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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

sind. Und wie reich ist nicht gerade die Schweiz an solchen Funden! Da sehen wir die Ueberreste der Menschen, die einst in den Höhlen bei Schweizersbild und Thayngen im Kanton Schaffhausen gewohnt haben, und neben ihnen die überaus reichen Funde aus der Pfahlbautenzeit, die seit 1853 in den schweizer Seen gemacht wurden. Werkzeuge und Schmuck aus der Stein- und Bronzezeit liegen geordnet vor uns, und an ihnen vorbei gelangen wir zu Gegenständen, die aus jener bereits geschichtlich bekannten Periode stammen, da die Römer die Helvetier bekriegten. Ihnen reihen sich an Sammlungen aus der bewegten Zeit der Völkerwanderung mit alemannischen, burgundischen, langobardischen und merovingischen Funden, und dann tritt uns in verschiedenen Werken der Frühgotik, in Altarbildern, Deckengemälden u. dergl., der Einfluß des Christentums entgegen.

Je weiter wir fortschreiten, desto glänzender, anmutiger und kunstreicher gestaltet sich das Bild. Die Blüten mittelalterlicher Kunst erfreuen mit ihrer bunten Pracht das Auge, und auf die Gotik folgt zuletzt die Renaissance mit ihren lebensfrohen Kunstwerken. Aus alten Kirchen, Kapellen und Klöstern, aus öffentlichen Bauten, aus reichen Bürgerhäusern und aus Bauernstuben der Schweiz stammen die Kunstschätze, die hier, soweit es irgendwie möglich war, zu einem harmonischen Ganzen vereint wurden; ja vollständige Zimmer- und Saaleinrichtungen samt dem Schmuck an Wand und Thür wurden in die Hallen des Museums herübergerettet, um vor Zerfall bewahrt zu werden.

In diesen Räumen schauen wir erst recht, was der Kunstsinn und der Gewerbfleiß der Schweizer in früheren Jahrhunderten geschaffen hat. Von einem wunderbaren Lichtschimmer sind viele dieser Säle durchflutet, denn ihre Fenster sind mit Glasgemälden versehen, an denen einst die Schweizerhäuser so reich waren. Bestand doch im Mittelalter die Sitte, daß man bei festlichen Familienereignissen, wie Hochzeiten, sich mit Glasgemälden für Fenster beschenkte, und die schweizer Glasmaler galten namentlich im fünfzehnten Jahrhundert als Meister in ihrer Technik, so daß ihre Werke weit und breit, auch jenseit der Grenzen des Alpenlandes, berühmt und begehrt waren.

Zur hohen Blüte war in der Schweiz die Herstellung der Kachelöfen gediehen, die früher in dem Wohnzimmer einen breiten Raum einnahmen und einen anheimelnden Schmuck bildeten. Sie waren herrlich gearbeitet, mit reichem Reliefschmuck und prächtigen Malereien verziert. Namentlich die Leistungen der Hafnerfamilien Pfau, Erhart und Graf in Winterthur standen in hohem Ansehen und erregen noch heute unsere Bewunderung. Wie an Winterthurer sind auch an anderen schweizer Kachelöfen die Sammlungen des Museums überaus reich.

Einen weiteren Schmuck alter Wohnhäuser bildeten Schnitzereien. Wohlhabende Bürger und Bauern verzierten mit ihnen Decken, Wände und Thüren; in waldreichen Gebirgsländern gedieh diese Kunst immer am besten, und auch die Schweizer leisteten darin Vollendetes. Aus der Fülle der Schnitzwerke, die das Museum bietet, mag nur ein Prunkzimmer aus der Casa Pestalozzi in Chiavenna vom Jahre 1585 hervorgehoben werden.

Die Werke der schweizer Goldschmiede sind in einer besonders feuersicheren Krypta ausgestellt, während den vielgestaltigen Volkstrachten und Kostümen der Schweiz ein besonderer Saal gewidmet ist. Den Glanzraum des Museums bildet aber ohne Zweifel die Waffenhalle, die den ganzen gotischen Mittelbau einnimmt und mit ihren Pfeilern und großen Bogenfenstern den Eindruck eines gewaltigen Kirchenschiffes macht. Bis ins zehnte und achte Jahrhundert zurück reichen die ältesten Exemplare der hier aufgestellten Waffen und Rüstungen. Dazu kommen seltene Schlachtenbanner und Siegestrophäen, die das Bild aus der reisigen Zeit vervollständigen und an so viele Ruhmestage des schweizerischen Heldenmutes erinnern.

Es wäre ein fruchtloses Beginnen, dem Leser die einzelnen Säle und Räume schildern zu wollen. Derartiges muß man mit eigenen Augen schauen. Wem es vergönnt sein wird, die freundliche Limmatstadt aufzusuchen, der wird sicher nicht versäumen, dem Landesmuseum einen Tag zu widmen; es werden ihm dann in dem Prunkzimmer aus dem Seidenhofe in Zürich, in dem Schlafzimmer aus dem Schlößchen Wiggen, in der spätgotischen Aebtissinnenwohnung, in dem berühmten „Lochmannsaal“ aus Zürich, in der originellen Apotheke aus der Benediktinerabtei Muri, in den vielen Hallen und Kreuzgängen unvergeßliche Bilder aus der Kulturgeschichte des Schweizervolkes entgegentreten.

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Gruppe aus dem Festzug in Zürich:
Leute aus Evolena in Wallis auf der Alpfahrt.

Der Freude über das Gelingen des herrlichen Werkes haben die Schweizer am 25. Juni noch durch eine große festliche Veranstaltung Ausdruck gegeben, welche am Nachmittag stattfand. Durch die Straßen Zürichs bewegte sich ein Festzug, an dem 2800 Personen zu Fuß und 250 Reiter teilnahmen und in dem ein halbes Hundert bespannter Festwagen mitgeführt wurde. Dieser Festzug sollte die schweizerischen Volkstrachten in Bildern aus dem Volksleben vorführen. Auch der Vergangenheit wurde dabei ein breiter Raum gewährt. Sitten und Trachten, von denen uns nur noch vergilbte Bücher erzählen, lebten plötzlich wieder auf und wandelten in malerischer Schönheit vor unseren trunkenen Augen und dazwischen sah man Scenen aus dem Leben und Treiben der Gegenwart. Da zogen die Bewohner der fruchtbaren Ebene vorbei, bei einem lustigen Kirchweihfeste oder einer Hochzeit; man sah die Leute aus den rebengesegneten Gegenden bei ihren malerischen Winzerfesten; die Bewohner des blumenreichen Kantons Tessin stellten ein Blumenfest in Agno dar, und die Graubündener erschienen als Jäger und Saumtiertreiber, die über den Splügen dahinziehen. Unsere nebenstehende Abbildung giebt die Gruppe des Festzuges wieder, welche Leute aus dem durch seine malerischen Trachten berühmten Dorfe Evolena in Wallis auf der Alpfahrt zeigte. Tausende und aber Tausende standen dichtgedrängt in den Straßen und schauten freudig den Festzug, der die Feier der Eröffnung des Landesmuseums in einer so würdigen und sinnreichen Weise abschloß. A. Kr.     


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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 482. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0482.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)