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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Ueberzeugung gekommen ist, daß sie ihr hübsches Gesicht einzig und allein zu dem Zweck bekommen hat, die ganze Welt damit zum Narren zu halten und zum Spielzeug zu machen, ist etwas sehr Belustigendes für mich – ich habe immer daran zu studieren. Ja, wenn sie kein anderes Publikum hat, dann nimmt sie auch mit mir vorlieb – aber Publikum muß sie haben!‘

Ich lächelte zu seiner Schilderung und erhob mich, um zu gehen.

Als ich im Begriff war, mich zu verabschieden, rief er mir in der Thür noch nach: ‚Apropos – Ihr junger Freund hat Pech gehabt – sein Prozeß ist in erster Instanz verloren – er muß nun auf die zweite hoffen.‘

Ich erschrak.

‚Mein Gott, was wird ihm das für Eindruck machen!‘ sagte ich vor mich hin.

Der General zuckte die Achseln.

‚Er sah ziemlich blaß aus, als ich es ihm sagte, worum mich sein Anwalt gebeten hatte, aber die Sache schleppt ja weiter – er wird die Büchse noch nicht ins Korn werfen! Wie finden Sie übrigens meine kleine Sinaide,‘ warf er dann, wie beiläufig, hin, ,ich bin ein eitler Großvater, müssen Sie wissen!‘

,Ich kann mir noch kein Urteil erlauben,‘ erwiderte ich kalt.

,Nun, ob sie Ihnen schön oder häßlich erscheint, dazu brauchen Sie doch kein halbes Jahr Bedenkzeit,‘ sagte der alte Herr ärgerlich lachend, ,Sie sind ein sonderbarer Heiliger!‘

Ich ging und holte Allan aus dem Gartensaal ab – ich hörte drin schon lebhaft sprechen, als ich eintrat.

Datei:Die Gartenlaube (1898) b 0537.jpg

Photographie im Verlg der Photographischen Union in München.
Phyllis.
Nach dem Gemälde von Heinr. Lossow.

Er stand dem Mädchen gegenüber, die Hand auf den Tisch gestützt – sie hatte ihre bequeme Stellung nicht aufgegeben und lachte zu ihm hinauf; – widerwillig mußte ich mir zugestehen, daß der Großvater recht hatte und man nicht lange brauchte, um sich klar zu werden, ob sie schön oder häßlich, gefährlich oder ungefährlich sei.

Allan zog die Augenbrauen zusammen, als ich ihn frug, ob er mitkäme, und sah nach Sinaide hin, als erwartete er, sie werde ihn zum Bleiben auffordern – aber sie that nicht dergleichen; sie nickte nur uns beiden nachlässig zu, und wir gingen davon.

Das Wetter kam inzwischen herauf; eine gelbliche, fahle Dunkelheit lag über See und Strand, in der Ferne zuckten unaufhörlich blasse, unruhige Blitze wie kreuzende Schwerter.

Allan ging stumm neben mir, er sah erregt und finster aus – ich fand das begreiflich genug, nachdem er diese Nachricht über den Prozeß bekommen hatte, und blickte ein paarmal besorgt nach ihm hin – er bemerkte es nicht.

Plötzlich wandte er sich nach mir um, der ich in Gedanken die ganze Kette der Sorgen und Bedenken hinter uns her klirren fühlte, die ihm die Nachricht geschaffen haben mußte.

,Sie hat eine so merkwürdig sanfte Stimme!‘ sagte er ohne jede Verbindung.

Ich war so überrascht, daß ich stehen blieb.

,Wer?‘ frug ich ganz laut.

,Sinaide!‘ erwiderte er mir.

,Und das ist alles, was du mir sagst?‘ frug ich kopfschüttelnd, ,hast du denn den General gar nicht verstanden?‘

Er sah mich gedankenlos an und erwiderte nichts.

‚Dein Prozeß!‘ rief ich ungeduldig, und mit dem Gefühl, als müßte ich ihn, wie einen Nachtwandler, aus dem Schlaf rütteln, ‚hast du mir denn darüber gar nichts zu sagen? Junge, wach doch auf! – was ist denn mit dir?‘

Er öffnete die Augen weit und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. ‚Ach ja – der Prozeß!‘ sagte er dann, wieder zu sich kommend, ,das hatt’ ich ganz vergessen.‘

Ich schüttelte den Kopf. Mir war so unheimlich zu Sinn, als wenn das schwere Wetter, das jetzt schon mit krachenden Donnerschlägen und einzelnen schweren Regenschauern um uns her zu toben anfing, mir auf dem Herzen läge; ,wir müssen uns eilen, unter Dach zu kommen,‘ sagte ich.

Wir gingen rascher. Als wir am Seeschloß anlangten, sah ich Annie am Fenster stehen und uns, wohl schon mit Sorge, erwarten.

Allan schritt immer im selben Tempo vorwärts – die Dünen entlang; er wäre am Hause vorbeigegangen, wenn ich ihn nicht am Arm gefaßt hätte.

‚Gehst du denn heute nicht zu deiner Braut?‘ frug ich scharf, es klang ärgerlicher, als ich selbst wußte.

Er fuhr wieder zusammen, wie im Schlafwandeln angerufen.

‚Ach so!‘ sagte er, während eine Blutwelle ihm ins Gesicht schoß, und machte kehrt.

Ich höre noch, wie Annie ihm von der Thürschwelle zurief: ,Nun, du hattest dich wohl heute verirrt?‘ – ich sehe noch, wie gerade ein blauer Blitz die beiden beleuchtete, und glaube noch das abwesende Lächeln auf seinem – den zärtlich frohen Ausdruck auf ihrem Gesicht zu sehen; dann gingen sie ins Haus, und ich drehte um und begab mich nach meiner Wohnung.

Ich riß alle Fenster auf und hakte sie fest – der Sturm brach mit furchtbarer Gewalt herein, und das Meer tobte und schrie die ganze Nacht. Mir war der Kopf so wüst!

Als das Gewitter vorbeigezogen war, lehnte ich mich zum offenen Fenster hinaus und sah Allan auf dem Wege daherkommen. Sein Schritt hallte auf den Klinkern wieder – er sah strahlend fröhlich aus und nickte mir schon von weitem zu.

,Wie schade, daß du heute nicht mit herein kamst,‘ sagte er im Eintreten, ‚wir sind so vergnügt gewesen, unglaublich vergnügt! es ist hier doch herrlich! Die Luft wirkt auf mich, als wenn ich Sekt getrunken hätte. Wollen wir noch ein bißchen vor der Hausthür bleiben?‘

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 537. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0537.jpg&oldid=- (Version vom 24.11.2022)