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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Bauwerks eine Verkaufshalle für die Gilde der Tuchhändler und in dem ersten Stocke die „große Ratsstube“. Nach der Marktseite zu öffnet sich eine zweiteilige Vorhalle, die nach der Meinung Sachverständiger eine Nachahmung der offenen Gerichtshallen der alten Richthäuser darstellt. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts wurde an die rechte Seite des Rathauses ein neuer kleiner Teil, das sogenannte „Brothaus“, angebaut. In dem Erdgeschoß befanden sich der Verkaufsstand der Bäcker und die große Ratswage; das obere Stockwerk diente als „kleine Ratsstube“ und war mit der „großen Ratsstube“ in dem Hauptbau verbunden. Der Rathausgiebel, der mit dem Standbilde Karls des Großen geschmückt war, wurde schon im Jahre 1608 abgenommen. Zu Anfang dieses Jahrhunderts wurde das Rathaus gänzlich umgebaut, dabei seiner Zieraten beraubt und durch häßliche Zuthaten gänzlich entstellt. Inzwischen ist aber wie in anderen Städten so auch in Dortmund der Wunsch nach Erhaltung berühmter Baudenkmäler der Vergangenheit rege geworden. Erst vor kurzem (vgl. Jahrgang 1897, S. 356, der „Gartenlaube“) haben die Dortmunder das Gildenhaus renoviert, und gegenwärtig ist man damit beschäftigt, auch das alte Rathaus wiederherzustellen. Zu diesem Zwecke haben freigebige Kunstfreunde der Stadt 150 000 Mark aufgebracht; die Provinz Westfalen hat ferner 20 000 Mark und die Stadt 50 000 Mark beigesteuert. Mit dem Umbau, der nach einem Plane des Stadtbauinspectors Kullrich ausgeführt wird, hat man bereits begonnen, und voraussichtlich wird dieses Wahrzeichen der „Tremonia“ bis zum Frühjahr n. J. in „alter Pracht und Herrlichkeit“ dastehen. Nach seiner Renovierung wird das Rathaus in seinen Räumen die Schätze des Dortmunder Museums bergen und zu Repräsentationszwecken verwandt werden.

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Das Wartburgfest im Jahre 1848.
Nach einer gleichzeitigen Abbildung gezeichnet von Fritz Bergen.

Das Wartburgfest von 1848. (Mit obenstehendem Bilde.) Der stolze Aufschwung des Nationalbewußtseins, welcher im Frühjahr 1848 das deutsche Parlament ins Leben rief, hat bald nach dessen Zusammentritt auch in einer großen öffentlichen Kundgebung der deutschen Studentenwelt seinen Ausdruck gefunden. Von Jena aus, dessen Studentenschaft 1817 das erste große Wartburgfest veranlaßt hatte, war an die Studierenden aller deutschen Universitäten eine Einladung ergangen, die für die kommenden Pfingsttage eine allgemeine Versammlung in Eisenach und auf der Wartburg anberaumte. Die Reform der deutschen Universitäten im Geiste der neugewonnenen Freiheit und Einheit war der Zweck der Versammlung. Von dem Wartburgfest des Jahres 1817 hatte die nationale Freiheitsbewegung, die jetzt gesiegt hatte, ihren Ausgang genommen; damals hatte man hier oben den Erinnerungstag an die Völkerschlacht bei Leipzig unter lebhaften Protesten begangen wider die Metternichsche Reaktionspolitik, welche das deutsche Volk um die Früchte des heldenmütigen Kampfes gegen Napoleon betrog. Jenes erste Wartburgfest hatte dann dem österreichischen Staatskanzler den Vorwand geboten für die grausame „Demagogenverfolgung“, deren Hauptopfer die auf der Wartburg gegründete Deutsche Burschenschaft war. Unter der Herrschaft der Bundesbeschlüsse, welche die Demagogenverfolgung gesetzlich regelten, waren dann die Universitäten der nämlichen polizeilichen Ueberwachung verfallen wie Litteratur und Presse. Die Vorträge der Professoren unterstanden einer peinlichen Censur; die Reisen der Studenten, ihre Uebersiedelung an andere Universitäten bedurften der behördlichen Genehmigung; den österreichischen Studenten war es nahezu unmöglich gemacht, auf anderen deutschen Hochschulen jenseit des „Mautcordons“ zu studieren. Gerade dieser unerhörte Druck hatte viel dazu beigetragen, daß die besten Männer unter den Professoren, die edelsten Jünglinge unter den Studenten Führer und Anhänger der politischen Opposition wurden. Jetzt war der Druck beseitigt, die mit allen Mitteln niedergehaltene Opposition der Patrioten hatte gesiegt – nun galt es, dem Gewinn des Sieges Gesetzeskraft für alle Zeiten zu sichern.

Dieser Aufgabe entsprachen die Beschlüsse, welche die Versammlung, zu der mehr als 1200 Studenten in Eisenach eintrafen, am 11. und 12. Juni nach lebhaften Beratungen faßte. Eine Adresse an die Frankfurter Nationalversammlung gelangte zur Annahme, und die darin enthaltenen Hauptforderungen lauteten: die Universitäten sollen Nationalanstalten werden; die Oberleitung übernimmt das Unterrichtsministerium; im einzelnen wird das Prinzip der Selbstverwaltung anerkannt; unbedingte Lehr- und Hörfreiheit wird gewährt; jede akademische Ausnahmegerichtsbarkeit wird aufgehoben. Diese Forderungen fanden dann in der Paulskirche bei Beratung der „Grundrechte“ auch Berücksichtigung. Des weiteren setzte die Versammlung, an welcher Korpsstudenten ebenso teilnahmen wie Burschenschafter, einen Ausschuß ein für die Neuordnung des Verhältnisses der Studenten untereinander. Dieser Ausschuß stellte die folgenden Grundsätze auf: „Die Studenten vereinigen sich zu einer großen organisierten Studentenschaft, deren Mitglieder völlig gleichberechtigt sind; jeder Student einer deutschen Universität ist auch akademischer Bürger der anderen.“ Bei den Verhandlungen, denen Lang aus München, ein Württemberger, mit sicherer Kraft präsidierte, platzten die Geister lebhaft aufeinander; doch die vermittelnden Anträge kamen zu friedlicher Annahme.

Von den festlichen Veranstaltungen, welche nach den Beratungen die Studenten in froher Lust vereinigt sahen, bildete das Fest auf der Wartburg am Abend des dritten Pfingstfeiertags die Krone. Nachmittags um 5 Uhr versammelten sich die Teilnehmer auf dem Eisenacher Marktplatz. Mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen ging’s dann

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0419.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)