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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Bornholm dem naturhistorischen Museum seiner nordischen Vaterstadt bestimmte.

Einmal ließ Bornholm, sonst die Pünktlichkeit selbst, ihn warten. Der geistliche Herr wurde nicht ungeduldig, es war ihm fast lieb. Er hatte keine Eile, die Botschaft zu bestellen, die ihm aufgetragen worden war. Endlich kam Levin, heiß vom scharfen Ritte, von quälenden Gedanken sichtlich eingenommen. Mit ungewohnter Hast brachte er eine Entschuldigung vor. Er hatte sich, wie der in der alten Ballade, Ruh’ erreiten wollen, es war ihm nicht geglückt.

So, ei, ei, Ruhe, du Armer, dachte der Pfarrer und lenkte vorerst das Gespräch auf die Verwendung der letzten großmütigen Spenden, die ihm Bornholm für die Armenanstalten in Valahora und in Vrobek zur Verfügung gestellt hatte.

Mit unterdrückter Ungeduld erwiderte Levin, daß er Hochwürden schon gebeten habe, mit dem Gelde nach eigenem Ermessen zu schalten und zu walten. Nur eines sei zu beobachten: die Herren, Bauern und Häusler dürften nicht wissen, woher es kam. Bei ihrer Bigotterie wären sie imstande, es zurückzuweisen, weil es von einem Ketzer kommt. Der Pfarrer leugnete nicht. Diese Worte bauten eine Brücke zu dem, was er Bornholm zu sagen hatte, und er gestand, es sei schwer mit den Leuten und tiefbetrübend, was sie oft als Verletzung oder als Erfüllung ihrer Christenpflicht ansähen.

„Ich habe heute ein Beispiel davon gehabt,“ versetzte Bornholm mit bitterem Hohne. „Ich traf den Schullehrer und kündigte ihm für morgen meinen Besuch in der Schule an. Er verfärbte sich. Er hat ehrliche blaue Kinderaugen, dieser Schullehrer, und ein gutes offenes Kindergesicht und dabei doch einen Zug um den Mund, der sagt: Ich hab’ schon auch meine Kämpfe bestanden … Sie erraten was kommt, Hochwürden. Beschworen hat er mich, fern zu bleiben von der Schule, ein Ketzer hat in der katholischen Schule nichts zu suchen, würden die Eltern sagen.“

Der Pfarrer neigte den Kopf ein wenig zur Seite; aus seinen festen Zügen, die einen strengen Ausdruck anzunehmen vermochten, sprach jetzt nur Weichheit und ein inständiges Bitten: Verzeih, daß ich dir weh thun muß. „Gehen Sie also nicht in die Schule, und, lieber Herr Bornholm, gehen Sie auch nicht mehr zu Fräulein von Kosel.“

Levin fuhr zurück: „Warum? … Was bedeutet das?“ …

„Etwas Trauriges, lieber Herr Bornholm. Sie ist doch bestimmt, hier zu leben, natürlich, sie hat kein anderes Zuhause. Sie muß trachten, auszukommen mit den Leuten, das ist das Ganze, lieber Herr Bornholm. Wenn Sie aber alle Tage hingehen zu ihr, wie Sie leider seit Monaten thun, das macht ihr das Leben hier unter den Leuten schwer.“

„Oho, da werde ich doch ...“

„Nichts werden Sie, lieber Herr Bornholm, weder in Güte noch mit Gewalt werden Sie. Der Haß gegen Sie ist ein Erbe, das Ihr Herr Vater Ihnen hinterlassen hat, und nach seinem Ableben ist von Ihnen aus nichts geschehen, um die Herzen zu gewinnen. Sehen Sie, das geht weit, und sogar unseren Herrschaften wird es übelgenommen, daß sie mit Ihnen umgehen. Wie nun erst einem alleinstehenden Frauenzimmer. – Lieber Herr Bornholm, so widerwillig ich’s thue, geschehen muß es doch, und sagen muß ich Ihnen: Fräulein von Kosel ist gestern am Tage Mariä Verkündigung vor der Kirchenthür be …“ er verwandelte das Wort, das auszusprechen er schon im Begriffe war, noch rasch in ein weniger starkes, „beleidigt worden. Einige Weiber fragten, was sie in unserer Kirche zu suchen habe – sie solle in die Ketzerkirche gehen … Fräulein von Kosel hat gestern an dem großen Feiertage der heiligen Messe nicht beiwohnen können.“

Bornholm hatte ihn während er sprach unablässig mit glühenden, zornsprühenden Augen angestarrt. Plötzlich beugte er sich vor, faßte die ineinander gefalteten Hände des Priesters und preßte sie mit solcher Gewalt, daß der Greis sich vor Schmerz auf seinem Sessel wand. „Und ich war heute bei ihr,“ stöhnte Levin, „und sie hat mir nichts davon gesagt. Begreifen Sie das, Hochwürden? Begreifen Sie diesen Heldenmut, diese Barmherzigkeit?“




Der Pfarrer hatte noch vieles auf dem Herzen und nahm das Anerbieten Bornholms, ihn nach Hause zu begleiten, gern an. Eine Weile wanderten sie schweigend nebeneinander. Unter allen, die ihnen begegneten, war keiner, der nicht durch irgend ein Zeichen sein Staunen oder sein Bedauern darüber zu verstehen gegeben hätte, daß der geliebte und verehrte Seelsorger sich in der Gesellschaft Bornholms treffen ließ.

„Ist die Mißstimmung der Leute gegen Sie immer so arg gewesen?“ fragte der Pfarrer endlich.

„Ich glaube ja, ich habe keine Notiz von ihr genommen.“

„Wenigstens hat sie sich früher nicht getraut, sich so offenkundig zu äußern. Es muß jemand da sein, der die Leute gegen Sie aufhetzt.“

„Wahrscheinlich besorgt das mein Bartolomäus. Ich bin kein bequemer Herr, am wenigsten für den alten Stützkopf, der seit Jahren gewohnt ist, selbst Herr zu sein. Ein Greuel sind ihm die Sendungen aus Australien. Das gottlose Zeug verpestet ihm die Zimmer; er hält jedes Fell, das ich auspacke, für eine gegerbte Menschenhaut oder doch ein Stück davon und wollte gestern durchaus einen Fischerspeer begraben, weil er behauptete, seine Spitze sei aus Menschenknochen gemacht. Ich muß nur trachten, diese Sachen bald fortzubringen, um sie vor ihm zu retten.“

„Unsinn, das ist ja lauter Unsinn, was der sich einbildet! Freilich hat der Unsinn leider Gottes viel dreinzureden in dieser Welt. Aber, lieber Herr Bornholm, es wird doch auch noch manches andere geben …“

„Es giebt die Geister der Vergangenheit, die Erinnerung an die Bedrückung, die die Eltern dieser Leute durch meinen Vater erfahren haben … und dann meine Jugend, mein eigenes, tolles, frevelhaftes Treiben … das lebt alles wieder auf.“

„Freilich, freilich,“ sagte der Pfarrer zögernd, „es ist damals viel gesündigt worden, das sich vor den Menschen nicht wieder gut machen läßt. Die schleudern dann ihren Bannfluch. Verzeihen Sie, lieber Herr Bornholm, ich bin nicht Ihr Seelsorger, ich bin gar nicht befugt … wenn ich aber schon so viel gesagt habe, will ich noch mehr sagen, will ich alles sagen. – Gehen Sie auch nicht mehr nach Velice, lieber Herr Bornholm … Wegen der jungen Leute. Wenn ich schief angesehen werde – ich halt’ das aus. Die jungen Leute, die … Es sind doch erst ein paar Jahre, seitdem Frieden – vielleicht sogar nur ein fauler – zwischen ihnen und denen im Dorfe herrscht. Soll der wieder gestört werden, wäre das gut? Sie finden gewiß, daß es nicht gut wäre, lieber Herr Bornholm.“ aaZagend wendete er sich zu ihm.

Levin erwiderte seinen Blick nicht, er nagte an der Unterlippe und sah starr in die Ferne. Wieder schwiegen beide, und an der Thür des Pfarrhausgartens angelangt, verabschiedeten sie sich kurz. Der Pfarrer hatte aber noch nicht dreißig Schritte gemacht, als er Bornholm rufen hörte: „Halt, Hochwürden, halt!“ Er blieb stehen und erwartete den Heraneilenden.

„Wollen Sie mir erlauben, Ihnen die Hand zu drücken?“ fragte Bornholm.

Der Priester reichte ihm die Rechte: „Da, aber nicht so arg wie früher.“

„Leben Sie wohl, Hochwürden,“ sprach Bornholm langsam und ernst und verließ den Garten. Der Geistliche sah ihm nach und zuckte bekümmert die Achseln, als er ihn die Richtung nach dem Schlosse einschlagen sah. Er hatte ihn doch gebeten, nicht mehr hinzugehen. Aber welchen Eindruck macht die Bitte eines Dieners des Herrn auf solch einen Ungläubigen?




Wie schon der Tag wächst! wie rasch dem längsten entgegen, und drüben in der Kolonie, dem kürzesten … „Drüben,“ sagt Bornholm noch heute, wenn er an seine zweite Heimat denkt, an seinen Garten mit den herrlichen fremdartigen Blumen, den silberblätterigen Akazien, den Riesenbäumen mit Palmenschäften, Laubwerkkränzen, majestätischen Kronen … Er denkt an den blauen, südlichen Himmel, die klare, durchsichtige Luft, in der Auge und Ohr geschärft scheinen, den tiefen, göttlichen Frieden einer australischen Landschaft. Er hat sich ihm dort drüben doch zeitweise ins Herz gesenkt, dieser Frieden. An den Stätten seiner Kindheit und seiner Jugend blüht er ihm nicht mehr. –

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 475. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0475.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2021)