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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

unrichtig, wenn man glauben wollte, die Krankheit müsse notwendig überall vorkommen, und sie sei von allem Anfang an über die ganze Erde verbreitet gewesen. Bei den Negern im Innern von Afrika hat es, wie uns Livingstone und andere Forscher berichten, keine Tuberkulose gegeben, bevor sie mit den alten Kulturvölkern in Berührung kamen; erst durch diese haben sie, noch ehe sie der Vorteile der Kultur teilhaftig geworden sind, die Tuberkulose und viele andere Schäden der Civilisation erhalten. Die Indianer in Amerika haben, bevor die Weißen eingedrungen waren, keine Tuberkulose gekannt; jetzt trägt zu ihrem Aussterben auch diese Krankheit in hohem Maße bei.

Die eigentliche Ursache der Lungenschwindsucht und der Tuberkulose überhaupt, der Tuberkelbacillus, ist erst seit dem Jahre 1882 bekannt. Es ist eines der vielen unvergänglichen Verdienste von Robert Koch, daß er uns die Natur und die Wirkungsweise der Tuberkelbacillen deutlich dargelegt und gezeigt hat, daß sie die einzige und ausreichende Ursache der Tuberkulose sind, daß es ohne diese Bacillen keine Tuberkulose giebt. Diese Bacillen sind kleine Lebewesen, bestehend aus länglichen Stäbchen, die so klein sind, daß sie nur mit bewaffnetem Auge gesehen werden können, nur bei den stärksten Vergrößerungen, die uns das Mikroskop liefert. Vielleicht können Sie sich eine Vorstellung machen von ihrer Größe, wenn ich anführe, daß man 300 bis 400 davon der Länge nach aneinanderlegen müßte, um nur die Länge eines Millimeters zu erhalten. Diese unscheinbar kleinen Lebewesen sind der Feind, der so furchtbare Verheerungen anrichtet und den es zu bekämpfen gilt. – Nachdem man ihn genau kennengelernt hatte, lag es nahe, zu denken, es werde nun nicht allzuschwer sein, ihn abzuwehren oder zu vernichten. Viele Aerzte haben sich damals solchen Hoffnungen hingegeben. Sie sind enttäuscht worden: die Menschen sterben nach wie vor an Tuberkulose.

Und doch können wir sagen, daß die bessere Erkenntnis schon Früchte getragen hat. Die Zahl der Menschen, die in Deutschland an Tuberkulose sterben, ist zwar immer noch erschreckend groß, aber sie ist im Vergleich zu der Bevölkerung in den letzten 10 Jahren merklich zurückgegangen. In den meisten großen Städten ist die Sterblichkeit an Tuberkulose beträchtlich geringer geworden, als sie vor 10 oder 20 Jahren war. Älso der Kampf ist keineswegs aussichtslos, und wir dürfen erwarten, daß, wenn jeder an seinem Teil das Seinige thut, noch große Erfolge erreicht werden.

Welches sind nun die Maßregeln, durch die wir hoffen dürfen, die Tuberkulose mit Erfolg zu bekämpfen? Ich werde hier nur die allgemeinen Gesichtspunkte vorführen, um nachher auf einen besonderen Punkt, die Wirkung der Höhenkurorte, näher einzugehen.

Krankheiten zu verhüten, ist eine lohnendere Aufgabe, als Krankheiten zu heilen. Deshalb legen wir Aerzte den größten Wert auf die Vorbeugungsmaßregeln. Wir suchen die Entstehung der Krankheit zu verhüten. Zunächst ist dafür zu sorgen, daß die Verbreitung der Tuberkelbacillen in der Umgebung möglichst verhindert werde, damit sie nicht, mit anderem Staub eingeatmet, in die Lungen von gesunden Menschen gelangen. Es muß deshalb der Auswurf von Lungenkranken, in dem die Bacillen zu Millionen und Milliarden vorhanden sind, aufs sorgfältigste desinfiziert oder vernichtet werden, weil er sonst in eingetrocknetem Zustande dem übrigen Staub sich beimischen kann.

Uebrigens braucht der Gesunde nicht besonders ängstlich zu sein bei dem Verkehr mit Lungenkranken. Wenn die Gefahr der Übertragung auch nur annähernd so groß wäre wie z. B. bei Pocken, Masern, Scharlach, so müßten ja alle Aerzte schwindsüchtig werden. Der Mensch ist nicht besonders empfänglich für Tuberkulose und jedenfalls viel weniger als die zu Uebertragungsversuchen benutzten Kaninchen oder Meerschweinchen. Der gesunde Mensch verfügt über ausgedehnte Schutzvorrichtungen, vermöge deren die Bacillen, die etwa in den Körper eingedrungen sein könnten, unschädlich gemacht oder wieder ausgeworfen werden. Wenn aller Staub, den wir mit der Luft einatmen, wirklich bis in die Lunge gelangte und dort liegen bliebe, dann würden wohl bei den meisten Menschen die Lungen bald ganz vollgestopft sein. Der größte Teil des Staubes bleibt, wenn wir durch die Nase atmen, schon in den vielfachen Ausbuchtungen an dem dort vorhandenen Schleim haften, ein anderer Teil schlägt sich an der inneren Wand des Kehlkopfes, der Luftröhre und ihren Verzweigungen nieder. Und dort ist die Schleimhaut ausgekleidet mit sogenanntem Flimmerepithel, dessen mikroskopisch kleine Wimpern in anhaltender Bewegung sind, durch die sie alles, was auf der Schleimhaut liegt, allmählich wieder nach oben fördern, so daß es nachher mit einem leichten Hustenstoß ausgeworfen werden kann. Wenn wir viel Ruß eingeatmet haben, z. B. bei einer langen Eisenbahnfahrt, so ist noch einige Zeit nachher der Schleim aus der Nase oder aus dem Kehlkopf schwarz gefärbt. Und wie dieser Ruß, so werden auch die etwa eingeatmeten Tuberkelbacillen wieder entfernt. Auch die Bacillen, die etwa mit den Speisen in den Magen gelangen, werden durch den Magensaft, wenn er normal beschaffen ist, unschädlich gemacht. Und wenn ein Arzt etwa bei einer Operation oder bei einer Sektion durch eine zufällige Verwundung am Finger sich infiziert, so entsteht in den meisten Fällen nur eine örtliche Störung, ein sogenannter Leichentuberkel, der lange örtlich bleiben kann ohne weiteren Nachteil. Die Reaktion der lebendigen Gewebe verhindert das Eindringen der Bacillen in den übrigen Körper.

Anders freilich verhält es sich bei Menschen, die schon vorher an gewissen Lungenkrankheiten gelitten oder die durch angeborene Schwäche, durch besondere Krankheiten oder infolge von Entbehrungen und Not einen Teil ihrer Widerstandsfähigkeit eingebüßt haben. Sehen Sie sich im Walde um oder im Obstgarten! Welches sind die Bäume, die durch Flechten und andere Schmarotzer besonders schwer geschädigt werden? Es sind vorzugsweise die wenig lebenskräftigen oder anderweitig kranken, während die in frischem fröhlichen Wachstum begriffenen sich als weit mehr widerstandsfähig erweisen. Auch beim Menschen wird durch alles, was seinem Gedeihen förderlich ist, die Widerstandsfähigkeit erhöht, sowohl im allgemeinen als auch gegen die Tuberkulose, so durch eine gute Konstitution, eine gute Ernährung, eine gesunde Lebenshaltung, eine erfreuliche Thätigkeit, und auch durch eine gewisse Abhärtung gegen Erkältung und gegen andere Schädlichkeiten.

Wenn wir dagegen von einem Menschen wissen, daß er aus irgendwelchen Gründen mehr als andere zur Erkrankung an Tuberkulose geneigt ist, so müssen wir ihn schon behandeln, bevor es zur Tuberkulose kommt; auch eine bloße Disposition zu Tuberkulose bedarf einer sorgfältigen vorbeugenden Behandlung.

Was aber ist zu thun, wenn die Krankheit schon vorhanden ist, wenn in der Lunge bereits Tuberkelbacillen sich angesiedelt haben?

Offenbar würde es am nächsten liegen, ein Mittel anzuwenden, welches die Tuberkelbacillen töten könnte, ohne dem Kranken wesentlich zu schaden. Man hat vielfach nach solchen Mitteln gesucht, und man thut gewiß recht, wenn man noch weiter sucht; aber gefunden hat man ein solches bisher nicht. Die Anwendung von Jodoform, von Zimmetsäure, von Kreosot, von Arsenik und anderen Mitteln ist für manche Fälle ganz zweckmäßig; aber sie sind nur selten imstande, in den Mengen, in denen sie ohne Schaden angewendet werden können, die Bacillen zu vernichten. Auch die Einspritzung von Kochschem Tuberkulin ist in einzelnen Fällen nützlich; aber auf die übertriebenen Hoffnungen, welche man im Anfang an seine Anwendung knüpfte, ist bekanntlich bald eine große Enttäuschung gefolgt; auch dadurch werden die Bacillen nicht vernichtet. Es giebt bisher kein specifisches Heilmittel gegen die Tuberkulose, und auch die neueren Forschungen haben uns kein Rezept geliefert, welches die Krankheit beseitigen könnte.

Aber sind wir deshalb ohnmächtig der Krankheit gegenüber? Eine solche Meinung wäre gänzlich unrichtig. Wir können die Tuberkulose nicht direkt besiegen, wohl aber indirekt, indem wir sorgfältig die Wege verfolgen, welche die Natur selbst bei der Heilung einschlägt. Es ist dies die Methode, deren wir uns bei den meisten Krankheiten bedienen. Der Arzt bildet sich nicht ein, daß er die Krankheiten heile: er weiß, daß die Natur die Heilung besorgen muß. Ohne die natürlichen Hilfsmittel wäre der Arzt machtlos; seine Kunst besteht nur darin, daß er die natürlichen Heilungsvorgänge zu unterstützen und zu leiten versteht, daß er

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 378. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0378.jpg&oldid=- (Version vom 6.5.2021)