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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

hof zu Wormbs, da ist inen järlichs ein rath schuldig, uf den pfingsttag zwen rumpf uß ainer rinden gemacht, mit erpör zu geben und mueß die rumpf krom sein; mer ist inen der rath alda zu überantworten zwen new krum hefen mit kromen deckeln, auch voller erpör.“

Auf dem Königsstuhle zu Rhense nahm der Bürgermeister an einem Sommertage Erdbeeren als Abgabe in Empfang.

Wie beliebt die Erdbeere beim Volke ist, das ersehen wir auch aus den verschiedenen Rätselfragen und Redensarten, die von ihr im Schwange sind, und nicht nur bei den Deutschen. So sagen z. B. die Zigeuner: „Was ist das? Ein Mütterchen sitzt im Grünen, wackelt schläfrig mit dem Kopfe und hat eine rote Haube auf?“ – Das schweizer Rätsel lautet: „’s stot ame Reili, uf-em-e Beili und lot trolle en fürrote Chnolle.“ Aehnlich in Schwaben:

„’s sitzt etwas amme Rainle,
Es wackelt ihm sein Beinle,
Vor Angst und Not
Wird ihm sein Köpfle feuerroth.“

Seit dem 16. Jahrhundert ist die Erdbeere eine Kulturpflanze geworden. Da wurden die amerikanischen Erdbeeren nach Europa gebracht. Die Amerikaner sind auch heute noch hervorragende Erdbeerzüchter, und es soll in Amerika nichts Seltenes sein, wenn ein einziger Farmer täglich 500 bis 800 Quart auf den Markt bringt. Nach England kamen die amerikanischen Erdbeeren im Jahre 1629, nach Frankreich 1715, nach Deutschland erst später. Zu den besten Erdbeeranlagen gehören im Inselkönigreiche die von Aberdeen. In ungeheurem Maßstabe wird die Erdbeerkultur in der Umgebung von Paris betrieben, namentlich in Bagnolet. Von der virginischen oder Scharlacherdbeere, von der Ananas- und der Chile-Erdbeere stammen die unzähligen Abarten der Gartenerdbeeren. Auch die Walderdbeere wurde in die Gärten versetzt, wo sie zwar protziger, aber nicht geschmackvoller wurde. In Hohbergs „Kuchelgarten“ (1682) lesen wir über die Gartenerdbeeren:

„Es werden Erdbeer auch allhier nicht übel stehen,
Wo sich das Erdreich mag mit seinem Grund erhöhen,
Die Pröpstling sonderlich, dadurch der Mund erfrischt.
Das Herz erquicket wird, ganz rot, weiß untermischt;
Man pflanzet Erdbeerberg’; ihr viel’ sie also setzen,
Daß wie ein Weingebürg ihr Anblick kann ergetzen,
Getheilet spannenweit, auf Stäblein angemacht,
Fein angebunden dran und etwas hoch gemacht.“

Duftender und schmackhafter als die Gartenerdbeere ist jedenfalls die Walderdbeere. In seinen „Spätfrüchten“ singt Adolf Pichler:

„Sind wir denn so arm im Norden,
0 Haben gar nichts wir zu bieten?
Mit des Südens schönsten Blumen
0 Wagen’s unsre Alpenblüten.
Neben Pfirsichen und Trauben,
0 Deiner Villa Stolz und Ehre,
Möcht’ ich fast noch höher preisen
0 Das Arom der Walderdbeere!“

Die Erdbeere ist keine eigentliche Beerenfrucht; was wir als Beere ansehen, ist der fleischig und saftig gewordene Fruchtboden, in welchen die kleinen Trockenfrüchte eingeteilt sind, jene kleinen unscheinbaren Nüßchen, welche den Fleischkörper bedecken. Diese Nüßchen und die aus dem Wurzelstocke entspringenden, stets neue Wurzeln treibenden langen Ausläufer sind die Fortpflanzungskörper unserer Pflanze. In erster Linie haben wir die Arten Fragaria vesca L., die gewöhnliche Walderdbeere, und Fragaria collina Ehrh., den Bresling, ins Auge zu fassen. Sie sind es, welche in den Holzschlägen, an Rainen und Waldrändern wachsen, von armer Leute Kindern eingesammelt und uns in die Städte gebracht werden. In neuester Zeit wurde das Beerensuchen an vielen Orten als Forstfrevel mit Strafen belegt; ein Fürstenbergisches Dekret vom Jahre 1746 bestrafte übrigens das Beerensammeln bereits mit einem Reichsthaler Geldbuße oder mit dreitägiger und dreinächtiger Beturmung.

Unter den Beerensammlerinnen giebt es manchen Aberglauben. So bekränzen die Beerengängerinnen des Brockens die sogenannte Brautklippe, wenn sie in einem Sommer zum erstenmal zu derselben kommen, und glauben dadurch das ganze Jahr hindurch Glück im Auffinden der Beeren zu haben. Erdbeerenopfer kommen nach Jahn in Böhmen vor und nach Höfler opferte man den drei Jungfrauen, die in unterirdischen Gängen singen, drei Aehren oder man band den Kühen Körbe von Erdbeeren und Alpenrosen zwischen die Hörner „für die Fräulein“.

Die Frage, wie man die Erdbeeren genießen soll, wurde von Feinschmeckern vielfach erörtert.

Georg Hesekiel behauptet einmal, es gehe nichts über Erdbeeren, welche mit dem Saft einer süßen Orange befeuchtet sind. Erdbeeren in Burgunder tischt Dido bei Blumauer dem Aeneas auf. Bei Brillat-Savarin liest man, ein Gelehrter habe alle Zubereitungsarten übertroffen, indem er die gelbe Schale der Orange zufügt, die er mit Zucker abreibt. Bei den Göttermahlen auf dem Berge Ida sollen die Erdbeeren auf diese Weise zubereitet gewesen sein. Und Mörike schreibt in seinem Gedicht „Versuchung“:

„Wenn sie in silberner Schale mit Wein uns würzet die Erdbeer’n,
Dicht mit Zucker noch erst streuet die Kinder des Walds:
O wie schmacht’ ich hinauf zu den duftigern Lippen, wie dürstet
Nach des gebogenen Arms schimmernder Weiße mein Mund!“

Schimper ist für Wein und Zimmet.

Vossens Luise trägt „spanische Erdbeeren mit sahniger Milch“ auf. Das ist alter deutscher Brauch.

Gevatter Märten, in dem gleichnamigen Gedicht in kurhessischer Mundart, ladet die Kasseler Kurfürstin ein:

„Se muß zusaa’n, uns emol zu besuchen
Up ’ne suure Melch un Erdbeeren blos.“

In Karl Becks Dichtung „Meister Gottfried“ heißt es: „Ich bringe Weizenbrot und fetten Rahm, sie taugen stets zur Erdbeer wundersam!“ Daher auch die Redensart „Die Erdbeeren mit der Milch hinabschlucken!“

Daß die Erdbeeren auch in der Volksmedizin eine Rolle spielten, mag noch zum Schluß erwähnt werden. In der Schweiz giebt es sogar Erdbeerkurorte, z. B. Felsenegg-Churwalchen, Eigenthal. Der alte Linné hat mit Erdbeeren sein Zipperlein kuriert.




Ueber Lungenschwindsucht und Höhenkurorte.[1]

Von Professor Dr. Liebermeister-Tübingen.


I.0 Das Wesen und die Heilung der Lungenschwindsucht.

Ich möchte es heute unternehmen, Sie aufzurufen zum Kampf, zum Kampfe gegen einen Feind, der der gefährlichste ist unter allen, die der Gesundheit und dem Leben des Menschen nachstellen. Es ist dies die Tuberkulose und insbesondere die Lungenschwindsucht. In Deutschland tötet sie Jahr für Jahr weit mehr als 100 000 Menschen. Die Verheerungen dieses Feindes sind größer als alle Verluste, die in unserer Zeit im Kriege vorkommen. Pest, Cholera und andere furchtbare Seuchen giebt es doch nur zu gewissen Zeiten und in beschränkter Ausdehnung; die Tuberkulose wütet anhaltend unter uns und verlangt viel größere Opfer. Und sie tötet die Menschen gerade in der Lebensperiode, in welcher sie der Allgemeinheit am meisten nützen könnten. Wenn man alle Todesfälle zusammenrechnet, die bei Menschen im arbeitsfähigen Alter, etwa zwischen dem 15. und 60. Lebensjahre, vorkommen, so zeigt sich, daß ein volles Drittel der Tuberkulose erliegt. Wahrlich, der Kampf gegen einen solchen Feind ist es wert, im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses zu stehen.

Die Tuberkulose hat von je her unter allen Kulturvölkern bestanden. So weit die Geschichte zurückreicht, berichtet sie uns von dem Vorkommen der Lungenschwindsucht. Aber es wäre

  1. Am 4. April dieses Jahres hat Professor Dr. Liebermeister in Stuttgart einen Vortrag zu gunsten einer in Davos zu errichtenden deutschen Heilstätte für minderbemittelte Lungenkranke gehalten. Wir sind in der erfreulichen Lage, diesen Vortrag zum Abdruck bringen zu dürfen und unsere Leser mit den Ansichten des so hochgeschätzten und berühmten Arztes über die Heilung der Lungenschwindsucht vertraut zu machen. Dieser Beitrag bildet eine wesentliche und lehrreiche Ergänzung der Artikel, die im Laufe der letzten Jahre über diese wichtige Frage des Gemeinwohls in der „Gartenlaube“ erschienen sind. D. Red. 
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 376. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0376.jpg&oldid=- (Version vom 12.2.2021)