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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

und war ziemlich müde, aber ich machte doch einen kleinen Umweg, um die beiden zu sehen und mich wieder einmal zu freuen, wie sich Allan erholte.

,Und wie geht es hier?‘ frug ich und streckte mich neben ihm im Sande aus.

Er sah in den stahlblauen Himmel hinauf und antwortete nicht.

,Wunderschön geht’s!‘ erwiderte Annie für ihn, ,es ist fast zu herrlich hier – gar nicht wie auf der Erde.‘

Er lächelte flüchtig nach ihr hinüber.

,Und dabei bin ich ein so undankbarer Grübler,‘ sagte er langsam, ,daß ich mich heute immerfort frage: ist das nun eigentlich das Glück? Ich habe mir stets solche unbestimmte, goldflimmernde, blendende Vorstellung davon gemacht, und ich denke, nun habe ich es, und dabei muß ich mich das seit heute morgen immer fragen – ist das nicht sehr thöricht?‘

‚Sehr!‘ erwiderte ich; ,mit solchen phantastischen Dingen mußt du einem alten, nüchternen Landdoktor gar nicht kommen, dafür habe ich kein Verständnis.‘

,Und den ganzen Tag,‘ fuhr er fort, ohne meine Einrede zu beachten, ‚habe ich an ein Märchen denken müssen – es quält mich förmlich! Von einem uralten Brunnen, an dem die Leute vorübergehen mußten, ohne ein Wort zu sprechen, und wenn man sie frug, weshalb? dann sagten sie: ,Das Schicksal schläft!‘ und dies eine Wort läuft heute hinter mir her und jagt mich aus allem Behagen, aus aller Ruhe – was ist das nur?‘

Er richtete sich auf, stützte den Kopf in die Hand und sah mir unruhig ins Gesicht.

,Das ist die Gewitterluft!‘ erwiderte ich, ‚siehst du dort drüben die weißgraue Wand? Aus der kommen solche Geschichten und Gedanken. Klappe dein Zeichenbuch zu und gehe ins Haus, es ist hier zu heiß für dich!‘

Er stand gehorsam auf – ich habe nie einen Menschen gesehen, der leichter zu lenken war – und Annie hob Tuch und Bücher vom Boden auf und folgte ihm.

,Verwöhnung,‘ sagte ich lachend und nahm sie ihr ab.

,Ach, lassen Sie doch – das macht mich ja so glücklich!‘ erwiderte sie und hatte plötzlich Thränen in den Augen.

Am Nachmittag dieses Tages ließ der General uns beide – Allan und mich – zu sich bescheiden. Ich entsinne mich noch mit größter Deutlichkeit an jede Minute.

Das Gewitter, das schon Vormittag aufgezogen war, drohte und murrte noch immer entschlußlos am Himmel hin und her, die Luft hing wie ein glühheißer Mantel herunter.

Wir gingen nach der Villa Bella, und Allan wurde von einem Diener sofort zu dem alten Herrn hinaufgeführt. Mich wies man zunächst in den offenen Vorsaal, der in die Glasveranda ausmündete.

Als ich dort eintrat, sah ich die Enkelin des Generals träge in einem Strandstuhl liegen, unter einer Gruppe großer Palmen, die einen tiefen Schatten über ihr Gesicht warfen. Sie hatte rote Schuhe an den Füßen und belustigte sich damit, einen großen, gelben Leonberger Hund zu necken, der vor ihr auf dem Teppich lag. Das prachtvolle Tier war mir schon am Morgen aufgefallen – sie hatte es sich wohl mitgebracht.

Ihre Schönheit wirkte in der Nähe und beim Sprechen noch viel lebhafter – ich habe eigentlich nie wieder ein solches Gesicht gesehen, vorher nicht, und auch nachher nicht – zum Glück!

Mir ging es so sonderbar; ich hatte ihr gegenüber immerfort ein Gefühl zornigen Unbehagens, wie man es wohl angesichts einer herannahenden Gefahr empfindet, die die Larve noch nicht vom Gesicht genommen hat.

Ich machte mich ihr als Arzt ihres Großvaters bekannt. Sie begrüßte mich ziemlich obenhin und sah mich so unbefangen an, wie man sonst nur ein Tier oder ein Bild in Augenschein nimmt. Daß mich das gar nicht verlegen machte oder irgend welchen Eindruck auf mich hervorzubringen schien, war ihr ersichtlich auffallend – sie nahm einen fragenden, erstaunten Ausdruck an, in dem deutlich zu lesen war: Was bist du denn für eine Art Mensch?

Nach ein paar Augenblicken oberflächlichster Unterhaltung lehnte sie sich wieder sehr bequem in ihren Strandstuhl zurück und frug nachlässig:

,Wer war denn der Herr, mit dem ich Sie gestern morgen sah? und wo haben Sie ihn hingethan?‘

‚Ich ‚thue‘ meine Freunde für gewöhnlich nirgends hin,‘ erwiderte ich, ,das besorgen sie selbst – er ist bei Ihrem Herrn Großvater!‘

,Und was will er da?‘ fuhr sie fort, immer in demselben indolenten Ton.

,Das fragen Sie ihn doch selbst!‘ sagte ich ungeduldig, ‚die Herren haben militärische Beziehungen von früher her!‘

Sie öffnete ihre sonderbaren Augen weit.

,Ach – er ist Reiteroffizier – das ist ja sehr hübsch; dann können wir ja bisweilen zusammen ausreiten – ich erwarte morgen meine Pferde. Spielt er auch Tennis?‘

Ich zuckte die Achseln. Ich konnte mich ihr gegenüber kaum zur nötigsten Höflichkeit zwingen – wie gesagt, ohne den tiefsten Grund dieser Empfindung zu verstehen, und das war mir eben so sehr unangenehm, weil ich gewöhnt war, mir stets klare Rechenschaft über das zu geben, was in mir vorging. Aber ich überwand mich – ich mußte um Allans willen ihren Vergnügungsplänen einen Riegel vorschieben, und ich glaubte, es mit einem Worte zu können.

,Darf ich Sie bitten,‘ begann ich steifer – noch steifer als ich es von Natur war, ,meinem Freunde mit Reit- und Tennisplänen gar nicht zu kommen? Er ist krank gewesen und zu seiner Erholung hier, zu der in erster Linie die vollkommenste Ruhe gehört. Sie finden gewiß andere Begleiter auf Ihren Spazierritten.‘

,Zum Beispiel Sie?‘ frug sie mit einer plötzlichen Liebenswürdigkeit, die, wie ich selbst gestehen muß, hinreißend war.

,Ich habe keine Zeit für dergleichen,‘ erwiderte ich kurz.

Sie schloß die Augen halb und sah mich von oben herab an.

,Nun, dann müssen Sie mir eben erlauben, mir anderswo einen Kavalier zu suchen,‘ sagte sie kühl; ,was eine junge Dame aushält, wird ja wohl ein Kavallerist auch vertragen – die Herren Doktoren stellen den Zustand ihrer Patienten ja immer schlimmer dar, als er’s ist – es wird nicht so gefährlich sein!‘

,Das muß ich Ihrem Urteil überlassen,‘ erwiderte ich, ,in jedem Fall werde ich Allan bitten, sich Anstrengungen nicht auszusetzen.‘

Sie unterbrach mich.

,Allan heißt er?‘ frug sie lebhaft, ,das ist ein hübscher Name – er sah so aus, als könnte er keinen Alltagsnamen haben.‘

Ich schwieg, und sie war auch verstummt, obwohl sie immer noch mit ihren merkwürdig sprechenden Augen an mir herumrätselte – es machte mich ganz nervös.

Ich war froh, als Allan erschien und ich, nachdem ich ihn dem Mädchen flüchtig vorgestellt hatte, zu dem alten Herrn beschieden wurde.

Der lag in ziemlich übler Stimmung auf dem Sofa und winkte mich neben sich.

Als unsere ärztliche Rücksprache beendet war, bat er mich, ihm ein Buch vom Fenster herzureichen. ,Der Tag wird mir lang,‘ sagte er, ,ich habe fast immerfort allein gelegen.‘

,Ich dachte, Ihre Enkelin pflegte Sie,‘ erwiderte ich.

Er lachte ironisch.

,Jawohl – sie pflegt mich,‘ erwiderte er, ,wie man das so macht. Sie pflegt mich, indem sie früh bis zehn Uhr schläft und sich nachher wie ein schönes, faules Kätzchen im Strandstuhl dehnt – und dann setzt sie ihr Samariterwerk fort und singt wallonische Volkslieder durchs Haus, wo ich Mittagsruhe halte – und von morgen an wird sie mich pflegen, indem sie ausgeritten sein wird, wenn ich sie haben will. Aber sagen Sie ihr das, und sie wird ein sehr reizendes, überraschtes Gesichtchen dazu machen, denn sie ist überzeugt, ganz Diakonissin zu sein! Allein das schadet gar nichts!‘ fuhr er lebhaft fort, als er mein Kopfschütteln bemerkte, ,sie hat eine unschätzbare Eigenschaft – sie amüsiert mich immer! Auch was andere Leute an ihr unangenehm finden könnten, macht mir Spaß: ein so unbefangener, ausgebildeter Egoismus ist mir interessant wie jede Specialität – ich habe früher selbst in dem Fach gearbeitet. So ein kleines Mädchen, das zu der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 536. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0536.jpg&oldid=- (Version vom 24.11.2022)