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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Da und dort blitzt der Spiegel des Flusses, der bereits, Ende Februar, tief in sein Bett zurückgesunken ist. Entlang der Ufer prangt schon das glänzende Grün des ägyptischen Maises, und hin und wieder, in noch hellerer Farbe, das eines kleinen Zuckerrohrfeldes. Der Weizen schießt üppig aus dem kaum getrockneten Nilschlamm empor. Weiter hinaus erheben sich über der blaugrünen Fläche des Deltas in wundervoller Zartheit zahlreiche Gruppen von Palmen, die die Lage von Fellahdörfchen bezeichnen. Dazwischen, als ob sie durch die Kleefelder glitten, wie Schmetterlinge, die hoch aufgerichteten, weißen Segü zahlloser Nilboote. Am Horizont endlich die gelbe Libysche Wüste, starr und glühend im schattenlosen Sonnenlicht, und dort drüben die zwei großen Pyramiden von Giseh, jene unverwüstlichen Grabdenkmale einer Vergangenheit, die auch heute noch nicht zu sterben vermag.

Eine stille Welt voll unerschöpflichen Lebens. In dem tiefen Staub der grünüberwölbten Straße versinkt jeder laute Ton. Vogelgezwitscher kennt der ägyptische Frühling nicht. Was singt, ist schon auf dem Wege nach dem kühleren Norden. Das Krächzen eines hundertjährigen Schöpfrades im nahen Buschwerk wird lauter und verstummt wieder, während wir vorüberreiten. Lautlos stehen ein paar schwarze Büffel im Sumpf am Wege; lautlos breitet dort ein Araber seinen Gebetsteppich aus und beginnt, gegen Mekka hin, seine feierlichen Verbeugungen und seine stillen Gebete, ohne daß es jemand einfällt, ihn auch nur anzusehen.

Jetzt pfeift es in weiter Ferne, kaum hörbar. Wir spitzen die Ohren, der eine von uns dreien in hervorragender Weise. Nach drei Minuten ein zweiter, und – Gott sei Dank! – nach sechs Minuten ein dritter Pfiff. Das war die Sorge und Freude meines Lebens. Der erste ägyptische Dampfpflug läuft noch! Das aufmerksame Langohr, das seinen Frühstücksklee wittert, erhält einen erfrischenden Hieb, Ali-Machmud schreit sein Schimala! Yemenak! (Rechts! links!), obgleich uns die ganze Straße zur Verfügung steht, lauter, und in thatenfreudigem Galopp geht es weiter. Durch die Bäume schimmert jetzt ein mächtiges, himmelblau angestrichenes Gebäude, in dem orientalischen Stile, wie sich ihn die Italiener und Franzosen zurechtgelegt haben. Es ist der von Mohammed Ali erbaute Sommerpalast von Schubra, heute – wir schreiben 1863 in der Christenwelt – das Schloß oder, wie man es hier nennt, das Harim seines einzigen noch lebenden Sohnes Halim Pascha, welcher der erbberechtigte Nachfolger des seit einigen Monaten regierenden Vicekönigs Ismael Pascha ist. Der kluge und gewaltthätige Begründer der viceköniglichen Familie Aegyptens hatte sich in seinen alten, friedlicheren Tagen diesen Wohnsitz am Ufer des Nils inmitten eines prächtigen Parks und eines Landgutes von etlichen tausend Hektaren geschaffen, um Landwirtschaft zu treiben, und machte hier seine Versuche mit Baumwolle und Opium, Zucker und Thee, Indigo und Pfeffer, schweizer Kühen und arabischen Pferden. Hier wohnte heute noch Halims Mutter, eine Beduinin von Geburt, somit eine Araberin, die den Aegyptern deshalb näher stand als die andern Glieder der türkischen Herrscherfamilie. Sie war infolge hiervon zur Zeit die einflußreichste Frau am Hofe von Kairo und teilte das innere Regiment des Harims mit ihrem Sohne, der, wie es sich später zeigen sollte, vergebens auf den ihm nach mohammedanischem Rechte gebührenden Thron wartete.

Unaufgefordert nahm mein verständiges Langohr die gewohnte Wendung nach rechts und trottete einem Bewässerungskanal entlang, welchen die erste und älteste Dampfpumpe des Landes um diese Jahreszeit mit dickgelbem Nilwasser füllte, das sie drei Meter hoch zu heben hatte. Gleichzeitig kamen aus der Richtung von Heliopolis, dessen einsamer Obelisk, der einzige Rest der alten Priester- und Königsstadt, nur dreiviertel Stunden von hier in einem Weizenfeld steht, all die gewohnten Töne über die weiten, flachen, von Kanälen in allen Richtungen durchschnittenen Felder des Gutes: das Rasseln und Klingen der Stahlräder, das stockende Pusten des Dampfes, so oft die Maschinen vorrückten, ihr emsiges Keuchen, wenn sie den Pflug von Maschine zu Maschine über das Feld zogen. Dort schreiten fünf Kamele mit gefüllten Wasserschläuchen einher, die mein Anblick in gelinden Trab versetzt, denn ihr Führer kennt den unter meinem Befehl arbeitenden Stecken des kleinen Ali-Machmud, wenn er ihn auch nicht fürchtet; hier liegt ein umgestürzter Kohlenkarren echt ägyptischer Konstruktion, d. h. aus den Trümmern eines Pulverwagens und einer Staatskutsche mit zahllosen Dattelpalmstricken kunstvoll zusammengefügt, in einem Bewässerungsgraben. Aber es pfeift; es pfeift in regelmäßigen Zwischenräumen. Das sind die Signale der sich antwortenden Doppelmaschinen. Das Fuhrwerk läuft noch! Niemand, der die Jugendzeit der Dampfkultur nicht mit erlebte, kann sich vorstellen, mit welcher Freude mich damals jeden Morgen dieses Pfeifen erfüllte, mit welchem Kummer ich ungefähr ebenso oft der Todesstille entgegenritt, die mir anzeigte, daß der Kuckuck wieder los war. Arabisches Dampfpflügen war kein Kinderspiel in jenen Tagen.

Der Stand der Dinge war nämlich der folgende: Im Jahre zuvor, während der halb internationalen „Battersea“-Ausstellung der englischen Landwirtschaftsgesellschaft hatte die französische „Illustration“ nach ihrer Art ein überaus phantasievolles Bild eines Fowlerschen Dampfpfluges des damals siegreichen „Clipdrum“-Systems veröffentlicht. Halim Pascha hatte dieses Bild gesehen und sagte sich, als morgenländischer Fortschrittsmann, der er war: Dieses Ding muß ich auch haben! So kam, von zwei der besten Arbeiter Fowlers geführt, im Herbst 1862 der erste Dampfpflug nach Aegypten, gerade rechtzeitig, um im Nilschlamm des Deltas, welcher im Oktober infolge der jährlichen Überschwemmungen ein Minimum von Tragfähigkeit besitzt, bei jeder Bewegung bis an die Achsen zu versinken. Schließlich brach, bei einem gewaltsamen Versuche, die Maschine aus ihrem selbstgegrabenen Grabe herauszuwinden, ihre Hinterachse, und unsere beiden Dampfpflüger, tüchtige Arbeiter, denen die Sache zu Herzen ging, ergaben sich dem Trunk, woran der eine, zwei Jahre später, elend gestorben ist.

Zur selben Zeit baute die Fowlersche Fabrik ihren ersten Doppelmaschinenapparat, an dem ich mich deshalb lebhaft beteiligt fühlte, weil durch meine Erfindung der Wickelvorrichtung des Drahtseils das Wesentliche dieser Konstruktion, die horizontale Windetrommel, möglich geworden war, die dem System seine noch heute geltende Bedeutung erhalten hat. Diese sich soeben vollziehende Umgestaltung im Bau der Dampfpflüge wurde Halim Pascha mitgeteilt, als die Nachricht von der versunkenen Clipdrummaschine nach England kam. Die telegraphische Bestellung eines Doppelmaschinenapparates war seine Antwort. Die ersten Versuchsmaschinen des neuen Systems arbeiteten damals noch mit Ach und Krach in Wakefield bei Leeds. Der zweite Apparat ging nach Aegypten, um in Fellahhänden mit Büffeln und Kamelen den Kampf ums Dasein aufzunehmen.

So ganz einfach war die Einführung eines neuen Dampfpflugsystems damals nicht. Wenige Wochen später brachte ein Telegramm nach dem andern jammernde Berichte aus dem Lande der Pharaonen. Dieses brach und jenes brach. Pflug und Pflüger waren im Begriff, den arabischen Afritis, den Dämonen der Wüste, zu erliegen. Ich wunderte mich keineswegs. Auch der angelsächsische Teufel spielte bei Wakefield meinem Wickelapparat und der Drahtseiltrommel die tollsten Streiche. Ich freute mich, mit Zittern und Zagen, auf die Indigoplantage am Brahmaputra und die indische Teufelswirtschaft, der ich dort entgegen ging.

Da sagte mir Mr. Fowler einige Tage vor meiner Abreise, es sei doch eigentlich schade, mich in Kalkutta sechs Wochen lang müßig auf meine Maschinen warten zu lassen, die den langen Weg ums Kap der guten Hoffnung zu machen hatten. Ich könnte jedenfalls die Zeit nützlicher mit einem Versuch vergeuden, Ordnung in Aegypten zu schaffen. So kam ich nach Kairo und zu meinem täglichen Morgenritt nach Schubra.

Die Hauptschwierigkeit, mit der ich zunächst zu kämpfen hatte, war diese: Der Hebel, der das auf die Windetrommel auflaufende Seil zwischen zwei Rollen führt und durch eine langsam auf und ab gehende Bewegung das richtige Aufwickeln desselben bewirkt, hat unter Umständen einen gewaltigen Druck auszuhalten, namentlich wenn das Seil angefangen hat, eine falsche Lage auf der Trommel einzunehmen. Wie groß diese Widerstände würden, konnte nur die Erfahrung zeigen. Thatsächlich war der Hebel viel zu schwach und zeigte eine verzweifelte Doppelneigung: zu biegen und zu brechen. Ja, es blieb nicht bei der Neigung. Am zweiten Tag meiner Anwesenheit in

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 506. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0506.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2022)