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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Halbheft 17.   1898.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Jahresabonnement (1. Januar bis 31. Dezember) 7 Mark. Zu beziehen in 28 Halbheften zu 25 Pf. oder in 14 Heften zu 50 Pf.


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Der Entwurf des Stauffacherin-Denkmals für Steinen.
Von Max Leu.

Schloß Josephsthal.
Roman von Marie Bernhard.
(2. Fortsetzung.)


5.

Wie dehnt sich die Nacht, die nach gesundem Schlafe so kurz erscheint, endlos, endlos hin an einem Krankenbett!

Alix hatte noch nie in ihrem Leben eine ganze Nacht durchwacht. Dennoch war sie in der Krankenpflege nicht ganz unerfahren. Frau Maria war der Ansicht gewesen, daß das ihrer Erziehung anvertraute reiche Mädchen, so viel es irgend angänglich war, vom Leben und den Anforderungen, die es an den Menschen stellt, kennenlernen sollte; sie wünschte nicht, daß es in Situationen geraten könnte, denen gegenüber es vollkommen hilflos wäre. Der Bekanntenkreis des Laurentius’schen Hauses hatte sich vielfach darüber gewundert, daß die Professorin es so energisch durchzusetzen wußte, ihren Zögling vielerlei lernen zu lassen, was dies vornehme junge Mädchen doch gewiß nie würde brauchen können. Alix mußte einen Samariterkursus in einer berühmten Krankenanstalt durchmachen, sie mußte einen ganzen Winter hindurch mehrmals wöchentlich in einer Volksküche thätig sein, sie mußte nicht nur feine und schöne Handarbeiten lernen, sondern auch die einfachsten und notwendigsten, einen Strumpf zu stricken und eine Naht zu nähen. Sie hörte populäre Vorträge über Nationalökonomie und begleitete Frau Maria regelmäßig auf deren Armengängen, bei welchen auch ihr, der verwöhnten jungen Dame, feste Pflichten zufielen. Sie mußte sehen, wie die von ihr beschenkten Leute wohnten und lebten, wie sie speisten und sich kleideten, sie lernte abschätzen, wie viel eine Familie von so und so viel Köpfen ungefähr zu ihrem Lebensunterhalte braucht, sie bekam einen Einblick in die Vergnügungen und Erholungsstunden der ärmeren Klassen.

Ohne Kampf hatte die Professorin dies System nicht durchgesetzt; Alix hatte sich sehr dagegen gesträubt und gefragt, wozu sie das solle … wie die Bekannten fanden, mit allem Recht. Das war ja nur unnütze Zeitverschwendung – ein Mädchen wie Alexandra von Hofmann würde doch in ihrem ganzen Leben weder Diakonissin, noch Armenpflegerin werden oder Handarbeiten für Geld liefern, sie konnte sich in all der Zeit viel besser beschäftigen, und wenn sie wohlthätig sein wollte …. du lieber Gott, wie leicht konnte sie das thun mit ihrem Gelde! Bezahlte Hände fanden sich immer in Hülle und Fülle, die das alles viel besser machten als sie!

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 517. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0517.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)