Seite:Die Gartenlaube (1898) 0519.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

ausgedehnten Betrieb zu übernehmen, er, der noch keine zwei Jahre hier ist - -“

„So kurze Zeit erst?“

„Ja! Und ob er mit den Fabrikdirektoren, den Buchhaltern, Kassierern, Unterbeamten zurechtkommen würde …. er ist nicht sonderlich beliebt, wie mir scheint –“

„So?“

„Wie mir scheint!“ betonte der Justizrat mit Nachdruck. „Ich bin ja kein unfehlbarer Beobachter, und dem Josephsthaler Geschäftsbetrieb stand ich von jeher persönlich fern. Ich war Rechtsbeistand Ihres Herrn Vaters, weiter nichts. Daß aber sehr viel dazu gehört, um das Ganze hier zu leiten, das weiß ich genau.“

„Und Sie meinen, dazu wäre mein Vetter Cecil die geeignete Person?“

„Ich habe nicht die Ehre, den Herrn zu kennen, aber – aber Ihr Herr Vater hielt ihn dafür. Er hat sich sehr anerkennend über Mr. Whitemore zu mir geäußert, hat gesagt, derselbe habe einen hervorragend praktischen Verstand, großen Scharfblick und vortreffliche Schulung, er sei zum Leiter eines großartigen Unternehmens wie geschaffen und könne in London ganz gut entbehrt werden, da sein Vater noch rüstig genug sei, um selber seinen Fabriken vorzustehen. Er fügte hinzu, daß er hoffe, seinen Neffen mit der Zeit für Josephsthal zu gewinnen, und daß er überzeugt sei, derselbe würde sich rasch einarbeiten. So dachte ich denn, in Ihrem Sinn zu handeln - -“

„Gewiß! Gewiß! Und was haben Sie ihm depeschiert?“

„Daß Ihr Herr Vater infolge eines schweren Unfalls lebensgefährlich verwundet und Mr. Cecil Whitemores baldigstes Herüberkommen unbedingt wünschenswert sei!“

„Und wann sandten Sie das Telegramm ab?“

„Etwa drei Stunden nach dem Unfall, als die Aerzte ihr Gutachten abgegeben hatten.“

„Er hat noch nicht geantwortet?“

„Bis jetzt noch nicht! Es war dies, wie gesagt, meine einzige eigenmächtige Handlung; ich glaubte aber, Ihre Einwilligung nicht mehr abwarten zu können, auch erschien mir dieselbe als selbstverständlich. Würden Sie mir nun vielleicht weitere Aufträge erteilen? Ich möchte Ihnen jede Mühe abnehmen, alles in Ihrem Namen erledigen, aber Sie müssen eben Ihre Bestimmungen treffen.“

Alix besann sich einen Augenblick.

„An meinen Onkel Alexander von Holsten-Delmsbruck, der Oberst in Metz ist, bitte ich Sie in meinem Namen zu telegraphieren, daß es mir angenehm wäre, wenn er herkommen könnte, da Papa schwer erkrankt sei. Papas sonstige Verwandtschaft steht mir fern. Was aber soll ich mit fremden Leuten hier im Hause zu einer solchen Zeit wie die jetzige?“

„Hm! Was ich sagen wollte…. da wir von Verwandten soeben gesprochen haben: ist Ihnen ein Zweig Ihrer Verwandtschaft – mütterlicherseits – bekannt, der den Namen Hagedorn führt?“

„Nein – oder irre ich mich? Lassen Sie mich einmal nachsinnen! Hagedorn? Mir ist doch, als hätte meine Mutter zuweilen von einer Cousine, die sie sehr liebte und die viel im Hause ihrer Eltern war, gesprochen; sie war älter als meine Mutter und heiratete als blutjunges Mädchen, gegen den Willen der Familie, einen – Gelehrten oder einen Lehrer –“

„Ganz recht! Hat, Ihr Herr Vater Ihnen nie von den Kindern dieses Herrn Hagedorn gesprochen?“

„Nie! Ich wußte nicht einmal, daß Kinder vorhanden sind!“

„Jedenfalls eines! Und dieser Sohn …. Was giebt es?“

Ein Diener näherte sich den beiden. Unwillkürlich standen sie von ihren Sitzen auf.

„Ist Herr von Hofmann kränker?“

„Ist der Arzt gekommen?“

„Bitte um Verzeihung – nein! Es ist jemand am Telephon, der wissen möchte, ob das gnädige Fräulein angekommen sind!“

„Von Greifswald?“

„Jawohl, Herr Justizrat!“

Alix und Ueberweg tauschten einen Blick.

„Wollen Sie mit mir kommen, liebe Alix!“

Er bot ihr den Arm.

„Kann man so schnell von London herüber?“ fragte sie während des Gehens.

„Warum nicht? Wer viel reist und einen kräftigen Körper hat, für den sind zwei Nächte und ein Tag schon eine lange Zeit. Bitte hier!“

Alix setzte sich in dem kleinen Zimmer, das neben ihres Vaters Comptoir lag, nieder und lauschte aufmerksam.

„Hier Cecil Whitemore aus London. Sind Sie selbst zur Stelle, Cousine Alexandra?“

„Ja. Ich bin seit gestern abend hier.“

„Bin vor einer Stunde angekommen. Justizrat Ueberweg hat mich gerufen. Kann ich einen Wagen bekommen, oder soll ich mir hier einen mieten?“

„Nicht nötig. Ich werde sofort das Anspannen bestellen.“

„Wie lange fährt man?“

„Ich denke, etwa anderthalb Stunden. Machen Sie nicht den Umweg zur Station Josephsthal. Ruhen Sie lieber und warten Sie auf den Wagen!“

„Wie Sie wünschen. Also in drei bis vier Stunden auf Wiedersehen!“

„Auf Wiedersehen. – Schluß!“ –

Alix trat vom Telephon zurück. Das war eine zweckentsprechende, sachliche Besprechung gewesen – kein Wort zuviel. Dafür war Vetter Cecil ein praktischer Engländer und sie ein vernünftiges Mädchen, das alle Sentimentalität haßte! Cecil hatte kein Wort über den Unglücksfall mit ihrem Vater verloren – – natürlich! Hätte er ihr etwa durchs Telephon sein Beileid ausdrücken sollen!?

- - - Als sie das Comptoir ihres Vater durchschritt, gewahrte sie einen sehr brünetten, schlanken Herrn am geöffneten Pult sitzend, dem er einen ganzen Stoß von Papieren entnommen hatte. Beim Eintritt der jungen Dame sprang er auf und verbeugte sich tief: „Baroneß wollen gestatten – Oberingenieur Harnack!“

Alix sah sich den Mann aufmerksam an. Er hatte ein intelligentes Gesicht, sichere Manieren und war sehr sorgfältig gekleidet; seine Hände waren klein und gut gepflegt, er trug einen schönen Brillantring am vierten Finger der Linken. Sein sich emporbäumendes straffes Haar war schwarz, auch seine Augen schienen von glänzendem Schwarz.

„Ich habe bereits viel von Ihnen gehört, Herr Ingenieur. Justizrat Ueberweg hat mir Ihre bedeutende Fachkenntnis gerühmt, er nannte Sie die rechte Hand meines Vaters.“

Harnack verbeugte sich abermals.

„Ich bin dem Herrn Justizrat für seine gute Meinung zu Dank verpflichtet, und ich schätze mich glücklich, Ihrem Herrn Vater, gnädigste Baroneß, von Nutzen sein zu können.“ee

Alix wollte mit einer leichten Neigung des Kopfes weitergehen.

„Gnädiges Fräulein wollen verzeihen –“

„Sie wünschen?“

„Baroneß werden sich sagen können, daß ein so ausgebreiteter Betrieb einer leitenden Hand bedarf. Die Werke dürfen nicht feiern, die Arbeiter müssen beschäftigt, neue Dispositionen getroffen, Aufträge zu Lieferungen erteilt werden. Es sind Abschlüsse zu machen, Zahlungen zu leisten. Der älteste technische Direktor, der Form nach wohl der oberste Angestellte, ist – die Situation wird meine Offenheit entschuldigen! – für einen so verantwortlichen Posten absolut ungeeignet. Ich habe vorgestern und gestern, auf des Herrn Justizrats Zureden, selbständig meine Maßregeln getroffen, und der Herr Justizrat machte sich anheischig, dies vor Ihnen, gnädiges Fräulein, einstweilen zu vertreten. Da die Tochter unseres verehrten Chefs jetzt selbst zur Stelle ist, so würde ich sie bitten, mir gütigst eine Vollmacht auszustellen, die mich ermächtigt, nach eigenem Ermessen, selbstredend ganz im Sinn meines erkrankten Chefs, zu disponieren, um später von jeder meiner Maßnahmen genaue Rechenschaft abzulegen.“

Es war gegen das, was der Ingenieur vorbrachte, direkt nichts zu sagen. Dennoch klang etwas mit hinein, was Alix nicht gefallen wollte und sie innerlich reizte. Sie besann sich einen Augenblick und entgegnete dann in einem Ton, der

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 519. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0519.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2022)