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herauszuschütteln und es dann zerknackt wie eine Nuß ins Meer plumpsen zu lassen.

Aber auch verheißungsvolle Anerbietungen mußten wir, wegen Mangels an Zeit und Geld zu Experimenten, ablehnen. So den wohl motivierten, von sauberen Zeichnungen begleiteten Vorschlag gezogener Kanonen für konische Geschosse, der wenige Jahre später von Napoleon III ausgeführt wurde; so den eines gepanzerten Dampfkanonenbootes mit beigegebenen Tabellen über Schießversuche zur Erprobung der Widerstände verschieden dicker Eisenplatten. Bekanntlich fand auch diese Idee ihre erste Nutzanwendung in Frankreich beim Bau schwimmender Batterien für den Krimkrieg.

Sechs Monate nach Einsetzung der Marineabteilung konnte ein Geschwader kampfbereit von der Weser auslaufen. Am 4. Juni 1849 kam es zum Seegefecht bei Helgoland. Die Berichte über dasselbe lauten sehr widersprechend. Am vollständigsten zusammengefaßt hat sie Vizeadmiral Batsch in seiner Schrift „Deutsch Seegras“, Berlin, Gebr. Paetel 1892. Das scheint sicher, daß die schwer beschädigte Korvette „Valkyren“ der Enterung und Vernichtung durch unsern Dampfer „Hamburg“ unter Kapitän Reichert nur entgangen ist, weil auf die Warnschüsse der englischen Batterie auf Helgoland das Flaggschiff Brommys, „Barbarossa“, Befehl zur Umkehr signalisierte. Wie die Korvette mußte auch der Dampfer „Geyser“ zur Reparatur nach Kopenhagen zurück. Da die dänischen 18- und kurzen 32-Pfünder, von nur einem Treffer in unsere Takelage abgesehen, durchweg zu kurz geschossen, scheuten die Blockadeschiffe wohl einen zweiten Angriff aus unsern achtzölligen Bombenkanonen und englischen 56-Pfündern. Sie verschwanden; die Blockade war aufgehoben und mit dieser Lösung unserer Hauptaufgabe ein zweifelloser Erfolg erreicht.

Dies Gefecht blieb die einzige Aktion unserer in Hast improvisierten, aber trotz vieler Mängel immerhin schon ansehnlichen Flotte. Alsbald begann aber ihr Martyrium mit der empörend unverschämten Note Palmerstons. Armierte Fahrzeuge unter schwarzrotgoldener Flagge – so ungefähr lautete dieselbe – hätten im britischen Gewässer um Helgoland eine Kanonade gegen dänische Kriegsschiffe eröffnet. Im Wiederholungsfall würden dieselben als Piraten behandelt werden. Meinen Entwurf zur Antwort wagte der Minister nicht einmal seinen Kollegen mitzuteilen. Zähneknirschend mußten wir den Schimpf unterschlucken.

Schon aber stand uns Schlimmeres bevor seitens deutscher Bundesgenossen.

Ein ungemein anerkennender Bericht über die junge Schöpfung, den der österreichische Fregattenkapitän v. Bourguignon erstattete nach achttägiger gründlicher Musterung und Probefahrten in der Nordsee, auf denen ich ihn begleitete, hatte nicht vermocht, das entschiedene Uebelwollen Oesterreichs zu besiegen. Von Wien aus gepflegt, überwog und lähmte die Kostenscheu der meisten Mittel- und Kleinstaaten das nur von Oldenburg, Hannover und den Hansastädten unterstützte opferbereite Wohlwollen Preußens. Als eben noch drei neue Dampfer auf der Weser eingetroffen und ich von der Abnahme derselben aus England zurückgekehrt, fand ich unser Werk schon so gut wie verurteilt.

Wie über die Gründung, giebt auch über die Auflösung und unsere mit aufreibender Anstrengung fortgesetzten, doch erfolglosen Rettungsversuche die ausführlichste und verläßlichste Auskunft die aus den Staatsarchiven in Berlin und Hannover geschöpfte Schrift „Die deutsche Flotte von 1848 bis 1852“ von Dr. M. Bär, Leipzig, S. Hirzel, 1898.

Ich schweige von dieser trostlosen Siechtumsgeschichte und ihrer letzten Schmach, der Verauktionierung durch Hannibal Fischer. Von diesem „Totengräber der deutschen Flotte“ entwirft ein Brief des bremischen Bürgermeisters Smidt, abgedruckt im eben genannten Werke Bärs, ein so zutreffendes als erschöpfendes Charakterbild. Danach hat sich der ins Leben zurückgalvanisierte Bundestag unsterblichen Mißruhm eingelegt, indem er für die leider unvermeidlich gewordene Auflösung einer von der Nation ersehnten Schöpfung diese tragikomische Figur zu seinem Bevollmächtigten erkor.

Nur noch eine Erinnerung von unvergänglichem Geschichtswert sei hier aufgezeichnet.

Während die politische Konstellation den Fortbestand der Marine bereits fraglich machte, hatte ich die Ehre, mit dem Preußischen Marinebevollmächtigten Obrist von Wangenheim und dem hannoverischen Hauptmann Marcard zur Mittagstafel beim Prinzen von Preußen eingeladen zu werden.

Der nachmalige deutsche Kaiser veranlaßte mich, von meinen Erlebnissen in der Paulskirche und namentlich davon zu erzählen, wie die Partei der Erbkaiserlichen durch weitgehende Nachgiebigkeit in Betreff ihr bedenklicher Paragraphen der Reichsverfassung die genügende Mehrheit zur Wahl des Königs von Preußen zusammengebracht. Dann gab er dem Gespräch eine Wendung zu Marinefragen. Er wolle nicht verhehlen, daß ihm unser Unternehmen von vornherein den Eindruck eines verfrühten, bei seiner Kostspieligkeit auch etwas leichtsinnigen Versuches gemacht habe.

Ich bekannte, daß ein nicht ganz unerheblicher Teil der Schuld an dieser kecken Vorwegnahme mir zur Last falle, und fügte hinzu, daß jetzt auch mein Glaube an die Zukunft unserer Schöpfung sehr ins Wanken komme.

Da fiel plötzlich, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, eine Frage von seinen Lippen, die mich erschreckte, als brenne mein Stuhl.

„Sagen Sie, versteht denn mein Vetter Adalbert etwas von der Marine?“

Dabei hielten seine Augen die meinigen fest mit jenem fridericianischen Blick, der bis tief ins Gewissen eindringt.

Kein Zweifel, nur auf entscheidende Probe stellen sollte den jungen Marinerat die befremdliche Zumutung eines Urteils über den prinzlichen Chef der Königlich preußischen Marine. Wenn auch nur ein Tröpfchen Vorwitz meine Antwort färbte, dann hatte ich vom Hohenzollern eine eisige Abfertigung zu erwarten und war für ihn endgültig durchgefallen.

„Wir alle,“ versetzt’ ich rasch gefaßt, „und vor allen ich, haben erst in der Arbeit das A B C des neuen Fachs lernen müssen. Darin wenigstens glaub’ ich weit genug gekommen zu sein, um behaupten zu dürfen, daß Se. Königl. Hoheit Prinz Adalbert aus umfassender Kunde des englischen Seewesens in die technische Kommission mehr Vorkenntnisse mitgebracht hat als irgend ein anderes Mitglied.“

Ich hatte bestanden. Er lächelte freundlich, aber dem Ausdruck der Güte war ein schalkischer Zug beigemischt, als ob er dächte: nicht unbehend aus der Schlinge geschlüpft.

Nach Aufhebung der Tafel winkte er mich in eine Fensternische, während Graf Pückler, sein Hofmarschall, die anderen Gäste zum Flüstergespräch um sich gruppierte.

„Sie haben recht,“ schloß er die Unterredung, „an der Zukunft Ihrer Marine zu verzweifeln. Auch Preußens guter Wille vermag sie nicht mehr zu retten. Es war verkehrte, jugendliche Uebereilung, erst eine Flotte schaffen zu wollen und nachträglich dazu das Reich. Ueberhaupt habt ihr in der Paulskirche so manchen überkühnen Griff gethan. Aber darunter auch einen, der sich, mein Wort darauf, nicht als Mißgriff erweisen soll. Das Reich kommt, mit ihm dann auch die Flotte. Die Gründung freilich geschieht nimmer durch Parlamentsbeschlüsse.“

So war ich einer der wenigen, die es längst von ihm selbst wußten, zu welchen Erfüllungen er als König rüste, als er sich unbeirrt mit schwerer Unpopularität belastete und gegen die Majorität ausführte, was nur er allein mit seinen Paladinen als unerläßlich geboten erkannt hatte.

An großen Wenden flößt die Weltgeschichte ihren Willen gern der handelnden Hauptperson ein als leidenschaftliche Vorliebe für das erforderliche Thatenfach. So ist meinem Glauben Kaiser Wilhelms II Passion für das Seewesen die providentielle Fügung des Willens, der sich zu seiner Vollstreckung ein meergewaltiges Deutschland ausersehen hat.

Wohl uns, daß die zwingende Beredsamkeit der Weltlage ihn der dornenvollen Pflicht überhoben hat, wie einst sein Großvater die Kräftigung des Heeres, so den Ausbau der Flotte gegen eine Majorität durchsetzen zu müssen.




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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 467. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0467.jpg&oldid=- (Version vom 2.7.2022)