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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

die ehemals befestigte Ortschaft Montemurlo. Dort floß im Sommer 1537 zum letztenmal florentinisches Blut im Kampfe für die Freiheit.

Filippo Strozzi hatte endlich die Ausgewanderten durch ganz Italien unter einen Hut gebracht, er selbst gab die Mittel für das ganze Unternehmen. Frankreich und der Papst bliesen heimlich in die Flammen. Aber Filippo Strozzi war kein Feldherr. Mit einer Handvoll Soldaten und etlichen sechzig Ausgewanderten zog er wohlgemut wie zu einer Lustpartie von Bologna herunter und setzte sich in der sichern Erwartung, daß sein Sohn Roberto mit der Hauptmacht von Mirandola her zu ihm stoßen werde, in dem halbzerfallenen Schlößchen von Montemurlo fest. Jedoch Roberto blieb mit den Seinen infolge heftiger anhaltender Regengüsse im Gebirge stecken, und der ältere Bruder Piero, der, die Gefahr des Vaters erkennend, ihm mit einem andern Truppenteil nachgezogen war, erlitt durch eigene Uebereilung zwischen Prato und Florenz eine schwere Niederlage. Bevor Entsatz zur Stelle war, mußte auch das schwach verteidigte Montemurlo sich ergeben. Die bezahlten Hauptleute streckten zuerst die Waffen, die Ausgewanderten, unter ihnen Filippo Strozzi, der an diesem Tage die Sünden seiner Vergangenheit gut machte, wurden mannhaft kämpfend gefangen genommen. Eine Viertelstunde später erschien die Hauptmacht mit wehenden Fahnen vor Montemurlo und stieß dort auf Pieros zersprengte Scharen, aber beide Brüder kamen zu spät, den Vater zu retten, und kehrten mit ihren Truppen, selber übel zugerichtet, über den Apennin zurück.

Der reichste Mann Italiens, der mit Königen und Päpsten als ihresgleichen verkehrt hatte und ein Liebling des Glücks gewesen, wurde nebst den andern auf einem elenden Klepper schmachvoll als Hochverräter nach Florenz geschleppt. Viele Tage hintereinander floß das Blut der Gefangenen im Hofe des Bargello,[1] bis die Haltung des Volkes so drohend ward, daß Cosimo von weiteren Hinrichtungen abstand und den Rest der Unglücklichen zum langsameren Tod in unterirdischen Verließen begnadigte.

Nur des Strozzi konnte er zu seinem Verdruß nicht habhaft werden, denn sein alter Freund Vitelli, dem Filippo sich persönlich ergeben hatte, hielt ihn in der Festung als Gefangenen des Kaisers verwahrt, um ihm Geld und kostbare Geschenke auszupressen. Jeden Einfall des habsüchtigen Kommandanten und seiner Frau befriedigten Filippos Söhne von Venedig aus, aber sie konnten die Lage ihres unglücklichen Vaters nicht erleichtern. Er wurde wiederholt gefoltert, weil man ihm das Geständnis entreißen wollte, daß er an Alessandros Ermordung mitschuldig gewesen, und eines Tages fand man ihn tot in dem Gefängnis, das er selbst gebaut hatte – es hieß, er habe selber Hand an sich gelegt, aber der Verdacht blieb an Cosimo haften, daß er ihn im Einverständnis mit dem Kommandanten heimlich habe töten lassen.

Jetzt lebte nur noch einer, nach dessen Blut Cosimo dürstete. Der „neue Brutus“ war nicht mit nach Montemurlo gezogen. Filippo Strozzi hatte ihn zu seiner Sicherheit nach Mirandola geschickt, das im Bund mit Frankreich stand; er sollte dort Truppen für die Ausgewanderten werben. Aber nach dem Tag von Montemurlo war auch in Mirandola seines Bleibens nicht mehr, und nun begann für den Geächteten ein unstetes Wanderleben. Mit Filippo Strozzi hatte er den einzig wahren Freund verloren, für die andern war die Person des Verräters und Fürstenmörders eine Verlegenheit.

Zuerst flüchtete er nach Frankreich zum König Franz, der ihn freundlich aufnahm und ihn gleich mit einer Gesandtschaft nach Konstantinopel weiterschickte. Vom Orient zurückgekehrt, hielt er sich längere Zeit in Paris im Haus eines florentinischen Ausgewanderten verborgen; dort sah ihn Benvenuto Cellini wieder, der damals für den König Franz arbeitete. Eine Zeit lang gab er sich auch für einen Studenten aus. Er mußte häufig Namen und Wohnung wechseln, weil Cosimo, der geschworen hatte, den Tod seines Vorgängers zu rächen, ihm überall nachspüren ließ. Sein Leben war eine beständige Furcht. Unter dem Druck der ewigen Verfolgung versiegte auch sein Talent. Nur einmal raffte sein erschöpfter Geist sich noch auf, als er ungefähr ein Jahr nach der That die berühmte Schutzschrift L’apologia di Lorenzo de’ Medici verfaßte, worin er die Gründe seines Handelns verteidigt. Es ist eine Schrift von so hinreißender Beredsamkeit und messerscharfer Logik, daß man zu sagen pflegte, Lorenzino habe mit der Feder den Herzog Alessandro zum zweitenmal getötet. Sonst schrieb er im Exil nichts weiter als ein paar schwermütige Sonette, um seiner Sehnsucht nach den Ufern des Arno Ausdruck zu geben.

Schnell verwelkte sein Ruhm. Die Freunde, die ihn ihren Brutus genannt, hatten teils unter dem Beil geendet, teils schmachteten sie noch in Cosimos Kerkern, die übriggebliebenen hatten mit dem Bestehenden ihren Frieden gemacht oder lebten da und dort zerstreut in der Verborgenheit. Nur die Strozzi standen treulich zu ihm. Filippos Söhne, die ihrem liebenswürdig leichtsinnigen Vater im Leben wenig Ehrfurcht bewiesen hatten, wollten nach seinem Tode pietätvoll sein gegebenes Wort einlösen und führten Lorenzos Schwestern Maddalena und Laudamia heim. Aber der blutige Glorienschein um das Haupt des Tyrannenmörders verbleichte, die Zeit ging unerbittlich über das Geschehene hinweg. Zehn Jahre nach seiner That war er ein Vergessener.

Nur Cosimo und der Kaiser vergaßen ihn nicht. Karl verlangte Sühne für das Blut seines Schwiegersohnes, und Cosimo fand seine Rechnung dabei, dem Kaiser gefällig zu sein: zwischen ihm und Lorenzino herrschte von Jugend auf bitterer Haß, der durch den langen Erbschaftsprozeß noch verschärft worden war, und überhaupt lag es in Cosimos Interesse, in der Verwandtschaft aufzuräumen. Seine besoldeten Mörder waren dem Unglücklichen überall auf den Fersen und sogar die offiziellen Gesandtschaften hatten den Auftrag, „die Pestbeule, den Verräter Lorenzo“ aus der Welt zu schaffen.

Nach dem Tode Franz’ I war Lorenzino wieder nach Venedig zurückgekehrt, wo noch ein Häuflein florentinischer Ausgewanderter zusammenhielt. Seit Catarina de’ Medici, Alessandros Schwester, den Thron mit Heinrich II teilte, war es ihm in Frankreich nicht mehr geheuer. Die Inselstadt beschützte politische Verbrecher, und der Gondelverkehr bot ihm dort eine verhältnismäßige Sicherheit. In Venedig führte er den Namen eines Herrn Marco und wohnte mit seiner Mutter und einem mütterlichen Oheim zusammen; Piero Strozzi versah den Schwager mit Geldmitteln und hielt ihm drei Bewaffnete zur persönlichen Sicherheit.

Aber der Roman seines Lebens neigte sich zum Ende. Ob er es müde geworden war, so ängstlich auf seiner Hut zu sein, ob ihn die Länge der Zeit unvorsichtig gemacht hatte: er ging häufig zu Fuß durch die engen Gassen und ließ sich unter den Fenstern einer schönen Dame blicken, zu der er ein leidenschaftliches Verhältnis unterhielt. Und doch wußte er, daß er keinen Augenblick seines Lebens sicher war. Verdächtige Persönlichkeiten hatten sich wiederholt in seine Nähe gedrängt, einmal war sogar die Gondel, in der Lorenzino sich befinden sollte, von unbekannten Strolchen, die sich für Zollwächter ausgaben, gewaltsam angehalten und durchsucht worden. Und noch ein andres Schwert hing schreckhaft über seinem Haupt: Cosimo hatte der venetianischen Regierung einen flüchtigen Verbrecher ausgeliefert und erwartete in der Person seines geächteten Vetters das Gegengeschenk. Zu seiner Sicherheit sprengten die Freunde aus, er sei nach Frankreich zurückgekehrt, aber schon hatten zwei Glücksritter, die von Cosimo gedungen waren, seine Spur gefunden, und am 26. Februar 1547 lief er endlich in sein Verhängnis.

An diesem Morgen sahen die zwei Mordgesellen Lorenzino mit seinem Oheim in die Kirche Sän Polo, die seiner Wohnung gegenüberlag, zur Messe gehen. Sie postierten sich unter der Kirchthüre, bis die beiden heraustraten, und fielen sie auf der menschenleeren Piazza an.

Lorenzino wurde mit gespaltenem Schädel zu Boden gestreckt und sein Oheim, der ihn verteidigen wollte, gleichfalls schwer verwundet. Beim ersten Lärm flog die Mutter Lorenzinos herbei, und die unglückliche Frau kam gerade recht, den letzten Seufzer ihres sterbenden Sohnes zu empfangen. Auch der Oheim erlag seinen Wunden; es hieß, die Waffen seien vergiftet gewesen.

Lorenzinos Name schwankt auf ewig in der Geschichte zwischen Schmach und Ruhm. Vieldeutig wie sein Charakter

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 448. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0448.jpg&oldid=- (Version vom 15.6.2021)
  1. Bargello, das damalige Justizgebäude, jetzt Nationalmuseum.