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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Eunuche saß in träumerischer Behaglichkeit auf seinem grünen Stühlchen und salaamte, als ob wir schon seit Jahren die besten Freunde wären. Ihm übergab ich schließlich das Billardbein, und er schien in einer Unterhaltung, die aus Französisch, Türkisch, Italienisch, Arabisch und Englisch kunstvoll zusammengestellt war, zu versprechen, die Zeichnung dem Pascha einhändigen zu wollen. Wenigstens wickelte er die Rolle vor meinen Augen mit allen Zeichen liebevoller Besorgnis in ein grünseidenes, goldbefranstes Taschentuch, nachdem er ihr durch mehrfaches energisches Zusammenknicken die Größe und Gestalt eines Briefumschlags gegeben hatte.

Die Morgenstille und dieser ganze Vorgang hatten mich abgekühlt und der ferne Ganges schwoll jetzt mächtig an meinem Horizont, denn in den Hotels war bereits das übliche Telegramm angeschlagen: daß der P. a. O.-Dampfer „Alahabad“ übermorgen, abends 8 Uhr, von Suez nach Bombay, Ceylon, Kalkutta etc. gehen werde. Rasch war ein letzter kurzer Besuch beim Dampfpflug und ein beweglicher Abschied in allgemein verständlichen Naturlauten von meinen Fellahmaschinisten abgemacht, die mir mit einer gewissen, leicht mißzuverstehenden Ostentation immer und immer wieder nachpfiffen, nachdem ich schon halbwegs in Kairo war. Dann ging es ans Packen für die Seereise – an ein neues Blatt in meinem Wanderbuch.

Es wurde Abend, ehe ich fertig war. Nur schweren Herzens konnte ich mich von ein paar Steinen trennen, die ich auf dem Gipfel der Cheopspyramide abgeschlagen hatte und die mich auf meinem ferneren Lebenswege hätten begleiten sollen. Aber sie wollten sich schlechterdings nicht mit der Chininkapsel vertragen, welche ein älteres Recht auf einen Platz in meinem Koffer besaß. Ich schenkte sie deshalb meinem Zimmernachbar, der, gefühllos lachend, sie vor meinen Augen zum Fenster hinauswarf. In diesem peinlichen Augenblick trat Roß ein.

„Sie wollen doch nicht abreisen?“ war sein erstes Wort mit einem Blick auf meinen Koffer.

„Allerdings, Major. Schon fix und fertig aufgepackt! Morgen geht’s nach Suez.“

„Daraus wird nichts, lieber Eyth. Sie müssen hier bleiben. Aus Indien wird nichts.“

Ich lachte, hörte aber auf zu lachen, als sich das Gespräch weiterspann. Roß begann eine längere Auseinandersetzung. Halim Pascha brauche einen Oberingenieur für seine landwirtschaftlichen Unternehmen. Er besitze zwischen Assuan und Damiette an etlichen zehn Punkten des Landes annähernd 80–100000 Hektar Land.

Die Leute, die man ihm bis jetzt zugeschickt habe, ein Franzose und zwei Engländer, seien nicht nach seinem Geschmack gewesen, was ich später verstehen lernte. Und nun sollte in den nächsten Jahren die Kultur von 80000 Hektar in energischer Weise in Angriff genommen werden. Schubra, Ternnis, Talia, Kaffr Schech, El Mutana seien jetzt schon Mittelpunkte der beginnenden Arbeit … Das Billardbein? – Das sei zur Hälfte ein Witz, zur Hälfte eine Kriegslist gewesen, die der Prinz selbst erfunden habe. Uebrigens ein ganz passabler und dazu ernsthafter Witz für uns alle. Halim habe sich überzeugen wollen, ob ich nicht bloß mit hölzernen Wickelhebeln dampfpflügen, sondern auch zur Not einen eigenen Gedanken zu Papier bringen könne, ehe er einen Entschluß faßte. Nun beglückwünsche er mich zu meinem lotosblumenartigen Bein und werde sofort sechzehn Stück in Paris bestellen lassen. Nur eins habe ihm mißfallen: daß ich die niedliche Zeichnung so jämmerlich zerknickt habe.

„Der Kuckuck hole den Eunuchen!“ rief ich mit Wärme.

„Kurz,“ schloß Roß, „ich bin im Auftrag des Prinzen hier, um Sie festzuhalten.“

„Aber was fange ich mit meiner Chininkapsel an,“ bemerkte ich nicht ohne Bewegung, „und mit meinem englisch-indischen Vertrag?“

„Unsinn!“ meinte Roß. „Heute noch telegraphiere ich nach London. Fowler muß einen Stellvertreter für Sie nach Assam schicken. Ob der Mann Eyth heißt oder Braun oder Müller ist den Indiern völlig gleichgültig, glauben Sie mir das! Für Fowler ist es von der größten Bedeutung, in den nächsten drei Jahren einen Mann Ihres Schlages, den er kennt, in Aegypten zu haben. Auch für unser Haus. Wenn die Amerikaner fortfahren, sich die Haare auszureißen, statt Baumwolle zu bauen, ist Aegypten eine Goldgrube für uns alle. Das muß auch Ihnen einleuchten, obgleich Sie ein Deutscher sind. Was sind Ihre Bedingungen?“

Das wußte ich nun wirklich nicht.

Roß bot mir ungefähr das Dreifache von dem, was mein allerdings bescheidener indischer Vertrag festsetzte, und noch ehe es völlig dunkel war, hatte ich meine Koffer wieder ausgepackt. Müde von dem vielbewegten Tage saß ich auf dem flachen Dach des Hotels und sah über die mondbeglänzten Kuppeln der Khalifenstadt. Auf dem kleinen Altan des nächsten Minarets stand der Mueddin, eine scharfgezeichnete Silhouette gegen die volle Scheibe des aufgehenden Mondes, und sang seinen Gebetsruf: „Gott ist groß! Es ist kein Gott, außer Gott!“ in die stille Nacht hinaus. Ein Sternenhimmel von unbeschreiblicher Klarheit und Tiefe spannte sich über das ganze nachthelle Bild mit seinen geheimnisvollen schwarzen Schatten, seinen grellen, grünlichen Lichtern. Nur im Süden, nilaufwärts sah es etwas trüb aus, wie schwüler Nebel oder aufsteigende Sandwolken. Dort brauste ein Wüstensturm, der erste Chamsin des kommenden Sommers. Aber das verhängnisvolle Billardbein hatte seine Wirkung gethan. Die Würfel waren gefallen. Vier Jahre heißen ägyptischen Lebens lagen vor mir.




Die arme Kleine.

Eine Familiengeschichte von Marie von Ebner-Eschenbach.
(Schluß.)


Leopold war wieder abgereist, die Ankunft Josephs verzögerte sich; das Leben im Hause glitt allmählich in die alten Geleise zurück. Der gute Geist, der segenspendend waltete, die Trösterin, die den Betrübten über die erste schwerste Zeit nach ihrem herben Verlust hinweghalf, war Luise. Sie verbrachte bei ihnen den größten Teil ihrer Tage, opferte, als ob sich das von selbst verstände, ihre eigenen Interessen, ihre Freude an der Führung ihrer kleinen Musterwirtschaft. Aber – es wurde lichter in Schloß Velice, wenn sie die Schwelle überschritt. Die Müden richteten sich auf, die Kummervollen lächelten ihr zu. Vetter Felix konnte, seitdem sie seine Werbung abgelehnt hatte, ihr gegenüber wieder unbefangen sein, und sogar bis zu einem gewissen Grade herzlich – herzlich dankbar.

Einmal kam er merkwürdig heiter und aufgeräumt zu Tische. Er trug einen offenen Brief in der Hand und Elika, die mit ihm eingetreten war, einen geschlossenen, den sie an das Glas vor Luisens Teller lehnte.

Die Suppe war vorgelegt, die Diener verließen das Zimmer.

„Brief von Joseph?“ fragte Charlotte.

„Nein,“ antwortete Kosel und ließ liebreiche Blicke über die Gesellschaft gleiten. „Nicht von Joseph. Aus Australien, ja, aber nicht von Joseph.“ Er versenkte sich in die Betrachtung des Löffels, den er mechanisch ergriffen hatte.

Der Rest ist vorläufig Schweigen, dachte Charlotte und setzte nach einer Weile den Drücker der Tafelglocke in Bewegung. Die Suppe wurde abgetragen, die Zwischenspeise serviert, und wieder schloß die Thür sich hinter den Dienern.

„Ja,“ nahm Kosel wieder das Wort, „es ist unerwartet, aber nicht unangenehm. Nicht wahr, Tante Renate?“

„Was denn, lieber Felix?“

Er geriet von neuem in Geistesabwesenheit und wiederholte: „Unerwartet, aber nicht unangenehm. Was sagen Sie dazu, lieber Heideschmied?“

Heideschmied entschuldigte sich, seine Meinung in dieser Sache stand noch nicht fest.

Kosel war erstaunt: „Wie? nicht fest?“

„Sie wissen ja noch nichts, Papa,“ fiel Elika ein. „Darf ich es sagen?“

Jawohl, natürlich durfte sie.

Die große Neuigkeit also war, daß Bornholm an den Papa

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 510. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0510.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2021)