Seite:Die Gartenlaube (1898) 0389.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Halbheft 13.   1898.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Jahresabonnement (1. Januar bis 31. Dezember) 7 Mark. Zu beziehen in 28 Halbheften zu 25 Pf. oder in 14 Heften zu 50 Pf.


Die arme Kleine.

Eine Familiengeschichte von Marie von Ebner-Eschenbach.
(6. Fortsetzung.)


Heller, lieblicher Herbstmorgen, köstliches Geschenk des alternden Jahres. Nach all dem Blüten- und Früchtesegen, den es verschwenderisch gespendet hat, noch so leuchtender Sonnenglanz, so erquickende Wärme, so mild wehende Luft! Jeder Blick über die lichtverklärte Erde wird Wonne, jeder Atemzug wird Dank. Luise empfand ihn, sein herrliches Gefühl durchdrang und erweiterte ihr Herz. Selig, wer es hat! selig, wer seinen himmlischen Reichtum auszuströmen vermag im vollen Maß – ohne Maß.

Luise preßte ihre Hände, die sich unwillkürlich gefaltet hatten, zusammen: Für alles Dank! auch für die Fähigkeit, zu danken.

Sie war unter dem Hausthor stehen geblieben und überblickte ihr Vorgärtchen: ein Rasenplatz mit einer Gruppe Monatsrosen, von einem Resedenkranz umgeben, und, vor dem neu aufgerichteten, grün angestrichenen Zaun junges Flieder- und Jasmingebüsch, das hoffentlich schon im nächsten Jahre blühen wird. Das Vorgärtchen machte den ganzen Luxus aus, den sie sich gestatten durfte; hinter dem Hause pflegte sie einige Gemüsebeete, da machte der Nutzen sich so breit, als der Raum es irgend zuließ; einige Obstbäume, der Schuppen mit dem Holzvorrat, eine kleine Bleiche füllten ihn aus. Am „End’ der Ende“ kam dann die zierliche Meierei, der eine Magd vorstand. Ein ältliches Wesen, an äußeren Vorzügen arm, an guten Charaktereigenschaften groß und im Besitz des wohlverdienten Vertrauens ihrer Gebieterin.

Als Luise über die Schwelle trat, wurde sie angenehm überrascht. Da stand an die Wand gelehnt ein Flüchtling – ihr windverwehter Sonnenschirm, und trug alle Spuren einer im Freien auf feuchtem Grunde zugebrachten Nacht. So ganz echt konnte seine braunrote Färbung wohl nie gewesen sein und erschien jetzt marmorartig gesprenkelt und gefleckt. Ja, das kommt davon, wenn einer eine Luftreise unternimmt, der nicht fliegen kann. Seine Eigentümerin betrachtete ihn, wendete ihn hin und her: in defektem Zustand ist er heimgekehrt, aber besser doch als gar nicht. Und der ihn gebracht hat, der redliche Finder, muß wie ein Einbrecher über den Zaun gestiegen sein, denn das Gitterpförtchen ist noch verschlossen.

Wer mag das gewesen sein? Ein Heger, oder einer der Jünglinge aus Velice, der vor Tau und Tage einen Spaziergang unternommen hat?

Sie nahm sich nicht Zeit, lang’ darüber nachzudenken, sie spannte den Wiedergeschenkten auf, mehr zu seinem als zu ihrem Nutzen, und ging ihre Wirtschaft bestellen. Wenn auch nur klein, gab sie doch zu thun, ein paar Stunden vergingen, ehe Luise zurückkehrte. Sie meinte ihren Gast noch schlafend zu finden. Indessen wurde sie in der Nähe des Hauses von den zirpigen


Datei:Die Gartenlaube (1898) b 0389.jpg

Ein Riesenstrauß.
Nach dem Gemälde von J. Cavé.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 389. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0389.jpg&oldid=- (Version vom 16.3.2021)