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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)


Die Vierlande.

Von O. Schwindrazheim.     Mit Illustrationen von H. Haase.

Der Fremde, der Hamburg einen Besuch abstattet, pflegt wohl dem berühmtesten Punkte der näheren Umgegend, Blankenese, einige Stunden zu schenken, im übrigen aber hegt man keine allzu optimistische Ansicht von den Reizen, die Hamburgs Umgegend etwa aufweisen könnte.

„Flaches Land, teils fruchtbar, teils nicht, mit Feldern, Bauernhäusern, Bauern – worin sollte das wohl von dem Durchschnittstypus einer norddeutschen Dorflandschaft abweichen? Blankenese – da ist doch ein Berg mit Aussicht, da ist malerische Abwechslung – aber da hinten, wo’s flach ist wie ein glattgehobelter Tisch – ja, was sollte da wohl los sein!“ So sprach zu mir ein Freund aus Süddeutschland, der in Hamburg auf Besuch war.

„Meinen Sie?“ erwiderte ich. „Schade, ich wollte Sie eigentlich gern zu einer kleinen Fahrt gerade in Blankenese entgegengesetzter Richtung bereden!“

„Schöne Rosen, meine Herren!“ redet uns plötzlich eine merkwürdige Frauensperson an, die auf der Treppenrampe eines vornehmen Hotels am Jungfernstieg dasitzt. Ein breitrandiger Strohhut mit steifen schwarzen Rückenschleifen bedeckt ihr Haupt, ein mit Goldstickerei und Silberschmuck geziertes Mieder umschließt ihre Brust, ihr dunkler Rock hat auffallende steife Glockenform. – „Eine Vierländerin,“ antworte ich auf die Frage, wer das sei. – Wir schlendern zum Hopfenmarkt, Hamburgs größtem Gemüsemarkt, am Fuße der Nikolaikirche. „Die Frauen dort,“ erkläre ich, „die ganz vergraben sind unter einer Unzahl von Körben voll lockender Gemüse und Früchte, sind auch Vierländerinnen. Jener Bauer in Kniehosen, dunklem Wams mit Silberknöpfen und stattlichem Cylinder gehört dazu. Prachtvolles Obst, nicht wahr? Diese Erdbeeren und Kirschen, diese Johannis- und Stachelbeeren – sehen Sie, auch Pfirsiche sind da. Ja, Vierlanden! In dem gesegneten Landstrich soll’s wohl gedeihen, das ist das reine Paradies! Wohl gemerkt, auch ein künstlerisch hochinteressantes Land, prachtvolle Kirchen, volkstümliche Kunst, malerische Architekturen und Landschaften!“ –

Ob es weit dahin sei, fragt mein Gast. „O nein, mit der Bahn eine halbe Stunde oder mit einem Dampfer zwei und eine halbe.“ – Ob wir nicht einmal dorthin könnten? „Ei gewiß, haben Sie denn Lust? Ja? Das ist ja herrlich, dann habe ich Sie nun auf dem Punkte, wo ich Sie haben wollte! Auf der Eisenbahnfahrt und unterwegs auf dem Marsche von der Station Bergedorf nach Kurslak erzähle ich Ihnen ein wenig im voraus von den Vierlanden.“ …

Zur Zeit Heinrichs des Löwen war’s, da kamen aus den Niederlanden, wo der Mensch gelernt hatte, dem Wasser zum Trotz aus überfluteten Sümpfen fruchtbares Land zu machen, Ansiedler in die Gegend, die wir heute Vierlanden oder die Vierlande nennen. Wo sich jetzt fruchtbare Aecker, Gemüse-, Obst- und Blumenfelder ausdehnen, sah’s dazumal bös aus. Aus dem in der Urzeit riesenbreiten Strombette der Elbe hatten sich allmählich, gebildet durch niedersinkende Schwemmstoffe des Stromes, niedere, sumpfige Inseln erhoben, die, weil sie der Flut stetig ausgesetzt blieben, unbewohnbar waren. Das war ein Terrain, das den Ankömmlingen paßte, aus dem sie durch Deichbauten, durch Entwässerung und emsigen Fleiß bei der Bebauung des Bodens das gemacht haben, was heute die Vierlande sind: ein überaus üppiges Gemüse-, Obst- und Blumenland, eine der anmutigsten Gegenden Norddeutschlands!

Stolz sagen wir Hamburger: es ist Hamburgisches Land – unsere Vorfahren haben’s, wie auch Ritzebüttel, mit den Waffen in der Hand gewonnen. 1420 hat’s Herzog Erich IV von Sachsen-Lauenburg im Frieden von Perleberg an Lübeck und Hamburg, nachdem sie seine festen Schlösser Bergedorf und Ripenburg genommen, abgetreten. Bis 1868 waren die Vierlande „beiderstädtisch“, dann kamen sie durch Kauf in Hamburgs Alleinbesitz.

– Nun flink noch etwas rein Geographisches, denn gleich sind wir da! … Das Ländchen wird im Süden und Osten von der Elbe begrenzt, im Norden stößt es an das holsteinische Geestland, im Westen an die Hamburgischen Landschaften Bill- und Ochsenwärder. Zwei im 15. Jahrhundert am oberen Ende abgedämmte Elbarme, die Dove- und Gose-Elbe, welche eine bequeme Beförderung der Landeserzeugnisse zu Schiff nach der Stadt ermöglichen, zerlegen es in drei Streifen Ein hoher Elbdeich schließt es gegen die Elbe, niederere Deiche dämmen es gegen die toten Elbarme ab. Die Deiche sind zugleich, abgesehen von ein paar Querstraßen, die einzigen fahrbaren Wege. Vier Orte enthält das Ländchen, wie sein Name sagt: Kurslak, Alten- und Neuengamme und Kirchwärder. – So, und nun kann unser Streifzug beginnen!

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Beim Sortieren der Maiblumenkeime.

Merkwürdige Straßen sind es, auf denen wir einherwandeln. Hoch erheben sich die aufgeworfenen Dämme über das Land, bald, wie z. B. große Teile des Elbdeiches, nackt, baumlos, bald an der einen Seite durch hochragende Bäume gefestigt, bald durch schattige Alleen geziert. Der stärkste Deich ist natürlich der Elbdeich, der, mit großen Steinen gepanzert, namentlich im Winter durch den Anprall des oberländischen Eises, sowie im

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 528. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0528.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2022)