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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

die schließlich darin gipfelte, daß in Hongkong ein deutsches Blindenheim für chinesische Mädchen errichtet wurde.

Zur Leiterin desselben wurde die Johanniterschwester Martha Postler aus Schwanebeck erwählt. Sie war durch einen kurzen Aufenthalt in einer deutschen Blindenanstalt einigermaßen auf ihren Beruf vorbereitet und reiste am 4. Oktober 1896 von Hildesheim ab, um zuerst als Pensionärin in dem Findelhause Bethesda die chinesische Volkssprache zu erlernen und sich in die dortigen Sitten einzuleben.

Am 15. September 1897 zog Schwester Martha in das neue Blindenheim ein, das den Namen Tsau-kwong, d. h. „Kommet zum Licht“ erhielt. Das schöngelegene Haus, das unsere Abbildung auf S. 367 wiedergiebt, wurde für 77 Mark monatlich gemietet. Es besteht aus vier Räumen; dazu gehört noch ein Nebengebäude mit guten Chinesenwohnungen, Küche u. dergl. und ein Stück Gartenland mit einem Spielplatz für die Kinder.

Schwester Martha hat gegenwärtig sieben blinde Mädchen bei sich. Das Bestreben der Mission geht dahin, die blinden Mädchen nicht nur zu verpflegen, sondern auch zur Arbeit zu erziehen, daß sie im Schutze der Anstalt später ihren Lebensunterhalt sich selbst verdienen können. Wer würde nicht den opferfreudigen Schwestern im fernen Ostasien Glück bei ihrem edlen Werke von Herzen wünschen? Möge auch Tsau-kwong blühen und gedeihen und immerdar dem deutschen Namen jenseit der Meere zur Ehre gereichen! E. F.     




Der kleine Lauscher.

(Mit dem Bilde S. 369.)

Himmel, durch so eine Ritze im Zaun,
Da kann man ja schöne Geschichten schaun!
Was könnt’ ich nicht alles zusammenschreiben
Ueber der Menschen Thun und Treiben!
Ach Gott und ich wüßte noch hundertmal mehr,
Wenn ich nicht gar so ein Kleinchen wär’!
Es ist zum Weinen: doch dann und wann
Hab’ ich die Ritze und reich’ nicht heran!
Seht selbst: wo bliebe denn heut’ mein Kopf,
Hätt’ ich nicht Bauer und Blumentopf?

Die Menschen – die Menschen! Ich sag’ es ja!
Mit rotem Kopfe sitzen sie da,
Reden nicht, singen nicht – ’s ist kurios,
Und das Mädel hat lauter Blumen im Schoß!
Was sollen denn nur die Blumen dabei?
Sie sind auch gar zu schüchtern, die zwei!
Man kann sich wirklich zu Schanden grämen:
Wenn die beiden doch endlich mal weiterkämen!

Potztausend, was seh ich? – Da bin ich gespannt!
Er nennt ihren Namen – er faßt ihre Hand?
Ueber und über erglüht ihr Gesicht,
Aber sich wehren – das thut sie nicht!
Und wie er nun selig die Hand ihr drückt,
Und wie er nun näher und näher rückt –
Es scheint, nun ward er sich wirklich schlüssig,
Da bin ich am Ende ganz überflüssig!
Nun wird es verdächtig – der erste Kuß – ?
Runter, mein Junge! Für heute Schluß!

Denn mag der erste ein Wagnis sein:
Die folgenden küssen sie von allein!
 Fritz Döring.




Antons Erben.

Roman von W. Heimburg.
(11. Fortsetzung.)


Anton kommt von Altwitz zurück, sehr bleich und still. Der Graf hat ihm mit aller möglichen Schonung eine Geschichte erzählt, wie sie in Monte Carlo wohl häufig vorkommen mag, die aber diejenigen, die daran beteiligt sind, bis zur Verzweiflung treiben kann. Soviel der Graf weiß, ist Frau Mohrmann, von Aegypten kommend, anfänglich in Gesellschaft eines mecklenburgischen Ehepaares gewesen und hat sich mit diesem an den Karnevalsfreuden in Nizza beteiligt in durchaus tadelloser Weise. Sie hatte im „Hotel d’Angleterre“ gewohnt mit ihrer Jungfer, und alle Welt hat – das weiß der Graf mit Bestimmtheit – es ganz natürlich gefunden, daß sie in Mentone Winteraufenthalt nahm, weil sie zeitweise von einer leichten Heiserkeit befallen wurde, die sie scherzhaft eine ägyptische Errungenschaft zu nennen pflegte, die aber jedenfalls älteren Datums ist. In diesem Hotel sei sie nach der Abreise von Herrn und Frau Mardeveld mit einer Madame Alexajewna Alabotschew und deren Sohn bekannt geworden; Madame habe über die tadellosesten Manieren und die prachtvollsten Brillanten verfügt, und Sergei Alabotschew sei ein stets liebenswürdiger und ehrerbietiger Kavalier gewesen. Die russischen Herrschaften schienen an ein splendides Leben gewöhnt zu sein und Frau Mohrmann habe mit ihnen auch in dieser Hinsicht gut harmoniert. Sie sei zwar reichlich mit Kasse versehen gewesen, sei einmal aber doch in Verlegenheit gekommen, als sie lebhaft wünschte, eine kleine Brillantnadel zu kaufen, die sie bei Gelegenheit einer Promenade in einem Schaufenster erblickte. Sergei Alabotschew, der bemerkte, wie Frau Mohrmann nach ihrer Börse suchte, habe ihr ebenso dringend wie liebenswürdig die seinige zur Verfügung gestellt, was nach einigen üblichen Phrasen auch angenommen wurde, und schließlich habe Sergei den scherzhaften Vorschlag gemacht, Frau Mohrmann solle versuchen, dieses geborgte Geld an der Bank wieder zu gewinnen, und sie habe zu diesem Zweck ein paar weitere Goldstücke von ihm entliehen. Frau Mohrmann, die schon des öfteren unter Mardevelds Leitung sehr vorsichtig spielte, habe eingewilligt, und man sei augenblicklich nach Monte Carlo gefahren.

„Sehen Sie, Mohrmann, wie’s so geht,“ hat der Graf weiter gesprochen, „wen der Teufel am Kragen kriegt, den hält er fest. Sie gewann, gewann sogar in den nächsten Tagen viel, um dann noch mehr zu verlieren. Na, man kennt das ja! Sie holte sich alles Geld, welches auf ihren Kreditbrief zu erheben war, verlor auch dies und saß dort mit der Aussicht, vor April kein Geld wieder zu bekommen, oder vielmehr, sie genierte sich, Ihnen mitzuteilen, wie es stand. Madame Alabotschew lachte sie aus, drängte ihr Geld auf, Frau Edith giebt natürlich einen Schuldschein, das heißt, sie unterschreibt Lebens- und Sterbenswegen irgend etwas, das näher zu prüfen ihr die Rücksicht auf die elegante Darleiherin verbietet. Sie bekommt nochmals ein Darlehen und unterschreibt wieder. Madame scherzt ihre Bedenken hinweg, unter Leuten aus der Gesellschaft sei das eben nichts als eine Form, und Frau Edith lacht auch. Eines Morgens aber kommt Madame sehr verlegen zu ihr und bittet sie mit tausend Entschuldigungen um das Geld, sie müsse plötzlich abreisen. Natürlich ist Frau Edith außer sich. Madame verlangt, sie solle telegraphieren an monsieur son mari. Frau Mohrmann erklärt, sie könne es nicht aus verschiedenen Gründen. Madame wird eisig und sagt, sie werde ihren Sohn schicken. Herr Sergei Alabotschew erscheint, ist anfangs sehr höflich, wird dann dringend und macht ihr schließlich – arme kleine Person – einen Vorschlag, den sie mit einer Ohrfeige beantwortet; er droht mit der Polizei und nun – Verderben gehe deinen Gang!

Frau Edith flüchtet mit Zurücklassung ihrer Kammerjungfer, ihrer Sachen, natürlich ungenügend gegen die eisige Tramontana geschützt, die sie bei dem atemlosen Lauf nach dem Bahnhofe

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 368. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0368.jpg&oldid=- (Version vom 22.9.2020)