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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Sommer im Korn.

So ein wiegendes, wogendes Aehrenfeld
Ist doch das Holdeste in der Welt!

Wie sich die Halme schmiegen und neigen,
Wollen die stäubenden Blütlein zeigen;
Jungfer Cyane, die Schönste im Korn,
Tanzt mit dem Junker Rittersporn;
Sieht es der Mohn, der Schwerenöter,
Wird er vor Eifersucht rot und röter.
Grillen die surrende Fidel streichen,
Wollen vor Tau und Tag nicht weichen,
Lerche, das lustige Saatenkind,
Ihres Singens kein Ende find’t.
Alles flüstert und lacht und schwirrt,
Tief im Grunde die Wachtel girrt,
Falter, Libellen fliegen herbei,
Fragen, was für ein Fest denn sei. – –

O du rauschendes, fröhliches, sonniges Korn,
Sei uns gesegnet, du Segensborn!

 F. Vochazer.




Verhütung der Nervosität.
Von Nervenarzt Dr. Otto Dornblüth.


Es ist sehr unrecht, wenn man die Nervosität mit dem Schlagwort „Modekrankheit“ oder „Krankheit des Jahrhunderts“ abfertigen und den Nervösen den Rat geben will, sich zusammenzunehmen und ihre Krankheit mit dem Willen zu unterdrücken. Gewiß giebt es leichte Fälle, wo der Kranke die Klagen über seine Krankheit unterlassen und trotz seiner Beschwerden seiner gewohnten Tagesleistung nachgehen kann, bis die Besserung eingetreten ist, aber man darf sich deshalb noch nicht denken, daß die Genesung die Folge dieser Willensanstrengung gewesen sei. Man sieht wenigstens als Arzt viel mehr Fälle, wo gerade durch die Willenskraft die Krankheit lange niedergehalten wurde, bis sie schließlich den Kranken überwältigte und nun es vielfacher Mühe bedurfte, um wieder beseitigt zu werden. Die Nervosität besteht in einer krankhaften Unfähigkeit des Nervensystems, die bei geistiger und körperlicher Arbeit verbrauchten Teile in der beim Gesunden ausreichenden Zeit, also unvermerkt, wieder zu ersetzen. Es ist selbstverständlich, daß diese Fähigkeit nicht durch Willenskraft, sondern nur durch Verminderung der Ansprüche und Steigerung der Kraftvorräte des Nervensystems wiedergewonnen werden kann. Die Umgebung des Nervösen ist aber gewöhnlich zufrieden, wenn er nur nicht mehr von seinen Beschwerden spricht; sie hält ihn für genesen, wenn sie nur selbst Ruhe vor ihm hat.

Man begründet den Ausdruck „Modekrankheit“ gewöhnlich damit, daß es früher nicht so viel Nervöse gegeben habe, und sucht die Ursachen in den eigentümlichen sozialen Verhältnissen der Gegenwart, in dem rastlosen Treiben und Drängen, der Jagd nach dem Erwerb, dem Strudel der Vergnügungen. Auffallend ist dabei nur, daß so viele, die am tiefsten in diesem Getriebe stecken, nicht nervös sind und daß man Nervöse auch im stillsten Dorfe findet, wohin kaum ein Hall von dem Geräusch des Lebens dringt. Das Entscheidende für die Entstehung der Nervenschwäche ist in Wirklichkeit eine angeborene oder in der Kindheit erworbene geringere Widerstandsfähigkeit des Nervensystems. Natürlich sind die damit Behafteten im späteren Leben um so mehr gefährdet, je mehr sie an Arbeit, Gemütsbewegungen u. dgl. zu tragen haben.

Zum Glück hat die größere Aufmerksamkeit, die wir seit einigen Jahrzehnten der Nervenschwäche schenken, uns auch gelehrt, daß selbst der angeborene Mangel an Widerstandsfähigkeit der Nerven eines bedeutenden Ausgleichs fähig ist, und zugleich haben wir gelernt, wie die Ursprünge der Nervosität in der Kindheit und Jugend bekämpft werden können. Leider schenken viele Eltern und Erzieher den Anzeichen nicht die erforderliche Beachtung; sie spotten über die Gefahr, so lange sie noch abwendbar ist. Wie oft hört man sagen: Kinder dürfen noch nicht nervös sein, und sieht um so strenger und gewaltsamer gegen die vermeintliche Unart der Kinder vorgehen, je nervöser und reizbarer die Eltern sind. Wer aufmerksam ist und zu beobachten versteht, findet die Spuren der krankhaften Anlage schon sehr früh und kann sich rechtzeitig nach Hilfe umsehen.

Nervöse Kinder im ersten Lebensjahre sind zart, sie schreien übermäßig viel ohne besonderen Anlaß, sie zittern bei jedem besonderen Eindruck und geraten leicht in Ohnmacht. Wenn sie durch alle Zeichen ihre Aufregung verraten, pflegt man sie auf den Armen zu schütteln oder im Wagen, der ja jetzt meist die Wiege ersetzt, hin und her zu rütteln. Wenn man sich vorstellt, wie einem erwachsenen Nervösen zu Mut sein würde, wenn man seine peinlichen Empfindungen in dieser Weise bekämpfte, kann man ungefähr ermessen, wie vorteilhaft solches Verfahren für ein Kind sein muß, wenn es auch schließlich dabei „in seiner Qual verstummt“. Andere Kinder verraten ihre Nervosität durch Aufschrecken aus dem Schlaf, unruhige Träume, wieder andere dadadurch, daß sie bei jedem ungewohnten Eindruck erröten oder erblassen. Auch eine übertriebene Furcht vor harmlosen Tieren, vor dem sich drehenden Kreisel oder anderen beweglichen Spielzeugen, vor dem Gewitter etc. gehört hierher. Andere Zeichen

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 468. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0468.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2022)