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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Diese, behaupteten wir, seien eine gleich antiquierte Vergeudung von Geld und Menschenkraft, wie Spinnrocken und Handwebestuhl, seit der hundertfach ergiebigere Dampf die Sträflingsarbeit in Galeeren abgelöst. Dawider berief man sich auf Dänemarks immer noch zahlreichen Besitz an Fahrzeugen dieser Gattung, nicht minder auf die Dienste, welche die skandinavische Schärenflottille in klippenreichem Strandgewässer zuweilen geleistet hatte – gegen Segelschiffe. Die verführerische Thatsache, daß eine Ruderjolle mit zwei Geschützen für etwa 6000 Thaler in kurzer Zeit fertig zu stellen war, machte den Improvisationseifer der Flottenvereine, ja, der Staatsbehörden und selbst unserer Techniker blind dafür, daß die Quälerei zur Leistung eines kläglichen Bruchteils der Maschinenkraft nur eins erzielen könne: unseren Matrosen den Flottendienst gründlich zu verleiden. So wurden denn auch uns von diesem verderblichen Spielzeug 27 Stück aufgehalst, um, wie vorausgesagt, nach wenigen Exerzierversuchen von trostlosem Ergebnis zu verrotten und schließlich zum Brennholzwert verkauft zu werden.

Abgesehen vom verdrießlichen Zwang zu diesem nach unserer Ueberzeugung verfehlten Unternehmen, fühlten wir uns hoch gestimmt und zu atemlosem Fleiß gespornt von dem Bewußtsein, Handgreifliches und Ersprießliches zu schaffen, während die Versammlung in der Paulskirche das glühende Eisen ungeschmiedet kalten ließ und Monate zur juristisch ausgespitzten Beratung der Grundrechte verbrauchte.

Im Frühjahr 1849 hatten wir auf der Weser bei Brake und Bremerhaven sechs wohlbewaffnete Dampfer liegen. Für das Oberkommando war der griechische Fregattenkapitän, jetzt Seezeugmeister, nachmals Admiral, Rudolf Brommy gewonnen, der sich als eifriger und umsichtiger Organisator ausgezeichnet bewährte. Auch das Offizierskorps vervollständigte sich allmählich, besonders durch Eintritt belgischer, wegen Verminderung ihrer Marine außer Dienst gestellter Offiziere, und die auf der „Deutschland“, einem anderweit nicht verwendbaren Slomannschen Kauffahrteischiff, eingerichtete Schule für die Kadetten, von uns Seejunker genannt, verhieß leistungsfähigen Nachwuchs.

Desto mehr gebrach es an Matrosen. Trotz der Unterbindung unseres Seehandels blieben die Werbeversuche fast erfolglos. Von einigen zwanzig aus Mecklenburg geholten Matrosen mußten die meisten als untauglich entlassen werden.

Ich hatte damals mit dem schon ernannten Marine-Stabsarzt Dr. Rudolf Heins dem Examen beizuwohnen, dem sich die zum Dienst in der Flotte angemeldeten Mediziner in dem dazu vom Senat bereitwillig zur Verfügung gestellten Hamburger Krankenhause unterziehen mußten. Dort erhielt ich von Duckwitz Auftrag, zu ermitteln, warum keine Matrosen zu erheuern seien, da deren doch eine Menge müßig sein müßte. So war es. Aber sie lebten auf Kredit bei den Schlafbaasen, und diese ließen ihre lebendigen Unterpfänder nur los gegen Zahlung ihrer Schulden.

Ich erklärte mich bereit, für jeden an Bord gelieferten Mann die quittierte Baasrechnung zu zahlen, bot in Plakaten angemessene Löhne und mietete zur Musterung einen Saal in St. Pauli. Da strömten denn Matrosen zu Hunderten zusammen, um sich messen und ausgekleidet von den eben ernannten und sogleich uniformierten Marineärzten auf ihre Gesundheit untersuchen zu lassen. In kurzer Frist waren gegen anderthalbhundert angeworben.

Nun aber fragte sich’s, wie dieser Trupp nach der Weser zu bringen sei. Sehr zu paß daher kamen mir zwei schon in Frankfurt als Offiziersaspiranten eingetragene junge Männer, die das Steuermannsexamen rühmlich bestanden hatten. Auf ihre Anfrage, warum sie noch keinen Bescheid auf ihre Meldung erhalten, versprach ich, ihnen definitive Patente auszuwirken, wenn sie, als provisorische Deckoffiziere uniformiert, die Matrosen auf gemietetem Dampfer nach Stade, von dort, da die Mündungen der Elbe und Weser von den Dänen blockiert waren, auf Leiterwagen nach Bremerhaven brächten. Das gelang ihnen bestens. Den richtigen Empfang der Mannschaften quittierend, begrüßte mich Freund Brommy als einen Hexenmeister. Die beiden jungen Steuermänner hatten mein auf den ersten Blick gefaßtes Vertrauen gerechtfertigt und rechtfertigten es in der Folge noch glänzender. Denn in ihnen hatte ich den nachmaligen Admiralen Kinderling und Werner auf die erste Stufe ihrer Laufbahn hinaufgeholfen.

Am 5. April 1849 hatten zwei schleswig-holsteinische Strandbatterien und eine von Herzog Ernst von Koburg-Gotha rechtzeitig herangezogene nassauische Feldbatterie das dänische Linienschiff „Christian VIII“ in die Luft gesprengt, die als Schnellsegler berühmte Fregatte „Gefion“ gezwungen, die Flagge zu streichen. Sofort nach Eingang der Siegesdepesche ward ich hingeschickt, diesen so unerwarteten als erwünschten Zuwachs unserer Flotte zu übernehmen.

Von einigen dreißig Vollkugeln war das Heck der „Gefion“ zum Siebe geschossen. Das Schiff der Länge nach durchschlagend, hatten sie bis zu elf Mann auf einen Schuß niedergestreckt, im Innern eine grausige Verwüstung angerichtet. Das Eichenholz der Deckbalken sah man zu Strohbüscheln zerfasert, dazwischen Skalpfetzen und den Brei zerschmetterter Gehirne. Das Gestade rings um die Bucht lag bedeckt von den Leichen der mit in die Luft geflogenen Dänen.

Gegen achtzehn Landgeschütze war eine fast zehnmal so zahlreiche Schiffsartillerie ohnmächtig unterlegen. So hat dies denkwürdige Treffen den Hauptanstoß gegeben, das dem präciseren Feuer der Küstenkanone gegenüber fast wehrlos gewordene Holzschiff abzuschaffen und durch die schwimmende Festung von Stahl zu ersetzen.

Einige Verse aus der Zueignung meines „Demiurgos“ veranschaulichen mit photographisch treuen Einzelzügen die Walstatt dieses Kampfes, wie sie 24 Stunden nach demselben aussah:

Ich sah das Ufer tief durchwühlt
Von Dänmarks Zweiunddreißigpfündern,
Besät mit Splittern, Bombenscherben,
Kartätschen und Granatenzündern,
Umsonst verschwendetem Verderben.
Ich trat auf einen Riesenspan
Vom Mittelmast des Christian.
Ein glühender Kanonenball
War mitten in das Holz geschlagen
Um ellentief in leisem Fall
Wie’n Feuerwurm sich fortzunagen.
Ich sah das Wrack mit schwarzgebrannten
Vom Pulver kraus verschrägten Spanten
Noch klafterhoch der Flut enttauchen
Und hier und da noch leise rauchen.
Es schien ein Vorweltungeheuer
Gestrandet an verborgner Klippe,
Ein Wal, dem hier ein mächtig Feuer
Das Fleisch gefressen vom Gerippe.
Dann war es mir ein Freudenschreck,
Der Gefion zerschoss’ne Bohlen
Nunmehr als deutsches Kriegsverdeck
Zu fühlen unter meinen Sohlen.“

Ich besitze noch zwei Andenken aus jenen Tagen: einen Eichenklotz vom Kiel der nun längst zerschlagenen „Gefion“ und ein halb verbranntes Signalbuch der dänischen Ruderflotte (Roflotillen). Dies war vom „Christian“ in die Luft geflogen und nahezu eine Viertelmeile landein niedergefallen auf einem Feldstück des Grafen Reventlow-Altenhof, bei dem ich im Hauptquartier des Herzogs von Koburg-Gotha einen Tag zubrachte.

Erwähnt sei noch, daß ich damals bei Eckernförde dem ersten Schießversuch mit birnförmigen, an der Spitze mit einem Zündhütchen versehenen Granaten beiwohnte. Leider platzten mehrere schon im Rohr. Von den übrigen fehlte keine das Ziel, so daß die Treffsicherheit durch die neue Geschoßform gesteigert schien. Die Sprengwirkung der im Augenblick des Einschlagens erfolgenden Explosion war eine so furchtbare, daß ein so in der Wasserlinie getroffenes Schiff unrettbar verloren sein mußte.

Panzerschiffe gab es noch keine, aber die Idee derselben war doch schon aufgetaucht und wir hätten die ersten sein können, sie zu verwirklichen. Schon im Ausschuß nämlich, und mehr noch in der Abteilung waren wir förmlich überschwemmt worden mit Erfindungen. Die meisten waren grotesk, ungeheuerlich, selbst blödsinnig; die tollste z. B. ein Prahm, bewaffnet mit einer dampfgetriebenen Zange, gigantisch und stark genug, um ein Linienschiff, das so gut sein wollte, sich einkneifen zu lassen, masthoch aufzuheben, umzudrehen, Geschütz und Bemannung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0466.jpg&oldid=- (Version vom 2.7.2022)