Seite:Die Gartenlaube (1898) 0431.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Luise war aufgestanden und begrüßte die Damen, Bornholm blieb sitzen. Er gab sich keine Mühe, zu verbergen, wie verdrießlich die Unterbrechung seines Gesprächs mit Fräulein von Kosel ihm war. Frau Heideschmied, viel zu wohlerzogen, um die Verlegenheit der Herrin des Hauses und die Unart ihres Gastes zu bemerken, nahm dankend die Einladung Luisens, sich neben sie aufs Kanapee zu setzen, an und teilte ihr in höchst angeregtem Tone mit, daß es regne und wahrscheinlich den ganzen Tag fortregnen werde, wenn nicht etwa Aufheiterung eintreten sollte.

Elika hatte sich neben sie auf einen Fauteuil placiert. Ihr kluger und scharfer Blick glitt über die drei: über Bornholms finsteres Gesicht, über Luise, die so befangen, Frau Heideschmied, die so wohlerzogen war. Sie verstand alle, erriet, was in jedem von ihnen vorging, sie hatte das stolze Bewußtsein, die Situation völlig zu beherrschen, sie, die jüngste, sie, das „kleine Mädchen“. – „Wir kommen, dich zu Tische zu bitten, Tante Luise,“ sagte sie mit einer freundlichen und anmutigen Ueberlegenheit, die Frau Heideschmied entzückte. „Der Herr Pfarrer und der Herr Doktor und der Herr Direktor und seine Frau werden erscheinen. Nachmittags arrangieren Leopold und Franz eine große à la guerre-Partie im Billardzimmer. – Wollen Sie uns auch das Vergnügen machen, zu Tische zu kommen, Herr Bornholm?“

Er verneigte sich obenhin, in seiner spöttisch ablehnenden Miene war die Frage zu lesen: Ist das Ihre Sache, mich einzuladen?

Schnell und gleichsam zu ihrer Rechtfertigung setzte Elika hinzu: „Der Papa und die Tanten würden sich gewiß sehr freuen, Sie zu sehen.“

„Ja dann,“ er hatte immer noch seine spöttische Miene, „und wenn Sie es erlauben, werde ich am Nachmittag nach Velice kommen.“

„Zu Tische nicht?“

„Mit Ihrer Erlaubnis, am Nachmittag,“ wiederholte er ungeduldig.

„Auf Wiedersehen also!“ Elika stand auf und, als ob sie elektrisch mit ihr verbunden wäre, zugleich auch Frau Heideschmied.

„Auf Wiedersehen, meine, meine Kleine,“ sprach Luise, winkte sie zu sich heran, umschlang und küßte sie.

In Gnaden hatte Elika sich zu ihr herabgeneigt und sich ihre Liebkosungen gefallen lasten. Jetzt, wieder aufgerichtet, warf sie einen Seitenblick auf Bornholm und fragte: „Wie geht’s dem Hansl?“

„Gut.“

„Ist er brav und haben Sie ihn lieb?“

„Lieb? – er nützt mir und ich nütze ihm. Das hat mit dem Liebhaben nichts zu thun,“ erwiderte er trocken und abweisend. Es fehlte nur, daß er noch hinzugefügt hätte: Alberne Frage!

Elika zuckte traurig die Achseln, wendete sich und ging, wurde aber, ehe sie die Thür erreichte, von Luise eingeholt. Die nahm ihren Arm und begleitete sie die Treppe hinab. In der Halle blieben sie stehen und die Kleine sagte mit einem tiefen Seufzer: „Er ist noch sehr verwunschen!“

„Warum sind Sie so unfreundlich mit ihr?“ fragte Luise, die, in den Salon zurückkehrend, Bornholm auf seinem frühern Platze fand. Er hatte beide Hände in die Taschen gesteckt und schaukelte sich auf seinem Sessel: „Ich weiß es selbst nicht. Sie ärgert und langweilt mich. Sie hat etwas so Gouvernantenmäßiges. ‚Haben Sie ihn lieb?‘ Unerträglich fad, solche Sachen … Ich hab’ überhaupt nichts lieb. Ich kenne das nicht.“

„Sie kennen das nicht?“ wiederholte Luise ungläubig. – „Herr Bornholm, wenn ich ein Wort wüßte, das genau das Gegenteil von Selbstüberschätzung bedeutet, würde ich es Ihnen zurufen.“

„Es träfe mich aber nicht. Mich zu verleumden, liegt mir fern, gerade so fern wie es mir liegt, etwas zu bereuen“ … Er sprudelte es heraus mit unmotivierter Heftigkeit in unzusammenhängenden Sätzen: „Man ist wie man ist – kann es in schwachen oder, wenn Sie wollen, in hellen Stunden bis zur Verzweiflung bedauern, ändern kann man es nicht. Man kann nicht für sein Selbst … muß sich weiterschleppen mit diesem unzertrennlichen, miserablen Ich … Sie erschrecken? erschrecken Sie doch nicht!“

„Ja – auch ich kann nicht anders, auch ich bin wie ich bin, das heißt, in beständiger Angst, wenn sich jemand vor mir auf seinem Sessel schaukelt. Wollen Sie nicht die Güte haben, ruhig sitzen zu bleiben?“ Sie sprach es bittend, lehnte sich vor und sah ihn, der die Hände aus den Taschen gezogen und eine stramme Haltung angenommen hatte, heiter und freundlich an. Ihre Blicke ruhten ineinander, und die Härte und der Trotz des seinen milderten sich unter dem Einfluß der unendlichen Güte, die ihm aus dem ihren entgegen leuchtete.

„Jetzt haben Sie mir wieder wohlgethan,“ sprach er. „Sie übersehen das Unverbesserliche an mir und rügen eine üble Gewohnheit, die ich – in Ihrer Gegenwart wenigstens – ablegen kann.“

„Die Rüge war doch auch recht gouvernantenmäßig … Dank, daß Sie es mir verzeihen,“ kam sie der Einwendung zuvor, die er machen wollte. „Und jetzt muß ich Sie verabschieden. Ich habe noch viel zu thun und weiß nicht, wie ich’s in ein paar Stunden fertig bringe.“ Sie reichte ihm über dem Weißzeugberg die Hand, die er kräftig schüttelte.

(Fortsetzung folgt.)




Ein Tag im Postzeitungsamt zu Berlin.

Von Wilhelm Berdrow.

[ Da der Verfasser erst 1954 verstorben ist, kann der Text hier erst ab 2025 transkribiert werden.]


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0431.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2021)