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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Halbheft 15.   1898.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Jahresabonnement (1. Januar bis 31. Dezember) 7 Mark. Zu beziehen in 28 Halbheften zu 25 Pf. oder in 14 Heften zu 50 Pf.


Schloß Josephsthal.
Roman von Marie Bernhard.


1.

Das Hausmädchen des Professor Laurentius kam ins Wohnzimmer und brachte ihrem Herrn die Abendzeitung. Sie kam und ging auf leisen Sohlen, hütete sich sorgsam, irgendwo anzustoßen; an der Thür blickte sie noch einmal zurück in das behagliche Zimmer, in dem die große Hängelampe so hellen Schein verbreitete. Sonst war der Professor dem Mädchen stets entgegengeeilt, hatte das von Druckerschwärze noch feuchte Blatt aus ihrer Hand genommen und häufig genug schon im Stehen begonnen zu lesen. Heute ließ er Bertha bis zum Tisch kommen, hatte keine Antwort auf ihre geflüsterte Frage wegen der Stunde des Abendessens und winkte nur mechanisch – – – ja, ja, es sei gut – schon gut – und sie könne gehen!

Leise legte sich die Thür ins Schloß. Der Professor saß, den Kopf in die Hand gestützt, und starrte mit zusammengezogenen Brauen ins Lampenlicht. Es war, als horchte er.

Hinter seinem Rücken teilten sich die dicken, dunklen Thürvorhänge – eine blonde Frau trat näher. Ein ungewöhnlich sympathisches Gesicht hatte sie, gute und kluge blaue Augen, die viel verstehen gelernt haben mußten. Nicht mehr sehr jung und durchaus nicht schön – aber wenn die Leute, die sie kannten, so häufig von ihr sagten „die reizende Frau“, so waren sie in ihrem Recht.

Ihre blauen Augen hatten eben geweint, man sah es deutlich, aber um die Lippen legte sich ein weiches Lächeln. Die Frau trat von rückwärts her lautlos an ihren Mann heran und schlang ihm beide Arme um den Hals.

Er fuhr herum, seine Augen trafen in die ihrigen.

„Maria –“ begann er atemlos.

Sie neigte sich ganz zu ihm hernieder.

„Außer jeder Gefahr!“ flüsterte sie dicht an seinem Ohr. „Die Operation ist nicht nötig!“

Wieder quollen ihr die Augen über, die Thränen fielen rasch und dicht in ihres Mannes Haar. Der Professor sagte kein einziges Wort, er atmete nur ganz tief auf, wie ein Mensch, der den Druck einer namenlosen Angst sich von der Seele wälzen will, und lehnte sein Haupt gegen den Arm seiner Frau. Die Lippen zitterten ihm, er konnte nicht reden. Wozu denn auch? Maria wußte ja, wie ihm zu Mute war.

„Komm!“ Sie zog ihn empor und mit sich ins andere Zimmer; sie mußte ihm doch ausführlicher erzählen.

Auch hier, in diesem Raum, brannte eine Hängelampe. Ihr Licht fiel auf Bücher, Bücher ohne Zahl und Ende, in jeder Größe, in jedem Einband. Eine Gelehrtenwerkstatt, wie man sie sich besser kaum denken kann!

Hand in Hand saßen die zwei auf dem weichen, braunen Ledersofa.

„Also,“ begann die Frau mit leiser Stimme, in der die Erregung noch nachzitterte, „unser Doktor kam und brachte den andern mit, den berühmten Chirurgen. Sie hoben Werner aus dem Bett, wickelten ihn in Decken und legten ihn auf den großen Tisch – dort konnten sie besser sehen. Ich leuchtete ihnen mit der Lampe!“

Der Professor faßte die Hand seiner Frau fester und küßte sie drei-, viermal hintereinander.

„Du hast viel, viel mehr Mut und Kraft als ich! Ich hätte das nicht gekonnt!“

„Nein,“ sagte sie weich, „du nicht, mein armer, lieber Mann. Das ist Sache einer Mutter.“

„Nun – und – –“

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Carmen Sylva.
Nach einer Aufnahme von Hofphotograph Karl Schipper in Wiesbaden.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 453. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0453.jpg&oldid=- (Version vom 29.7.2021)