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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

„Ich bin ganz ruhig, Buchenberg, setze dich doch,“ erwidert Anton, „es ist ja auch nicht viel mehr zu reden, gar nicht viel – wenn’s wahr ist, was du sagst, dann ist’s ja soweit, dann geht’s bergab mit der Sache. Sybel hat recht, wenn er sich rückwärts konzentriert; ich möcht’s auch thun, wenn ich nur könnte, wenn ich nicht so tief drin säße. Ich muß es nun abwarten oder in Sybels Stelle einrücken, das heißt, ihm seine Rechte und die Prioritäten abkaufen. Und das kann ich nicht, kann ich nicht, selbst wenn ich wollte. Ich wüßte auch keine Seele mehr, die mir das Geld dazu borgt, noch dazu angesichts des Konkurrenzunternehmens, das ja riesenhaft wird. In Gottesnamen mag Sybel die Prioritäten verkaufen an wen er will, ich kann’s nicht aufhalten, ich nicht mehr!“

Direktor Buchenberg greift nach seinem Hut. „Na, dann leb’ wohl, Anton, ich meinte es nur gut.“

„Leb’ wohl! Ich weiß, daß du es gut meinst, aber wie du mich hier siehst, bin ich nichts mehr wie ein Bettler, und ob ich mich je wieder herausreißen werde – ich weiß es nicht. Leb’ wohl, Buchenberg!“

Buchenberg steht noch ein Weilchen und sieht sich den Mann an, der im Sofa sitzt neben seinem Kinde, dessen Lockenköpfchen er mechanisch streichelt. Er will ihm noch ein paar gute Worte sagen, aber es würgt ihm etwas in der Kehle. Unbeschreiblich leid thut ihm der große Mensch dort. Er weiß, daß jedes Wort wahr ist, das Mohrmann gesprochen hat, er sieht es ja auch, die nagenden Sorgen liegen zu deutlich ausgeprägt auf seinem Gesicht, sprechen aus dem rasch ergrauten Haar.

„Adieu, Anton!“ murmelt er noch einmal, dann geht er und trifft vor der Thür auf zwei weinende, in Schwarz gekleidete alte Damen, die beiden Fräulein v. Wartau, die mit Anton sprechen wollen wegen des Begräbnisses und der dazu gehörigen Feierlichkeiten. Anton hat ihren Eintritt beinahe überhört, er hält das Kind wieder auf seinen Knieen und rührt sich nicht, als die Tanten seiner verstorbenen Frau sich ihm nahen.

Wie Tonette von dem Trauergottesdienst anfängt und fragt, ob der Saal schwarz ausgeschlagen werden soll, erhebt er sich und geht zum Geldschrank.

„Hier ist alles, was ich noch habe,“ sagt er bitter und legt fünfhundert Mark hin, „ich wollte die Leute damit lohnen morgen, aber sie müssen warten. Nehmen Sie es und besorgen Sie alles im Sinne der Verstorbenen, Sie wissen wohl, wie sie es gern gehabt hätte.“

Verstört entfernt sich Tonette. Josepha aber kommt zu ihm und legt ihre zitternde Hand auf seine Schulter.

„Steht es so schlimm?“ fragt sie leise.

Er nickt, und mit einem kurzen nervösen Auflachen fügt er hinzu: „Sie starb zur rechten Zeit, Baronesse.“




Wieder einmal Herbst, Spätherbst! Zu Bärenwalde auf dem Rödershof sitzt die Frau in ihrer Stube vor dem Nähtisch und hält Ruhestunde während der Dämmerung. Sie ist heimgekommen von dem Felde vor ein paar Minuten, der Wind hat ihr die Backen rot gefärbt und um sie herum ist ein Hauch von Kälte und Frische, der ihren Kleidern entströmt. Neben ihr im Vogelbauer wiegt sich schläfrig der Kanarienvogel, im Ofen knistert das Feuer; Christel genießt die schönste Stunde ihres Tages.

Sie legt den Kopf an die Polster zurück und sinnt; es ist immer dasselbe. Als ob ein Frauenherz an etwas anderes denken kann als an das, was es einst so ganz ausgefüllt hat, und wäre ihm dies auch entrissen! Sie hat sich allmählich so an dieses „Erinnern“ gewöhnt, daß sie ungeduldig wird, wenn eine Störung kommt, und träten auch diejenigen ein, die ihr die liebsten Menschen sind. Sie denkt eben an Wartau, sie malt sich das Leben Antons aus und tröstet ihn, sie redet ihm zu, der Frau nicht mehr im Groll zu gedenken, sie streichelt die mutterlosen Kinder. Keine Spur von Bitterkeit blieb in Christels Seele, seitdem sie ihn wiedersah, so vergrämt und versorgt. Als sie den Tod Ediths erfuhr, weinte sie bitterlich; er hat sie ja doch sehr geliebt. Sie war ja zuletzt wieder in Wartau, und jedes Mißverständnis wird angesichts des drohenden Todes hinweggelöscht sein zwischen ihnen – er wird sie innig betrauern.

Mit keinem Menschen hat sie über den Todesfall gesprochen.

Schwester Louischen, die den Wendlandt heiratete, ist freilich an dem Tage, da Christel die Traueranzeige in der Zeitung las, mit dem Kinderwagen und dem Würmchen zu ihr gekommen, so um nichts und wieder nichts, und hat allerlei zu reden gehabt, erwartend, daß Christel etwas sage darüber, aber vergebens. Christel that ihre Arbeit wie immer und ihre geröteten Augen – die waren vom Rauch in der Küche; die Aprilsonne hätte gerade so mächtig auf die alte Esse gedrückt, daß der Rauch sich nicht hinauswagte in die blaugoldene Frühlingsluft und lieber in die Küche geflüchtet wäre.

Frau Louischen konnte in der Miene der Schwester kein einziges Zeichen gewahren, das irgend eine Hoffnung verriet. In ihrem Gehirn aber hatte die Todesnachricht gleich eine ganze Reihe von Möglichkeiten erstehen lassen, die ihr keinesweges sehr erfreulich waren. Herrgott – nein – das fehlte gerade noch jetzt, wo die Christel eben wieder zu etwas gekommen ist! Louischen, oder vielmehr ihr Kind, haben freilich nicht nötig, auf eine Erbtante zu rechnen, aber sie sieht auch anderseits gar nicht ein, warum man nicht an allerhand Möglichkeiten denken soll, denn gebrauchen kann der Mensch immer Geld. Jedenfalls hat sie seit dem Tode der Frau Mohrmann Nr. 2 ihre Schwester mit doppelter Aufmerksamkeit beobachtet.

Heute kommt Louischen wieder einmal in Begleitung des Kinderwagens und bricht in den Frieden von Christels schönster Stunde ein mit hochrotem Kopfe und fliegendem Atem. Der leichte Wagen wird rasch über die Stubenschwelle gestoßen und durch die tiefe Dämmerung schallt es geradezu triumphierend:

„N’ Abend! Na, was sagst du denn dazu, Christel? Ich hab’s ja immer behauptet, so muß es kommen!“

Christel ist emporgefahren. „Ums Himmels willen, Louise, was giebt’s denn? Ist was geschehen?“

„Brauchst kein Licht zu machen, ich kann den ganzen Salm auswendig und wenn du noch nichts weißt, werd’ ich’s erzählen. Siehst du, wenn du nur Lust hast, kannst du dir Wartau wieder kaufen. Die Herrlichkeit dort ist zu Ende!“

„Wartau? Mohrmann verkauft Wartau?“ stößt sie hervor. „Das ist nicht wahr!“

„Nun, Robert lügt doch sonst nicht, und der schreibt’s. – Er hat mit Wendlandt wegen des ‚kleinen Anto‘ zu korrespondieren gehabt, der Junge will ja, glaube ich, partout Oekonom werden anstatt zu studieren – wird sich wohl auf die Thronfolge im Rödershof einüben wollen.“

„Robert schreibt’s?“ fragt Christel tonlos, die gehässige Anspielung auf den Neffen überhörend.

„Jawohl, Robert schreibt’s!“ wiederholt Louischen und setzt sich neben den Kinderwagen, den sie unaufhörlich hin- und herschiebt, obgleich das Kind sich völlig ruhig verhält.

„Wie ist das möglich?“ fragt Christel, „was schreibt denn Robert darüber?“

„Na, das soll wohl gar ein Wunder sein? Im Hochmut ein Rittergut kaufen, dann Erben haben wollen dafür, die Frau, die alles mit erarbeitet und erschuftet hat, zum Teufel jagen, um eine Vornehme zu heiraten, die das mühsam Erworbene durchbringt mit Putzen, Reisen und Festegeben, und“ – jetzt lacht sie laut und höhnisch – „nun hat er die Erben, aber nichts mehr ihnen zu hinterlassen! So mußte es kommen, das habe ich ihm immer gegönnt, dem Wichtigthuer, dem Klugschnacker.“

Christel ist zurückgesunken in ihren Stuhl, sie rührt sich nicht; die Hände hat sie krampfhaft ineinander gefaltet, die Augen starren durch das Fenster in die beginnende Dunkelheit hinaus.

„Na ja, ich sagte schon zu Wendlandt vorhin,“ schallt Louischens Stimme wieder, „es rächt sich eben alles. Nun kann er wieder eine Inspektorstelle annehmen, und das wird auch nicht so eins zwei drei gehen; einem verkrachten Gutsbesitzer, dem traut doch keiner, denn wer sein Eigenes nicht verwalten konnte, wie wird der da mit fremdem Gute umgehen? Und dazu die Kinder auf dem Halse, drei Stück! Robert schreibt, es sei ein Jammer, der Mann thue ihm zu leid. – Unsinn! Mir thut er gar nicht leid, nicht im mindesten, er hat’s ja nicht anders gewollt. – Nun ist übermorgen der Termin, und die Heine hat Robert erzählt, sobald verkauft ist, ziehen die beiden alten Fräulein in ihr Stift – wo sollen sie denn auch hin? – und er sucht eine Stelle. Sie habe sich angeboten, vorläufig die Kinder

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 371. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0371.jpg&oldid=- (Version vom 22.9.2020)