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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

immer mehr über Haß und Gunst der Parteien, mit denen seine Politik jeweils im Kampf gestanden hatte. Das menschliche Mitgefühl erweiterte von Jahr zu Jahr den Kreis seiner Verehrer; das starke urdeutsche Gemütselement seines Wesens entfaltete sich jetzt in all seiner gewinnenden Liebenswürdigkeit ungehemmt, nun er sich als Privatmann in bedeutsamen Ansprachen an die Vertreter der verschiedensten Volkskreise wandte, die von überall her zu ihm gepilgert kamen. In großartigen Kundgebungen der Dankbarkeit der von ihm geeinten Nation fand das tragische Geschick, das auf Bismarcks letzte Lebenszeit dunkle Schatten warf, seine Verklärung.

Die Schloßterrasse zu Friedrichsruh, dann jene im Schlosse zu Varzin, und endlich der Hof der Oberen Saline zu Kissingen, das waren die Rednerbühnen, von denen der greise Staatsmann noch zur Welt sprach, nachdem er seinen amtlichen Platz an den Ministertischen des Reichstages und des preußischen Abgeordnetenhauses verlassen hatte. Da scharten sich um ihn jene Massenbesuche, die, ohne Beispiel in der Geschichte, oft von weither in tagelangen Reisen zu ihm strömten, aus Schwaben und Baden, aus der Pfalz, Hessen und Thüringen, aus Schleswig-Holstein, Lübeck, Oldenburg, Mecklenburg, aus Lippe-Detmold, Braunschweig, Bayern, aus Posen und Westpreußen – aus fast allen Teilen des Vaterlands. Bismarck selbst ist in den Jahren nach seinem Rücktritt wenig mehr gereist. Nur die Bäder von Kissingen suchte er bis 1893 regelmäßig auf, wie er es schon früher gethan, nach dem guten Erfolg, den der erste Besuch gehabt hatte. Vom Jahre 1876 an bewohnte er hier die „Obere Saline“, das alte Badeschloß der Würzburger Bischöfe, dessen ganze Anlage ihn an die heimischen Gutshöfe in Pommern und der Mark erinnerte und ihm schon darum sympathisch war. Gerade die letzten Jahre, in denen er Kissingen besuchte, um im Badehaus der „Unteren Saline“ in seinen Quellen zu baden, machten den gartenartigen Hof der „Oberen“ zum Schauplatz großartiger Versammlungen von Hunderten, ja Tausenden, die von fernher gekommen waren, um dem Gründer des Reichs zu huldigen. Als Bismarck im Juni 1892 an der Hochzeit seines ältesten Sohnes Herbert in Wien teilgenommen, kehrte er auf der Rückkehr wieder in Kissingen zur Kur ein, und wie schon die ganze Fahrt für ihn ein Triumphzug gewesen war, so wurde er jetzt hier Gegenstand von immer neuen Ovationen, und mächtig hallten im Vaterland die Ansprachen wieder, welche er im Hof der Oberen Saline an die Scharen seiner Verehrer hielt, die aus den Ländern des deutschen Südens sich bei ihm einfanden. In Kissingen war es auch, wo ihn im Sommer 1893 jene Krankheit befiel, auf deren Nachricht hin Kaiser Wilhelm II sich telegraphisch nach dem Befinden des Fürsten erkundigte und ihm eins der kaiserlichen Schlösser als Wohnung anbot. Am 26. Januar 1894 war Bismarck dann einer Einladung des Kaisers folgend zu eintägigem Besuch nach Berlin gekommen. Wie ein Aufatmen nach langer quälender Spannung ging es durch das weite deutsche Vaterland, und bei Gelegenheit des 80. Geburtstags gelangte dann diese Freude in einer Weise











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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 590. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0590.jpg&oldid=- (Version vom 25.12.2016)