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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Und er, der bisher inmitten seines arbeitsvollen Lebens mit einer gewissen Geringschätzung auf die Frauen gesehen und ihnen in seinem Dasein nur vorübergehend einmal eine flüchtige Rolle zugeteilt hatte – er sah sich gezwungen, seinen Willen in dieser ihm so wichtigen Angelegenheit vor dem der jungen Gebieterin zu beugen. Stumm neigte er sich und wandte sich, um zu gehen, als der englische Diener unter der Portiere erschien und seiner Herrin auf silberner Schale eine Karte reichte.

„Lassen Sie den Herrn eintreten, James!“ Alix blieb neben dem Eichensitz stehen und blickte nach dem Thürvorhang, zwischen dessen Falken jetzt raschen Schrittes Raimund Hagedorn hervortrat.

Es war ihm wohl kaum sehr angenehm, jedenfalls unerwartet, bei seinem offiziellen Besuch im Herrenhause von Josephsthal mit Harnack zusammenzutreffen. Aber gewandt, wie er war, und sorglosen Temperamentes dazu, schüttelte er die peinliche Empfindung ebenso rasch ab, wie sie ihm gekommen war, machte der jungen Dame seine ehrfurchtsvolle Reverenz und verneigte sich leicht vor Harnack, welcher seine schwere Gereiztheit kaum mehr zu verbergen wußte.

Ein tiefes Kompliment für die Dame – ein eisiger Gruß für Hagedorn, und der Ingenieur war gegangen.


11.

Alix bot ihrem neuen Gaste einen Stuhl und sagte mit ernstem Blick: „Sie haben keine gute Nummer bei Herrn Harnack, wie ich mich soeben selbst überzeugt habe.“

„Ja,“ erwiderte Hagedorn leichthin, „wir lieben einander nicht. Und er war hier, um sich über mich zu beschweren?“

„Nicht nur deshalb. Er sprach eben mit mir in Ihrer Angelegenheit. Ich habe ihm daraufhin zu verstehen gegeben, daß ich eine Einmischung in die mir allein zustehenden Rechte nicht dulde und daß Sie, Herr Hagedorn, so lange in Ihrer Stellung zu verbleiben hätten, bis ich selbst aus eigener Einsicht eine Aenderung herbeizuführen wünschte!“

Es blieb eine kleine Weile still. Alix hatte erwartet, ihr Schützling werde diese Ankündigung mit Dank aufnehmen, aber zu ihrem Erstaunen gewahrte sie im Gesicht des ihr gegenübersitzenden Mannes einen Ausdruck, der alles andere eher bedeuten konnte als Dankbarkeit und Freude. Es war ein offenes Gesicht; es konnte und es wollte auch entschieden nicht seine Empfindungen verstecken. Die freimütig blickenden Blauaugen, der weichgeschnittene, bewegliche Mund, der so einnehmend zu lächeln verstand, die schöngewölbte Stirn – sie wußten nichts von Verstellung.

„Wenn ich recht verstanden habe,“ kam es nach einem raschen Aufatmen, das beinahe einem Seufzer glich, über Hagedorns Lippen, „so haben Sie mit Ihren letzten Worten sagen wollen, es soll mit mir hier alles beim alten bleiben!“

„Allerdings wollte ich das! Mir will jetzt nur scheinen, ich hätte Ihnen damit durchaus keinen Gefallen erwiesen!“

„Das wirft ein abscheuliches Licht auf mich – das der schwärzesten Undankbarkeit! Wenn ich Ihnen nur verständlich machen könnte, wie es in mir aussieht!“

„Ist das so schwer?“ fragte Alix, „Sie könnten mir ja erklären –“

„Erklären! Ja! Das ist es eben, was ich möchte und nicht kann!“ fiel er mit einem Eifer ein, der Alix’ starkes Befremden sofort milderte; in seiner impulsiven Art, zu sprechen, in seiner Weise, den andern überredend anzublicken, ihn mit seinen feurigen blauen Augen gleichsam zu bannen, lag ein Zauber, dem sie sich nicht zu entziehen vermochte. Zudem besaß der Sprecher ein biegsames Organ, und sein etwas Wienerisch gefärbter Dialekt gab allem, was er sagte, eine eigene Wärme.

„Und warum sollten Sie nicht können?“

„Ich bitte Sie, Gnädigste, ich kann Ihnen doch nicht nach so kurzer Bekanntschaft zumuten, meine ganze Biographie anzuhören und sich meinen innern Menschen anzusehen! Auf das aber käm’ es hinaus, wenn Sie darauf bestehen wollten, ich sollte erklären, warum ich mich nicht hab’ aufrichtig freuen und sagen können: ,Küss’ die Hand und danke tausendmal‘!“

„Und wenn ich nun nickits gegen diese Zumutung hätte – wenn ich einem Verwandten unseres Hauses“ – wie unwillkürlich blickte Alix über ihre Schulter zurück, während sie sprach, gleichsam ihre Mutter, die dort im Bilde auf sie herniedersah, auffordernd, ihr recht zu geben.

Raimund Hagedorn war diesem Blick gefolgt. Er sprang hastig von seinem Sitz empor, als habe er soeben gewahrt, daß noch eine dritte Person im Zimmer anwesend sei, die er zu begrüßen vergessen hatte. „Ah, Tante Kathi!“ rief er lebhaft, und mit einer entschuldigenden Gebärde gegen Alix fügte er hinzu: „Sie müssen verzeihen – ich habe sie immer so genannt, sie selbst hat es mir gestattet!“

„Wann und wo sahen Sie meine Mutter?“ fragte das junge Mädchen rasch zurück.

Er antwortete zunächst noch nicht, sondern sah unverwandt zu dem Gemälde empor – dann zu Alix hinüber – wieder zum Bilde zurück – die beiden Gesichter aufmerksam vergleichend.

„Ja, ja,“ nickte er dann, wie zu sich selber sprechend, „ich hab’ es gleich bemerkt, es ist viel Aehnlichkeit da, der ganze Typus, und dann um Augen und Mund herum … doch Baroneß verzeihen, daß ich nicht gleich antwortete. Wann ich Ihre Frau Mutter sah? Auf ihrer Hochzeitsreise zum erstenmal, und damals war ich ein kleiner Bub’, vielleicht sechs Jahr alt. Schadet nichts! Mein Gedächtnis reicht weit zurück, und ich seh’ alles deutlich vor mir – die ganze Scene!“

„Wollen Sie mir die schildern?“

„Gern! Wir lebten dazumal noch in Wien. Ich muß doch der Gnädigsten sagen: ich bin ein geborener Wiener.“

„Das hört man zuweilen an Ihrer Sprache, so dialektrein Sie sprechen.“

„War ja auch nicht immer in Wien. Aber zur Sache! Damals also lebten wir dort, und meine Mutter, auch eine Gräfin Holsten-Delmsbruck, gleich der Ihren, war sehr aufgeregt und glücklich über den bevorstehenden Besuch ihrer Lieblingscousine. Gleich zwei Schwestern waren die beiden zusammen aufgewachsen, obzwar meine Mutter wohl ein halbes Dutzend Jahre mehr zählte als ihre Cousine. Ich bekam mein schönstes Habit an, veilchenfarbigen Sammet mit Goldstickerei, und einen prachtvollen Buschen von Maiblumen und Syringen, so groß, wie ihn meine Hände nur fassen konnten – damit sollt’ ich droben an der Stiege stehen zum Willkommen, und hundertmal wohl hat mir’s meine gute Mutter eingeschärft, ich sollt’ auch hübsch laut und deutlich sagen: ,Grüß’ dich Gott, Tante Katharina!“

„Und haben Sie das fertig gebracht?“ fragte Alix.

„Aber tadellos! Obschon ich so viel zu sehen hatte: die schöne junge Frau in dem schweren grünen Seidenkleid, einen Hut mit wehenden, nickenden weißen Straußenfedern auf dem Kopf, und den Herrn Gemahl daneben, ganz in schwarzer Gala, hinterher den Diener im Tressenrock – das war keine Kleinigkeit. Wie ich aber mit heller Stimme meinen Gruß sagte und meine Blumen hinhielt – gerad’ mitten im schönsten Frühling sind wir gewesen! – da hat mich die neue Tante in die Arme genommen und hat mich geküßt. Sie amüsierte sich über mein damals unverfälschtes Wiener Geplausch und bat sich’s aus, ich möchte sie Tante Kathi nennen, das klänge so hübsch. Lang’ ist sie damals nicht in Wien geblieben, die Reise ist über den Semmering nach Italien gegangen – aber doch hat sie mit Mama manches Plauderstündchen gehalten, während die beiden Herren, mein Vater und der Ihrige, inzwischen sehen mußten, wie sie miteinander zurechtkamen. Ich natürlich, als einziges Kind, gewöhnt, immer an Mamas Rockfalte zu hängen, ich war stets bei den Damen, und sie beachteten mich weiter nicht, wenn ich mit meinen Bauhölzern und Pferdchen still für mich in einem Winkel spielte. ,Der Bub’, der Raimund, hört und versteht uns nimmer!‘ hat meine Mutter oft beruhigend gesagt, wenn Tante Kathi fragend über die Schulter nach mir umblickte. Ich hab’ aber doch alles gehört und auch vieles verstanden, so klein ich noch war. Als Tante Kathi dann abgereist war, ist noch oft von ihr bei uns die Rede gewesen, sie hat auch zuweilen geschrieben und schöne Weihnachtsgaben für die Mutter und für mich geschickt. Mehr als ein Jahr ist vorübergegangen; da, es war im Herbst, hat’s geheißen, Mama und ich würden zu den norddeutschen Verwandten nach Josephsthal fahren, wo das Töchterchen getauft werden sollte. Besagtes Töchterchen – –“ Der Sprecher verneigte sich sehr ceremoniell gegen Alix, und seine Augen glänzten fröhlich und schelmisch zu ihr hinüber.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 584. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0584.jpg&oldid=- (Version vom 9.12.2022)