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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Nervosität bewahrt zu bleiben, gilt es vor allem, in möglichst ruhigem Gleichmaß zu leben. Regelmäßiger und rechtzeitiger Beginn des Tagewerkes ermöglicht in den meisten Fällen, die Arbeit ruhig und ohne angreifende Ueberhastung zu vollenden und auch die nötigen Erholungspausen einzuschalten. Auch in den Genüssen und Erholungen soll man alles Gewaltsame vermeiden. So gesund Spazierengehen, Radfahren, Baden und andere Körperübungen sind, so schädlich kann ihr Uebermaß wirken. Gerade bei Nervosität kommt es sehr leicht zu solchem Uebermaß, weil die peinlichen Empfindungen und Stimmungen des Erschöpfungszustandes zu einer krankhaften Rastlosigkeit führen, oder weil der Nervöse eine unbestimmte Vorstellung hat, daß für seine Beschwerden etwas geschehen müsse, und nun im Gegensatz zu der vorhergehenden geistigen Anspannung sein Heil in körperlicher Ausarbeitung sucht. Wenn man sich vergegenwärtigt, daß geistige und körperliche Thätigkeit doch im Grunde aus derselben Quelle gespeist werden, daß das Nervensystem bei beiden arbeitet, wenn auch in etwas verschiedener Weise, so kann man sich leicht denken, daß das Uebermaß körperlicher Anstrengung auch dem Nervösen schaden muß. Die Körperübung hat hier in der That nur soweit Berechtigung, als sie von geistiger Arbeit ableitet und eine allgemeine Anregung des Stoffwechsels und des körperlichen Ersatzes vermittelt, d. h. also, soweit sie durch die nachfolgende Ruhe vollkommen wieder ausgeglichen wird.

Zu beachten bleibt vor allem eine regelmäßige und zweckmäßige Ernährung (vgl. des Verfassers Schriften „Gesunde Nerven“ und „Kochbuch für Kranke“). Die Genußmittel wie Kaffee und Thee sollen nicht ohne besonderen Grund ausgeschlossen werden, denn nur ihr Uebermaß ist gemeinhin schädlich, während ihre anregenden Wirkungen vielen Nervösen sehr gut thun. Es ist entschieden übertrieben, wenn man alle Nervenschwachen auf Malzkaffee, Hafersuppen u. dergl. setzen will, wie das namentlich die sogenannte Naturheilkunde gern thut. Um so mehr müssen Nervöse vor den alkoholischen Getränken gewarnt werden, die man leider vielfach als eine Art Nervenheilmittel zu betrachten scheint. Insbesondere ist es ein grober Unfug, Porter und andere schwere Biere, wie die alkoholreichen Malzbiere, als Kräftigungsmittel gegen Blutarmut, zur Anregung des Appetits und als Schlafmittel ohne Einschränkung zu empfehlen. Die vorübergehende Anregung, die der Alkohol mit sich bringt, täuscht den Kranken und Schwachen allerdings über manches Unangenehme hinweg, aber sie verhindert das, was ihm wirklich not thut: die richtige Erholung und Erfrischung seiner Nerven. Bei jugendlichen Personen wirkt der Alkohol überhaupt immer schädlich auf die Nerven ein, so daß diese streng zur völligen Enthaltung vom Alkoholgenuß veranlaßt werden sollten, damit der Feind zu keiner Hinterthür in der Maske des harmlosen und guten Freundes hereinkommen kann. Wirkliche Erholung bieten dagegen der Genuß der Natur, eine vernünftige Sonntagsruhe, harmlose Geselligkeit, vernünftig genossene Ferien, glückliches Familienleben, auch leichtere anspruchslose Musik, während die aufregenden Werke der modernen Kunst, wenn sie auch noch so hohen Genuß bieten mögen, doch immer viel Nervenkräfte verzehren. Geradezu gefährlich werden anstrengende Zerstreuungen, wenn man sie Kranken bietet, in der Absicht, sie dadurch von ihrer Krankheit abzulenken. So sind auch Erholungsreisen für Nervöse nur mit großer Vorsicht zu empfehlen.

Wo sich trotz der vorbeugenden Maßregeln Nervosität entwickelt – in ihren Anfängen durch Reizbarkeit, unbehagliche Unruhe, Unfähigkeit und Unlust zu geistiger und körperlicher Thätigkeit, Kopfdruck, Störungen des Schlafes etc. gekennzeichnet –, oder wo sich eine nervöse Anlage durch anhaltende Neigung zu krankhaften Stimmungen, Kopfschmerz, Migräne, nervöses Herzklopfen etc. äußert, ferner bei hartnäckiger Blutarmut in den Entwicklungsjahren, die ja so oft das Vorspiel zu späterer hartnäckiger Nervosität bildet, da sollte man nicht Zeit mit kleinen Mitteln verlieren, die doch nicht durchgreifend helfen, sondern mit einem Sachverständigen einen ernsthaften Kurplan feststellen und diesen gründlich durchführen. Es ist gar nicht zu ermessen, wie viel Elend, wie viel persönliche Leiden, wie viel Unglück im Beruf und in der Familie der Welt erspart werden könnte, wenn wir in dieser Richtung sorgsamer würden! Aus kleinen Anfängen entwickeln sich oft Störungen, die ein ganzes Leben unglücklich machen, und oft genug eröffnet der Ausspruch, daß jemand „nur ein bißchen nervös“ sei, den Ausblick auf ein langes, durch Leiden und Unfähigkeit zu normaler Leistung verpfuschtes Leben. Besonderer Fürsorge bedarf in dieser Hinsicht die weibliche Jugend, weil sie erfahrungsgemäß im ferneren Leben, sei es als Ehefrau oder als selbständiges Glied in der sozialen Welt, viel seltener als der Mann die Schädigungen und Vernachlässigungen völlig überwindet, die ihr frühzeitig erwachsen sind. Wenn ich in meiner Schrift „Ueber die geistigen Fähigkeiten der Frau“ für die weibliche Jugend nach vollendeter Lernzeit ein Erholungsjahr gefordert habe, das der Gesundheit in erster Linie gewidmet sein soll, so bin ich dazu durch sehr ernste Erfahrungen in meinem Beruf angeregt worden. Für Nervöse oder nervös angelegte Mädchen eignet sich zur Erholung vor allem ein Aufenthalt im Seeklima, und erfreulicherweise sind ja in den letzten Jahren an der Nordsee und an der in dieser Hinsicht ihr mindestens gleichwertigen Ostsee entsprechende Einrichtungen entstanden, die sehr gute und bleibende Ergebnisse versprechen.




Eine neue Erklärung der Marskanäle.

Seit einer Reihe von Jahren hört und liest man auf unserer Erde recht viel von den Marsbewohnern. Die Astronomen haben zuerst auf der Oberfläche unseres Nachbarplaneten ein Netz von dunklen Linien entdeckt und diese Linien Kanäle genannt. Im Verlauf weiterer Beobachtungen sind einige Forscher zu der Ansicht gelangt, daß diese Kanäle nicht von der Natur geschaffen, sondern von vernünftigen Wesen angelegt worden seien. Die „Gartenlaube“ hat im Jahrgang 1896 (S. 492) die Hypothese des amerikanischen Astronomen Lowell ausführlich besprochen. Laut derselben haben wir uns Mars als einen Weltkörper vorzustellen, auf dem im Vergleich zur Erde nur wenig Wasser vorhanden ist. An den Polen sind noch große Schnee- und Eismassen angehäuft, aber die Meere des Mars sind auf das geringste Maß zusammengeschrumpft. Vernünftige Wesen haben, um die Festländer zu bewässern, nach allen Richtungen Kanäle gegraben. In der Regel sehen wir dieselben nicht. Wenn aber zur Zeit des Frühlings die Schnee- und Eismassen an den Polen schmelzen, füllen sich die Kanäle mit Wasser, die Feuchtigkeit ruft die Vegetation hervor, und dann werden uns die mit Pflanzen bestandenen Flecken als dunkle Flächen sichtbar. Die Kanäle, deren Breite 30 bis 100 km und deren Länge bis 600 km beträgt, sind somit grünende Thäler, und die rundlichen dunklen Flächen, die an den Knotenpunkten der Kanäle auftreten, Oasen auf den Festländern des Mars, die im übrigen trocken, öde und wüst sind gleich der Sahara.

Diese Hypothese, die der Rührigkeit und Leistungsfähigkeit der Marsbewohner ein so glänzendes Zeugnis ausstellt, hat jedoch nicht alle Forscher befriedigt. So hat neuerdings der Astronom Leo Brenner von der Manorasternwarte auf der Insel Lussin piccolo die Entstehung der Marskanäle auf eine andere Weise zu erklären versucht. Auch für ihn sind diese dunklen Linien nicht Naturgebilde, sondern Werke vernünftiger Wesen. Brenner geht von der Anschauung aus, daß Mars bedeutend älter ist als unsre Erde. Er zeigt also eine Beschaffenheit,, die unser Planet erst nach vielen Millionen von Jahren aufweisen wird.

Mars besitzt eine dünne Atmosphäre; die Gebirgszüge, die sich einst auf ihm erhoben, sind im Laufe der Zeiten verwittert, Berg und Thal sind ausgeglichen und seine Festländer sind zu flachen Niederungen geworden, deren Küsten das Meer unaufhörlich benagt und zu verschlingen droht. Wo keine Gebirge sind, ist die Anlage von gradlinigen Kanälen nicht besonders schwierig. Daraus läßt sich erklären, warum die Marsbewohner so schnurgerade ihre Wasserstraßen anlegen konnten und nicht, wie wir es jetzt thun müssen, sich den Schwierigkeiten des von der Natur gegebenen gebirgigen Terrains anzupassen brauchten. Erstaunlich bleibt es aber trotzdem, wie sie Kanäle von so ungeheurer Breite anzulegen imstande waren.

Dieses Rätsel versucht nun Leo Brenner durch folgende Annahme zu lösen, zu der er durch den Major z. D. Holtzhey in Erfurt angeregt wurde. Bei der flachen Beschaffenheit ihrer Länder sahen sich die Marsbewohner genötigt, an den Küsten denselben Kampf gegen das Meer aufzunehmen, den gegenwärtig die Anwohner der Nordsee führen. Um ihr Land zu sichern, legten sie Deiche an. „Sie haben zunächst ihre Küsten durch Dämme geschützt und dann darauf gesehen, den anprallenden Wogen eine weitere Ableitung durch Anlage von Kanälen zu geben. Diese Kanäle hatten dreifachen Zweck: sie sollten nicht nur das anprallende Meerwasser ableiten, sondern auch die Schiffahrt nach allen Richtungen ermöglichen und den wasserarmen Planeten bewässern. – Alle Kanäle sind zu beiden Seiten von Dämmen eingefaßt, die gar nicht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 471. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0471.jpg&oldid=- (Version vom 7.6.2022)