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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

ihm von ganzer Seele, hätten aber gar zu gern an seinem Glücke nicht bloß in Gedanken teilgenommen.

Heute war nur noch von ihm die Rede, von Abenteuern, die Bornholm und er miteinander bestanden hatten, und in denen Levin die führende Rolle immer seinem Freunde zuwies. Der sonst Wortkarge, Zurückhaltende – ein wahres Chamäleon, dieser Mensch – erzählte mit Schwung und Wärme. „Joseph kann und versteht alles,“ sagte er, „hat eine beneidenswerte Gabe, die Eingeborenen zutraulich und sogar anhänglich zu machen. Mit Tieren umzugehen habe ich erst von ihm gelernt.“

„Hansl,“ sagte Elika leise.

„Er hat zuwege gebracht, was noch keinem vor ihm gelungen ist, er hat einen Beutelmarder gezähmt. Zwei Dingos gehorchen ihm, wie Ihnen Ihre Jagdhunde, schlafen vor seiner Thür. Merkwürdige Tiere, schweigende Kämpfer, haben keinen Laut für den gräßlichsten Schmerz und erheben manchmal des Nachts ohne scheinbaren Grund ein höllisches Geheul. Vielleicht gewöhnt er ihnen das auch noch ab mit seiner Strenge, seiner Geduld. O, man kann von ihm lernen! Er ist in noch ganz andern Dingen mein Lehrmeister gewesen. Der seine aber war der Abscheu vor der unmenschlichen Grausamkeit der Europäer gegen alle lebendigen Urbewohner des ältesten, von den ‚Segnungen‘ der Civilisation am längsten verschonten Weltteils. Ja, wenn es mehr solche gäbe wie Joseph … Doch sind ja seinesgleichen, der beliebten Phrase nach, nur zur Bestätigung der Regel da.“

„Und um Sie Lügen zu strafen,“ sagte Luise zu ihm – während die Aufmerksamkeit der anderen einen Augenblick durch eine Diskussion, die sich zwischen Franz und seinen Geschwistern über die Zähmung eines eingefangenen Marders erhoben hatte, abgelenkt wurde – „den haben Sie lieb.“

„Ich hab’ es eine Zeit lang selbst geglaubt, ich habe mir sogar eingebildet, daß der Abschied von ihm mir schwer geworden ist und daß der brave Bursche mir abgehen werde. Täuschung! Es war, wie es bei mir immer ist – aus den Augen, aus dem Sinn. Wenn man jemand lieb hat und ist von ihm getrennt, müßte man doch, scheint mir, manchmal denken: Schade, daß er dies oder jenes nicht mit ansieht, mit erlebt … Nun, gestern habe ich darüber nachgedacht, warum mir das in Bezug auf Joseph nie eingefallen ist.“

„Sie haben sich vielleicht nur keine Rechenschaft davon gegeben.“

„Was – Rechenschaft? Ich weiß doch wessen ich mich besinne. Nein, in mir schlägt keine Neigung Wurzel, das ist vorbei, oder ist vielmehr, ehe sich’s entfalten konnte, im Keim vernichtet worden. Welke vor der Blüte, ich sagt’ es Ihnen schon einmal und kann es nicht oft genug wiederholen! Halten Sie mich nur ja nicht für zuverlässiger als ich bin, sonst erleben Sie eine schreckliche Enttäuschung und wenden sich, noch bevor ich von hier wegziehe, von mir ab.“

Kurzsichtigkeit oder Egoismus? Wie ihr dann zu Mute sein werde, danach fragte er nicht. Er forderte sie nur auf, ihn zu ertragen mit all seinen Launen, ihn zu zerstreuen, ihm wohlzuthun. Wenn aber sie nach Frauenart für den, der ihrer bedurfte, dem ihr Umgang ein Segen war, ein warmes Interesse faßte, ihn kümmerte und verpflichtete das nicht. Uebers Jahr kehrte er nach seinem Australien zurück und sie mochte sehen, wie sie mit sich fertig wurde … Hatte er auch für Elika kein Auge? ahnte er nichts von dem, was in ihr vorging, nichts von der schwärmerischen Neigung, die das Kind ihm weihte? Ein gutes Wort, das er ihr gönnte, machte sie reich für Tage. Ließ er sich, was nun doch manchmal geschah, in ein Gespräch mit ihr ein, leuchtete das helle Glück ihr aus den Augen. Die verwöhnte, von allen auf Händen Getragene floß über von Dankbarkeit für ihn, wenn er sie nur nicht mißhandelte.

Einmal hatte sie eine Anwandlung von Tollkühnheit und wagte ihn zu fragen, ob er wirklich keine Religion habe.

Er, weder bös noch erstaunt, sondern eher belustigt, erwiderte: „Eine Gewissensfrage! Sie können eben das Erziehen nicht lassen, freilich, wenn man so glänzende Resultate aufzuweisen hat … Sie haben doch Ihre Brüder erzogen und Ihre Großtanten.“ Er hatte einen seiner allerbesten Tage, einen von den allerseltensten, und da sie schon angefangen hatte, kühn zu sein, blieb sie dabei und sagte:

„Das ist alles nichts, das machte sich alles von selbst. Sie zu erziehn sollt’ mir gelingen – das wäre was!“ –

Die ersten Fröste kamen, man winterte sich ein. Der eifrigste Eis- und Schneesport wurde getrieben, und wenn Bornholm alle übertraf an Verwegenheit und Geschicklichkeit, triumphierte Elika.

„Ihr liegt an uns gar nichts mehr,“ sagte ihr Franz bei einer solchen Gelegenheit ins Ohr, „ihr liegt nur noch an Bornholm.“

Kein Spaß, der vollste Ernst des guten Jungen. Er blickte sie finster aus seinen tiefblauen Augen an und benetzte ein paarmal rasch nacheinander die vollen roten Lippen, die ihm trocken geworden waren, mit der Zunge.

Elika geriet sogleich in eine ihr selbst unerklärliche Empörung: „Wie dumm du bist, wie dumm! Du bist ein sentimentaler alter Bär.“

Er murmelte unverständliche Worte und ging seiner Wege, und sie wunderte sich wieder über sich selbst, weil ihr Zorn ihr so geschwind abhanden kam. Er war gestiegen wie eine Rakete und erlosch wie ein ausgeblasenes Kerzchen.

In den Augen ihres Franz, ganz tief drinnen war etwas verschleiert Schmerzvolles gewesen, das ihr Gewissen rührte und ihre Zärtlichkeit wach rief. Sie eilte ihm nach, faßte ihn beim Aermel, schüttelte ihn und sagte: „Alter Franzl, guter, alter, dummer Franzl.“

„Dumm du selbst,“ war seine Antwort. Er gab sie ihr über die Achsel, recht von oben herab, aber wie ein Hauch unendlicher Liebe kam mit diesen Worten und mit diesem Blick über sie geströmt. Zwischen ihnen war alles wieder wie es sein mußte, wenn sie Freude am Leben haben sollten.

Sie hat später die Regung gebenedeit, die sie damals antrieb, ihm nachzulaufen und in ihrer Weise zu versichern: „Wir bleiben die alten, wir zwei.“

Im Grunde waren alle Herren von Kosel eifersüchtig auf Bornholm und konnten doch der Anziehung nicht entrinnen, die er auf sie selbst ausübte. Sie hatten sich schon mehr an ihn gewöhnt und hatten eine größere Sympathie für ihn, als sie selbst wußten.

„Er ist der einzige, der euch malträtiert, das macht ihn euch unentbehrlich,“ behauptete Charlotte. „Jeder Mensch hat das Bedürfnis, manchmal malträtiert zu werden.“

Leopold war anderer Meinung: „Unentbehrlich ist er uns nicht, aber man erträgt ihn und seine widerwärtig wechselnden Stimmungen, weil er einem, Gott weiß wodurch, die Ueberzeugung einflößt: Wenn man in eine schwierige Lage geriete, von allen verlassen wäre, auf den könnte man zählen, der stände treu zu einem.“

„Schon aus Trotz gegen die Mehrheit,“ bemerkte Heideschmied, der Levin nicht gewogen war und dessen Einfluß auf die jungen Leute fürchtete.

Eine Gönnerin hingegen hatte Bornholm an Tante Renate. „Er mag sein wie er will, eines ist er gewiß: er ist wahr wie der Tag,“ sagte sie. Von dem unmoralischen Leben, das er geführt haben sollte, von seiner Glaubenslosigkeit redete sie nicht. Sie betete für ihn.

Noch ein wahrhaft Frommer hatte nie ein Wort der Verdammnis des notorischen Atheisten, und das war der alte Herr Pfarrer. Ihm gegenüber blieb Bornholms Benehmen ausnahmsweise immer gleich zuvorkommend und ehrerbietig. Eine und dieselbe Erinnerung ergriff beide mit Macht, wenn sie einander trafen, die Erinnerung an die Sterbestunde der Mutter Levins. Für diesen lagen durchstürmte Jahre dazwischen, eine lange nutzlos vergeudete Zeit, seine ganze wüste Jugend, aber ein Blick in das Angesicht des greisen Priesters und ein ergreifendes Bild erhob sich vor ihm. Er sah ihn am Lager einer Scheidenden stehen und ihr die letzte schwere Stunde in eine trostvolle wandeln, und ihre Todesbangigkeit in seligste Hoffnung und himmlische Zuversicht. Das vergaß er ihm nie, seine Dankbarkeit dafür war unerschöpflich, und der alte Herr, der ihm anfangs aus dem Wege gegangen war, überwand jetzt die Scheu, Anstoß zu erregen durch den Verkehr mit einem Menschen, der nie eine Kirche besuchte. Er brachte manchen Nachmittag bei ihm zu und machte sich nützlich beim Ordnen der Sammlungen, die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 474. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0474.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2021)