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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

die Hand geben, aber die dreht sich achselzuckend um und verläßt vor ihr das Haus. Gut, daß Christel nicht hört, was die Schwester auf der einsamen Dorfstraße für halblaute Reden hält, sie würde außer sich sein; „eine alberne, verliebte Person!“ das ist noch das wenigste, was sie sagt. Und daß man die Kinder holt in der Hoffnung, der Vater werde nachkommen, das ist bei Louischen unumstößliche Thatsache. „Sie ist imstande, das zweite Mal – er kann ja gar nicht besser thun – sie arbeitet für ihn und die fremde Brut, so ein dummes Schaf!“

Und Christel fährt in den windigen Februarabend hinein, als gehe sie zu einem Feste; mit derselben Empfindung, die sie als Kind hatte vor der Christbescherung. Seine Kinder holen können! Ein paar Wochen hindurch die kleinen weichen Körperchen hegen und pflegen dürfen! Die runden lieben Gesichter sehen, sich anlächeln lassen – wie wundervoll!

Arme kleine Frau Heine – wie sie sich wohl ängstigen mag – so anvertrautes kostbares Gut! – Warum hat man nicht gleich an sie gedacht? Ja so – ja – man will ihr doch nicht wehthun, man hält sie für schrecklich kleindenkend. Ja, ja, er hat ihr wehgethan, den größten Schmerz ihres Lebens hat sie durch ihn erlitten, aber sie kann nicht hassen, sie kann nicht, und jetzt, wo er so unglücklich ist – –. Mögen die Leute sagen, was sie wollen, seiner Kinder darf sie sich annehmen mit gutem Gewissen!

„Morgen mittag um elf Uhr sind Sie wieder hier, Karl, und so viel Tücher und Decken, als ich habe, soll Marie in den Wagen thun,“ befiehlt sie, auf der Station angelangt.

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Christel kommt nach zweistündiger Eisenbahnfahrt in Dresden an und sucht trotz der späten Stunde Doktor Konring auf, dessen liebenswürdige Frau sie ganz verwundert, aber voll Jubel empfängt. „Ich wußte ja,“ sagt Christel, „daß Sie heute noch nicht schliefen, es ist Herrn Doktors Skatabend; hätte ich die Fenster dunkel gesehen, wäre ich in ein Gasthaus gegangen.“

„Die Partie muß gleich zu Ende sein,“ erzählt Frau Doktor, während sie Christel in ihrem netten Wohnzimmer aus dem schweren Mantel hilft, „aber nun sagen Sie mir – was um alles in der Welt treibt Sie zu nachtschlafender Zeit nach Dresden?“

„Darf ich mit der Erklärung nicht warten, bis der Herr Doktor da ist?“ bittet Christel und trinkt ein wenig von dem dargebotenen Punsch.

„Aber versteht sich, und er wird gleich kommen.“

In der That verabschieden sich die Herren sehr bald und der überraschte Hausherr steht Christel gegenüber. „Der Tausend!“ sagt er, die stattliche Erscheinung musternd: „Frau Christel, da oben im Rödershof giebt’s wohl einen Jungbrunnen? So habe ich Sie ja kaum in der ersten Zeit Ihrer Ehe gesehen?“

„Nun berichten Sie aber,“ mahnt die Hausfrau.

Und Christel erzählt. Der Doktor geht mit unhörbaren Schritten auf dem Teppich einher. „Ja, ja!“ wirft er ein, „eine regelrechte Epidemie – und da wollen Sie – – ?“

„Sie werden’s nicht falsch beurteilen?“ bittet die große blonde Frau mit dem guten Gesicht und den angstvollen Augen.

Der Doktor nimmt ihre beiden Hände: „Ich – Sie falsch beurteilen? Das glauben Sie ja selber nicht! Nein, nein, folgen Sie nur Ihrem Herzen – es ist ungewöhnlich, aber es ist gut, was es Ihnen da eingiebt. Nehmen Sie die armen Dinger mit, Frau Christel, und lassen Sie die Leute reden, was sie wollen!“

Die Frau Doktor ist stumm geblieben. Als sie ein halb Stündchen später Christel in das Logierstübchen begleitet, sagt sie leise: „Sie lieben ihn noch immer!“

Christel dreht sich hastig um und streckt ihr die gefalteten Hände entgegen; die Thränen in ihren Augen flehen um Schonung.

„Verzeihen Sie,“ bittet die junge Frau, „aber wäre es denn so unnatürlich? Wäre es denn eine Schande? Kann man dafür?“

Christel antwortet nicht, sie ist ganz fassungslos.

„Was Sie thun wollen, thut nur eine Frau, die nie aufgehört hat zu lieben. Gute Nacht, Frau Christel!“

Und Christel löscht ihr Licht, als wolle sie ihre Thränen vor sich selber verstecken. „Nie aufgehört zu lieben!“ sagt sie vor sich hin und nickt dazu.

(Fortsetzung folgt.)



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Erdbeeren.

Von Richard von Strele.

Die Erdbeere ist uns allen eine liebe alte Bekannte von Kindesbeinen an. Wir haben sie selbst gesucht im sonnenlichtdurchsponnenen Walde, wir haben sie frisch vom Strauche genossen, eine nach der andern, wir haben sie an Halmen gleich Korallen aneinandergereiht oder in Sträußchen gebunden auf den Hut gesteckt; aber noch einen Fundort der Erdbeeren gab es für uns, zwar auch in einem Walde, aber nicht in dem von Birken und Buchen – im deutschen Märchen- und Sagenwalde.

Wie leuchteten der Kinder Augen, wenn Mütterchen in dämmernder Stube uralte Geschichten erzählte von dem Brüderlein und Schwesterlein, die auf die Beerensuche gingen und nun plötzlich einem Riesen, einer holdseligen Frau gegenüberstanden, wohl gar der Mutter Gottes selbst. In der Gegend von Männerstadt legt der Storch im Walde eingeschlafenen Kindern Goldperlen und die schönsten Erdbeeren in die Hand. In Tirol helfen die saligen Fräulein den Kindern Erdbeeren sammeln und pflücken so schnell, daß in einer Viertelstunde alle Körbchen gefüllt sind. Vom Laurathal bei Schlier erzählt man: Einmal verirrte sich im Walde, da, wo Fräule Laura gehen soll, ein Kind. Auf einmal kam ein warmes Lüftchen und es war da so grün und blühend wie im Frühling. Es sei gerade gewesen wie im Paradiese. Erdbeeren seien dagestanden in Hülle und Fülle und das Kind pflückte nach Herzenslust. Fräule Laura sei in diesem Garten schneeweiß spazieren gegangen. – Die Huzulen der Bukowina fabeln von der Dokia, welche durch die Stiefmutter gezwungen wurde, Erdbeeren zu suchen, ehe noch der Frühling gekommen. In einem Harzer Märchen helfen einem armen Stiefkinde Gott Vater, Gott Sohn und der Heilige Geist mitten im Schnee einen Korb voll dicker Erdbeeren pflücken. Auch die Erdweibchen in Effingen treten hilfreich auf. In Baisingen heißt es: „Waren Kinder im Walde und sammelten Erdbeeren. Da kam Christus der Herr und fragte: ‚Kinderchen, was habt ihr da?‘ – Sie sagten: ‚Nichts!‘ – Sagte Christus: ‚Nun soll es auch nichts sein!‘ Und seitdem sättigen die Erdbeeren nicht mehr.“ Und dieselbe Geschichte erzählt man an vielen, vielen Orten. Auch der Dichter Scheffel kannte sie, drum läßt er den St. Gallner Abt zu Hadwig, der Schwabenherzogin, sagen: „Das Studium der Wissenschaft ist dem jungen Menschen kein Zwang, kein lästiger, es ist wie Erdbeeren, je mehr man genießt, desto größer der Hunger!“

Die Erdbeere war als wildwachsende Pflanze längst bekannt, und schon in alter Zeit gehörte es zu den Freuden der Kinderwelt, in die Erdbeeren zu gehen. Schon ein Minnesänger jubelt:

set, dô liefen wir ertbern suochen
von den tannen zuo der buochen
über stock und stein –
der wîle daz diu sunne schein.“

Und im „Ruodlieb“ tragen die Kinder die roten Beeren in selbstgeflochtenen Weidenkörbchen heim. In den Karpathen der Bukowina fertigen die Beerensammler Tüten aus abgeschälter Tannenrinde an, ein Verfahren, von dem auch Rückert weiß: „Und die Tanne oder Linde giebt geduldig ihre Rinde, wenn die Näpfe fehlen.“ In dem finnischen Nationalepos „Kalewala“ spricht die Birke:

„Oft schon kamen zu mir Verlass’nem,
Zu mir unglückseligem Baum,
In den Tagen des Frühlings Kinder,
Knaben und Mädchen nahten sich,
Schnitten mit Messern meine Rinde,
Ritzten meine saftige Haut.
Böse Hirten an Sommertagen
Nahmen mir mein schimmerndes Kleid,
Schnitten Becher daraus zum Trinken,
Oder Körbchen zu Beeren gar.“

Aus Tannenzweigen flechten die Kinder an der Semmeringbahn ihre Erdbeerkörbchen, die sie den Reisenden zum Kaufe anbieten. In der Chronik der Grafen von Zimmern liest man: „So haben die edelleut von Dalburg, genannt die kemmerer, ein

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 375. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0375.jpg&oldid=- (Version vom 6.7.2022)