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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

ihren Blick auf Luise und sah ihr tief und fest in die Augen: „Kannst du dir nicht denken, was das andre war?“

„Nein, gar nicht.“

„Hast du auch nicht bemerkt, daß du mir einmal sehr zuwider gewesen bist?“

„O weh! Sieh nur, auch das hab’ ich nicht bemerkt.“

„Du bist mir zuwider gewesen, weil er immer so verlegen worden ist vor dir und so rot.“

„Ach geh! du träumst.“

„Nein. Und jetzt sag’ ich dir das andre, das ihn fortgetrieben hat.“ Ihre Stimme hatte einen rauhen und gedrückten Ton: „Daß du ihn behandelt hast wie ein Kind und daß er dich lieb gehabt hat – geliebt hat, begreifst du?“

„Du bist nicht gescheit … Was das für Einbildungen sind! Schlafe deine Einbildungen aus.“ Sie erhob sich: „Gute Nacht also.“

„Gute Nacht.“ Elika erwiderte kühl ihren herzlichen Händedruck.

Luise trat an den Tisch, nahm das „Buch der Lieder“. „Du erlaubst doch,“ sagte sie, löschte das Licht und verließ das Zimmer. – 00000000000000000000

Am folgenden Vormittag kam Leopold, wie immer heiter und gut gelaunt, und fand Luise und Elika im Garten hinter dem Hause, mit dem Abnehmen der schönen Früchte eines Zwergapfelbaumes beschäftigt. „Fleiß und Arbeitsamkeit wohin man schaut!“ rief er ihnen zu. „Guten Tag, zwei Gute Tage!“ erwiderte er die Begrüßung der Tante und der Schwester. „Wo war ich jetzt? – In Valahora. Ja, meine Damen, staunen Sie! Rühmst dich vor dem Patriarchen und den Erztanten dieser Visite beim Teufel nicht, habe ich mir vorgenommen und – wen finde ich beim Teufel? – den Papa.“

„Diesen Engelspapa!“ sprach Elika ganz begeistert, und Leopold bewunderte auch, daß sich der Papa an das Geschwätz über Bornholm nicht kehrte. Aber komisch war es, wie ihn in Valahora nichts so sehr interessierte als die australischen Zeitungen. Bornholm …

„Wie geht’s mit seinem Arm?“ unterbrach ihn Luise, nahm einen letzten herrlichen Calvilapfel vom Baume und legte ihn sorgsam in den Korb, der schon die übrigen barg.

„Seid ihr fertig? darf ich das tragen?“ fragte Leopold.

„Du darfst; darfst auch so viel nehmen als dir beliebt ...“

„Wie es Bornholm geht, möchten wir wissen,“ fuhr Elika ungeduldig drein.

„Davon war nicht die Rede. In den Rockärmel scheint er nicht hineingekommen zu sein, war in einen Plaid drapiert wie ein Schotte. Den Hansl hatte er schon gefüttert und longiert.“

„Tante,“ wendete er sich an Luise, „darf ich mich bei euch ein bißchen niederlassen, oder hast du zu thun und schickst mich fort?“

„Wir haben nichts zu thun als dir zuzuhören. Also wie war’s in Valahora?“

Sie setzten sich alle drei ins Gras unter einen alten Nußbaum, der teils ganz dürre, teils spärlich belaubte Aeste gegen den Himmel reckte. Leopold lehnte behaglich den Rücken an seinen Stamm, streckte die langen Beine und sprach:

„Bornholm packt heute eine von den Kisten aus, die er sich hat nachschicken lassen. Pflanzen, Mineralien kommen zum Vorschein, alles von Joseph etikettiert, katalogisiert. Bornholm sagt, die Matura wird Joseph nie bestehn, aber einen akademischen Grad als Naturforscher verdient er heute schon. Das hat den Papa gefreut.“

„Und freut mich – und dich – und dich!“ rief Elika, sprang auf, umarmte Luise und Leopold nacheinander stürmisch und zärtlich und setzte sich wieder zwischen sie: „Und was war noch drin in der Kiste?“

„O, reizende Sächelchen! Zwei schneidige Katta-Twirris, durch und durch mit Blut getränkt, eine Waddy, an der noch die Haare des letzten kleben, der mit ihr erschlagen worden ist. Ein Trinkgefäß aus der Hirnschale eines Eingeborenen …“

„Entsetzlich,“ unterbrach ihn Luise.

„Den australischen Weibern kommt es nicht so vor. Bornholm sagt, daß fast jedes von ihnen einen solchen Trinkbecher benutzt, den sich die Damen zurecht rösten und polieren.“

„Kannibalenart.“

„Du, Tante, denk’ nicht gering von den Kannibalen, wenn du’s mit Bornholm nicht verschütten willst. Bornholm sagt, daß sie Gold sind im Vergleich zu den Europäern, die ekelhafte Geldgier nach Australien treibt und die ...“

„Laß gut sein. Da spricht Bornholms Vorliebe für die dem Tiere näherstehende Rasse.“

„Möglich, sie sind naiv, und Naivetät ist Unschuld, sagt Bornholm.“

Luise sah ihn mit gutmütigem Spotte an: „Sagt Bornholm. Ich möchte wissen, wie oft du das schon wiederholt hast. Eine Stunde warst du bei ihm und kommst zurück zum Ueberfließen mit seinem Geiste angefüllt. Ueberhaupt, meine lieben Kinder, seitdem der Mann da ist, wird nur noch von ihm gesprochen! Ich bitte um eine andre Konversation.“




Elika kam nach Velice zurück und Frau Heideschmied und Apollonia ließen es sich nicht nehmen, das Ereignis durch die Errichtung eines Triumphbogens vor dem Schloßthore zu feiern. Sie nahm die Huldigung sehr gnädig und sogar gerührt entgegen. Sie war höchst liebenswürdig und sehr sanft und ein bißchen verträumt, und Charlotte fand, das Kind habe seit der Heimkehr „etwas Eigenes“. Sie hatte sich ganz entschieden verändert während der vierzehn Tage, die sie auf Urlaub zubrachte. Jeder fand es, und jeder wollte an ihr etwas Ungewohntes entdecken.

„Gewachsen ist sie,“ meinte Franz, „das ist das Ganze.“

Aber Elika lachte: „In vierzehn Tagen so gewachsen, daß man’s merkt? Du bist nicht gescheit!“

„Gut also, so bin ich nicht gescheit; dann aber war Hanusch es auch nicht. Der hat gleich gesagt: ‚Wie groß sie geworden ist und –,‘“ jetzt brach er in Lachen aus, „‚wie schön!‘ Ein guter Kerl der Hanusch.“

„Ja freilich, weil er mit dir auf die Jagd geht und dir die Hasen trägt.“

„Freilich“ – er machte ihr nach – „immer sagst du: freilich. Freilich geht Hanusch mit mir auf die Jagd, er geht aber auch durchs Feuer für mich.“ Er sagte das ganz zornig und wurde puterrot. Das war jetzt so und völlig unheimlich, daß er über die kleinste Kleinigkeit, über den geringsten Widerspruch förmlich in Wut geraten konnte.

„Und das schadet ihm,“ hatte Apollonia seiner Schwester anvertraut.

Die war in Schrecken versetzt: „Es fehlt ihm doch nichts?“

„Nichts, mein Herzerl … daß du gleich so erschrickst! nichts fehlt ihm … Nur – weißt, wenn einer so im Wachsen ist und das viele Studieren – die Plag’.“

Jawohl, das Studieren strengte ihn an, war eine große Plage für ihn, und nur aus Pflichtgefühl unterzog er sich ihr. Elika besann sich eines Wortes, das Heideschmied einmal zu Tante Charlotte gesprochen hatte, die ihren Großneffen einige Professorensöhne zum nachahmenswürdigen Beispiel angeführt hatte.

„Kaum zu verlangen, kaum zu vergleichen, meine Gnädigste; jene jungen Leute haben von Vater und vielleicht schon von Groß- und Urgroßvater her trainierte Gehirne.“

Es kamen stille Wochen. Der Verkehr mit den entfernteren Nachbarn hatte seit dem Tode Frau von Kosels völlig aufgehört. Nur während der Treibjagden im November füllte Schloß Velice sich drei Tage lang mit Gästen. Vorläufig war Luise die einzige, die sich Nachmittag für Nachmittag einfand, die man immer freudig begrüßte, immer ungern scheiden ließ, die immer wohlthuend und erheiternd wirkte. Es war ein Ereignis, als sie einmal ausblieb. Bis sieben Uhr warteten die Tanten in Aufregung und Sorge; dann ritt Leopold nach Vrobek, um zu fragen, was denn geschehen, ob denn Luise unterwegs verunglückt sei. Nun – gottlob, nein; sie war schon deshalb unterwegs nicht verunglückt, weil sie gar nicht ausgegangen war. Ein Besuch hatte sie aufgehalten. Bornholm war bei ihr gewesen.

Die Nachricht setzte Herrn von Kosel in großes Staunen. „Bornholm ist bei ihr gewesen? … Höre, Tante Renate, hör’ einmal, Tante Charlotte – Bornholm,“ sagte er mehrmals nach jeweiligen gehörigen Zwischenpausen.

Im Sibyllenturm wurde Luise am nächsten Tage womöglich noch liebevoller als sonst empfangen, und dennoch machte etwas

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 426. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0426.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2021)