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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Tritt und trottet aus dem Stalle, etwas von verfluchten Weibsen, die da wirtschaften wollen und es nicht verstehen, murmelnd. Der Knecht folgt ihm und ruft im Hinausgehen Christel zu: „Die Frau sollt’s nur wissen, daß ihre heurigen Kartoffelmieten bis ins Bischwerdersche reichen, und für Futtermöhren und Rüben ist auch die Graft da drüben schon gegraben, und ebenso für ihre Kartoffeln; mir kann es ja recht sein!“

Christel ist plötzlich allein in dem halbdunklen Stalle; sie geht zu dem mißhandelten Pferde hinüber, das so stumm seinen Schmerz trägt und den Kopf nach ihr wendet, sie ansieht mit den ergebenen duldenden Blicken der armen Kreatur, die willenlos in der Menschen Gewalt gegeben ist. Sie klopft ihm den Hals und streichelt es, als wolle sie abbitten: „’s ist meine Schuld, du armes Vieh, ich hab’ mich nicht genug um alles gekümmert, hab’ alles vergessen über dem einen.“ Und dann lehnt sie wie schwindelig den Kops an den Hals des Tieres und ein trocknes hartes Schluchzen kommt aus ihrer Kehle. – Es ist unmöglich, Hausherr zu sein und zugleich Mutter; sie fühlt es, sie kann die Last nicht weiter tragen allein, wie soll es werden?

Als Wendlandt jetzt in den Stall tritt, wendet sich ihm ein banges verzweifeltes Gesicht zu, so daß er die Frau staunend betrachtet. Ihre sonst so entschlossene, ruhige Miene ist verschwunden, sie wiederholt nur halblaut die Frage: „Wie soll es werden, Wendlandt? Ich habe den Oberknecht und den Wilhelm fortschicken müssen; der eine trinkt und der andere ist unehrlich geworden.“

Wendlandt antwortet nicht gleich. Er untersucht das Bein des Pferdes und sagt dann ruhig: „Sieht schlimmer aus, Schwägerin, als es ist, aber stehen muß es seine Zeit.“

Christel schweigt. Sie hat die Hände gefaltet und sieht zu, wie der Mann dem verletzten Tiere eine Binde anlegt, so einfach, so sachgemäß. Sie versteht’s auch, aber die Scene vorhin hat sie förmlich gelähmt. Als er sich wieder aufrichtet, fragt er: „Was haben Sie mit dem Volk angefangen, Schwägerin?“

„Sie gehen alle beide,“ sagt sie leise.

Er beißt sich auf die Lippen. „Und die Arbeit, Schwägerin?“

Sie hebt die Schultern. „Muß sehen, daß ich Ersatz bekomme.“

„Hm!“

„’s ist meine Schuld,“ spricht Christel wieder, „ich konnt’ nicht so wie früher dabei sein.“

In diesem Augenblick steckt die Stallmagd den Kopf zur Thür herein: „Ich wollt’ man fragen, ob’s heute Mittagbrot giebt. Die Küche riecht sengrig und die Marie ist nirgends zu finden.“

Christel faßt sich unwillkürlich nach den Schläfen. „Ich komme gleich,“ erwidert sie. „Bitte, Schwager, lohnen Sie die beiden ab; Marie ist bei den Kindern, ich muß sie ablösen.“ Sie zieht die Börse und nimmt einen Hundertmarkschein heraus, den sie ihm giebt; sie hat das Geld heute früh durch die Post bekommen, für gelieferte Kartoffeln.

Er nickt. „Ist schon gefüttert?“ fragt er.

„Nein – Karl muß es thun, ich werd’s ihm sagen; er ist zum Schmied gelaufen, wird aber jeden Augenblick zurückkommen.“

„Gehen Sie nur, Schwägerin,“ sagt Wendlandt, „ich werd’ aufschütten.“

Er öffnet den Deckel der Futterkiste und kraut sich hinter den Ohren sie ist leer, wie ausgefegt. Christel nestelt den Schlüsselbund vom Gürtel und giebt dem Manne den Schlüssel zur Haferkammer. Sie ist ganz betroffen; gestern abend hat sie erst Futter ausgegeben, und heute ist alles verbraucht!

Wendlandt steigt die leiterartige Treppe empor, die zur Haferkammer führt. „Dahier fehlt der Mann!“ sagt er halblaut zu sich selbst. Sie starrt ihm nach mit bekümmertem Gesicht, dann wendet sie sich seufzend um.

„Dahier fehlt der Mann!“ Die Worte trafen ihre Seele. „Er hat recht, er hat tausendmal recht!“ Und sie sinkt, ohne ein Wort zu sprechen, in den Lehnsessel am Ofen der Kinderstube und kann nicht antworten auf die Vorwürfe der Kleinen: „Tante, warum bist du denn so lange geblieben – Tante Marie hat den Tisch gedeckt, essen wir bald?“ – „Tata Hunger!“ klagt die kleine Toni und wackelt unbehilflich zu ihr, und die andere ist erwacht und schreit wieder über ihr Wehweh!

Mit stummen Liebkosungen sucht sie die kleine Gesellschaft zu beruhigen und als Marie endlich die Suppe bringt, legt sie ihnen vor und füttert sie, aber das Herz ist ihr schwerer denn je.

Dahier fehlt der Mann!

Die Worte schütteln ihre Seele, sie sind so wahr, so unumstößlich wahr. Und wenn tausend Federn schreiben und tausend Zeugen behaupten, die Frau könne einen Beruf haben neben den Pflichten des Weibes – es ist nicht wahr! Eines oder das andere, beides wächst hinaus über menschliche Kraft und die heilige Ordnung des Hauses und der Familie, die gebotenen Pflichten werden gröblich vernachlässigt. Oder fremde Kraft ersetzt die unsere. Fremde Kraft, gewiß, wenn wir durch sie imstande sind, Zeit für höhere Aufgaben zu gewinnen. Aber, giebt es etwas Höheres auf der Welt, als seine Kinder heranbilden, sie zu nützlichen Menschen machen, sie Zucht und Sitte lehren? Kann da eine Fremde die Mutter ersetzen?

Christel, die mutige, starke, fühlt ihre Ohnmacht. Wo bleibt der Nutzen all der Bestrebungen, wenn man sich in zwei Berufe zersplittert, in den des Hausherrn und den der Mutter?

Halbheiten sind’s, und das eine oder das andere kommt nicht zu seinem Recht!

Als Wendlandt nach einer halben Stunde klopft, um ihr das Mietsbuch des Knechtes zu bringen – der Alte hat ein Zeugnis verschmäht – sagt er: „Schwägerin, so geht’s doch nicht, Sie wenden zu viel Zeit an die Kinder. Nehmen Sie sich eine Wärterin, sonst geht’s mit der Wirtschaft zurück, und Sie waren doch so recht im Zuge. Sie haben’s Zeug dazu, wie man so sagt.“

Sie hebt das trostlose Gesicht zu ihm empor. „Wendlandt, wenn’s meine eigenen wären, und selbst dann nicht; es ist eine zu große Verantwortung.“

„Nun ja – Sie machen sich’s aber auch zu schwer, Christel; es giebt doch zuverlässige Personen –“

Sie schüttelt den Kopf. „Nein – nie. Ich denke, es ist besser, ich nehme so eine Art Inspektor.“

Er schweigt.

„Ich lasse ein Gesuch einrücken.“

„Ja, Schwägerin, aber ich würde nicht dazu raten, das Gut ist zu klein.“ Und als sie nicht antwortet, reicht er ihr die Hand, „lassen Sie mich rufen, Schwägerin, wenn Sie mich brauchen können, ich komme herzlich gern.“

Damit geht er und sitzt dann bei Tische daheim seiner ärgerlichen Frau gegenüber, die natürlich schon von den Vorgängen auf dem Rödershofe weiß, und ist nicht imstande, Christel zu verteidigen.

„Du liebe Zeit,“ sagt sie spitzig, „sie hat’s nicht besser gewollt, und wenn einer dumm ist, muß er geprügelt werden. Geb’s Gott, daß es nicht zu spät ist. Die Kinder hat sie nun auch auf dem Halse und er läßt sich nicht wieder blicken. Paß auf, der verduftet nach Amerika und kommt nicht wieder!“

„Ist ja möglich!“ antwortet er.

„Und am letzten Ende fällt sie uns zur Last mitsamt den ‚Erben‘, denn die Wirtschaft geht zurück, das sieht jeder.“

Er antwortet nicht darauf, er redet von andern Dingen. Und nach Tische, bevor er auf die Felder wandert, geht er zum Schmied des Pferdes wegen und dann nach dem Gasthof, und wie er dort den, welchen er sucht, des Gastwirts Weiser jüngsten Sohn, vor der Thür stehen sieht, die Reservistenmütze auf dem Kraushaar, sagt er: „Karl Weiser, willst du mir einen Gefallen thun?“

„Gern, Herr Wendlandt.“

„Dann geh’ zur Aushilfe nach dem Rödershof, zum Säen und Pflügen und Düngerstreuen. Der Meier und der Kleinknecht haben sich erzürnt und sind beide fort seit heute; meine Schwägerin ist in Verlegenheit um einen Ersatz.“

„Herr Pate,“ antwortet der junge frische Mensch und schiebt verlegen die Mütze von einem Ohre zum andern, „länger Wie bis Anfang oder höchstens Mitte Dezember könnt’ ich aber nicht, dann will ich in die Stadt und meinen künftigen Schwiegereltern ein wenig im Laden helfen, und Neujahr gehe ich auf die landwirtschaftliche Schule.“

„Sollst auch nicht länger, Karl, aber geh’ jetzt hin; bis Anfang Dezember wird ein Ersatz da sein. Weißt ja Bescheid mit der Arbeit; und wenn du auf die Schule gehst, da zeige dich vorher bei mir, bist ja mein Patenkind – vergiß das auch nicht!“

(Schluß folgt.)




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