, dann hungern demnächst die Kinder, Goldgruben giebt’s hier nun zufällig mal nicht! Aber nee, nee – er fährt womöglich ‚dritter Güte‘ nach Leipzig, und ein Glas Wein gönnt er sich nicht mehr. Und weißt, was ich thue, Lieschen? Ich steche der Alten mal den Star, die weiß wahrscheinlich gar nicht, wie tief er drin sitzt? Mag die doch mal ihrer hochgebornen Frau Nichte klarmachen, daß es so nicht weiter geht. Er thut’s nicht in seiner übertriebenen Noblesse gegen diese Frau.“

Nein, Anton thut es nicht, obgleich ihm diese Summen schwerere Sorgen machen, als er sich selber eingesteht. Nur nicht mit ihr feilschen, die ihn ja eben dieses Mammons wegen nahm! Hätte sie noch mehr verlangt, er würde es herbeigeschafft haben.

Als aber Heine eines Tages wirklich der alten Baronesse eine Andeutung zu machen wagt, geht sie zu Anton und bittet ihn, nur noch die Hälfte des bisherigen Betrages Edith zu senden; sie finde, daß es geradezu ein Verbrechen sei, ihr solch luxuriöses Leben zu gestatten.

„Edith kennt meine Lage, ich machte ihr hier bereits Vorstellungen,“ antwortet er, „sie haben gar nichts genützt. Glauben Sie, daß es jetzt etwas nützen wird?“

„Aber, mein Gott, wenn sie einfach nicht mehr bekommt, was bleibt ihr dann übrig als sich einzuschränken?“

„Dann bleibt ihr noch übrig, Schulden zu machen!“

„Ach, aber ich bitte Sie, Herr Mohrmann!“ Josepha ist dunkelrot geworden und sieht fast gekränkt aus.

Er geht an seinen Schreibtisch und holt einen ganzen Packen Briefe. „Hier, Baronesse, diese Rechnungen habe ich nach Ediths Abreise, das heißt in den ersten Oktobertagen, bekommen; es sind sehr große Posten dabei, unter andern einige Sachen, für die ich ihr das Geld bereits eingehändigt hatte.“

„Aber – aber,“ stammelt Josepha fassungslos, „das durften Sie doch nicht leiden, das ist ja entsetzlich!“

„Soll ich vielleicht in die Zeitnng setzen lassen: Ich warne hiermit jedermann, meiner Frau Edith, Geborenen von Ebradt, etwas zu borgen, indem ich erkläre, keine Zahlung leisten zu wollen – wie so die übliche Fassung ist?“ fragt er.

Josepha preßt das Tuch an ihre Augen und geht nach oben, außer sich vor Schmerz und Zorn. Sie schämt sich, o sie schämt sich für die leichtsinnige Person, diese Edith, und sie muß ihr dennoch mildernde Umstände zusprechen, denn sie hat’s ja nicht besser kennengelernt. Ihr Vater, ihr Großvater, ihre Mutter, alle verstanden sie das Schuldenmachen aus dem Fundament, in den Augen der Wartaus war Schuldenmachen keine Schande, im Gegenteil ganz comme il faut, ein Privilegium ihres Standes. Und wenn die Gläubiger die Ehre, bis in das Blaue hinein zu borgen, nicht genügend würdigten, so war das deren Fehler, nicht der ihrige.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0343.jpg&oldid=- (Version vom 30.8.2020)