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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

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Tragödien und Komödien des Aberglaubens.

Der Klopfgeist zu Dibbesdorf.

Es ist eine weitverbreitete Ansicht, daß die Spiritisten das „Geisterklopfen“ entdeckt und in ihm ein Mittel gefunden hätten, sich mit den Seelen Abgeschiedener zu verständigen. Diese Annahme ist durchaus unrichtig. Klopfgeister hat es zu allen Zeiten gegeben; sie sind so alt wie der menschliche Aberglaube. Man kann Beweise dafür aus den steinalten assyrischen Keilschriften beibringen; sie erzählen bereits von Geistern, die in verschiedenen hölzernen Möbeln knackten und pochten, und sie berichten von weisen Männern, die aus diesen Tönen, aus dieser Geistersprache die Zukunft vorauszusagen verstanden.

Derselbe Aberglaube war auch in Europa im Schwange. Das Volk deutete allerlei Geräusche, die sich in Wohnräumen vernehmen lassen, als Kundgebungen von Geistern, und Gelehrte, die sich mit der übersinnlichen Welt beschäftigten, stimmten ihm in früheren Jahrhunderten bei: Paracelsus lehrte, daß es Caballi und Lemures, Polter- und Rumpelgeister, gebe, die durch Hämmern, Klopfen, Schlagen und Stoßen den Menschen allerlei Mitteilungen machten, sie störten und beunruhigten. So sehr war dieser Aberglaube einst verbreitet, daß bei dem Einweihen der neugebauten Häuser der Wunsch ausgesprochen wurde, sie möchten von „Klopfgeistern“ verschont bleiben. Kein Wunder daher, daß die einfachen Laute, wie sie durch Ziehen und Springen des Holzes beim Feuchtigkeitswechsel in der Luft entstehen und sich so oft in Möbeln, Dielen oder im Hausgebälk vernehmen lassen, ahnungsreichen Seelen als Vorboten eines Unglücks nur zu oft trübe Stunden bereitet haben.

Dieser Aberglaube schuf aber auch Klopfgeister. Leute, die zu Taschenspielerkünsten Anlage hatten, fanden sich veranlaßt, ihre Mitmenschen durch gespenstisches Klopfen zu beunruhigen und zu schrecken. Blieben sie dabei unentdeckt, verstanden sie selbst der Polizei, die ihnen nachspürte, Schnippchen auf Schnippchen zu schlagen, dann gewann ihr Thun und Treiben einen übernatürlichen Anschein. Mitunter erregten solche Witzbolde großes Aufsehen, und ihr Klopfen und Pochen wurde zum Gegenstand langwieriger Untersuchungen und geharnischter Streitschriften.

Die Geschichte eines solchen berühmten Klopfgeistes, auch eine Tragikomödie des Aberglaubens, wollen wir im Nachfolgenden erzählen.

Am Abend des 2. Dezembers des Jahres 1767 hatten sich die Mägde des etwa eine Stunde von Braunschweig entfernten Dorfes Dibbesdorf wie gewöhnlich in der Wohnstube des Kotsassen Anton Kettelhut versammelt und saßen, eifrig mit Spinnen beschäftigt, in einem Kreise um die von der Decke herabhängende, trübe brennende Oellampe.

Da ertönte plötzlich aus der einen Ecke des Zimmers ein dumpfes Klopfen wie das eines Hammers. Im Anfang achtete man wenig auf dasselbe. Als es sich aber wiederholte, begab sich der Hausherr vor die Thür, um den Knecht, der, wie er vermutete, aus Schabernack und um die Mägde zu schrecken, das Klopfen verursachte, bei seinem Treiben abzufassen. Allein er fand niemand. Kaum aber war er in die Wohnstube zurückgekehrt, als das Klopfen von neuem begann. Erschreckt sprangen die Spinnerinnen von ihren Sitzen empor und drängten sich ängstlich zusammen. Eine neue Untersuchung, die der Bauer anstellte, fiel ebenso erfolglos aus wie die frühere. Denn, während er auf dem Hofe vergeblich nach der Anwesenheit einer Person forschte, dauerte das Klopfen munter fort, so daß er seine erste Vermutung, daß ein Knecht die Ursache desselben sei, aufgab und auf den Gedanken kam, daß vielleicht eine Ratte unter dem Lehmboden der Stube ihr Wesen treibe. Als man aber am andern Morgen alle Ecken des Zimmers genau untersuchte, ja selbst den Boden der Stube mit einer Hacke aufschlug, fand man weder ein Loch, noch auch eine Spur eines Ganges, in dem eine Ratte sich hätte aufhalten können.

Dennoch ertönte das Klopfen am Abend von neuem. Da verließen die Mägde das ungastliche Haus und begaben sich nach dem nahegelegenen Hofe des Kotsassen Ludwig Kettelhut, um dort ihre Sitzungen abzuhalten. Aber siehe, der Klopfgeist folgte ihnen, und lustig erklang sein Klopfen auch in dem neuen Heim. Vergebens hoffte der Hauswirt, daß der unholde Gast bald einen andern Wirkungskreis aufsuchen werde, er blieb der nun gewählten Stätte treu und offenbarte sich allabendlich, ja selbst zuweilen am Tage.

Natürlich erregte dieser Spuk, den man sich nicht auf natürliche Weise erklären konnte, im Dorfe große Unruhe. Deshalb sah sich der Amtsgeschworene Hennig Fricke zu Dibbesdorf veranlaßt, die Sache seiner vorgesetzten Behörde anzuzeigen.

Am 6. Januar 1768 begab sich der Justizamimann des Gerichtes Campen mit mehreren Begleitern nach Dibbesdorf, um die Sache zu erforschen. Er ließ die Wände des Zimmers einschlagen und den Boden desselben sowie alle Schränke etc. genau untersuchen, ohne auch nur das geringste Verdächtige zu finden. Auch ließ er den Hausherrn, die Hausfrau und alles Gesinde einen feierlichen Eid schwören, daß sie von dem Urheber des Pochens nichts wüßten, worauf er mit seinen Begleitern unverrichteter Sache abzog.

Indessen trug sich bald nach dieser erfolglosen gerichtlichen Untersuchung ein Ereignis zu, das wohl geeignet war, dem bis dahin noch wenig beachteten Klopfgeiste eine außerordentliche Bedeutung zu verschaffen.

Eines Tages besuchte ein Bauer aus Waggum, ein naher Verwandter des Kettelhut, denselben, um sich von der Wahrheit des Gerüchtes zu überzeugen.

Da der Klopfgeist gerade von seiner anstrengenden Arbeit ruhte, rief er: „Klopfgeist, bist du da?“ worauf sofort ein lustiges Klopfen ertönte.

Und als er weiter fragte: „Wie heiße ich?“ antwortete derselbe durch Klopfen in dem Augenblicke, als der Bauer nach Aufzählung verschiedener Namen den richtigen nannte.

Das bewog einen andern der anwesenden Bauern zu fragen, wieviel Knöpfe er an seiner ganzen Kleidung habe.

Kaum hatte er die Frage ausgesprochen, als es 36 mal klopfte, was, wie sich beim Nachzählen herausstellte, vollkommen richtig war.

Die Kunde von der Allwissenheit des Klopfgeistes zu Dibbesdorf verbreitete sich nun schnell in der näheren und weiteren Umgegend.

Täglich wanderten zahlreiche Neugierige zu Fuß, zu Roß und Wagen nach dem so schnell berühmt gewordenen Dorfe, so daß häufig genug das Haus die Menge der Fremden nicht zu fassen imstande war, und daß sogar die Landmiliz aufgeboten werden mußte, um die Ordnung aufrecht zu erhalten. Zahllos waren die Fragen, die man dem Klopfgeiste vorlegte. Oft schwieg er dazu, oft aber gab er auch wunderbar zutreffende Antworten. Fragte man nach der Seitenzahl eines Buches, die man gerade aufgeschlagen hatte, so klopfte es so viele Male, als die Zahl betrug, erkundigte man sich nach der Farbe des Haares oder der Kleidung der Anwesenden, so gab der Geist beim Aufzählen der Farben sie richtig an, wollte man wissen, aus welcher Stadt dieser oder jener Fremde gebürtig war, so schlug er dann zu, wenn der Name des betreffenden Ortes genannt wurde, mochte man auch noch so viele Namen vorher aufgezählt haben. Der Geist gab die Zahl der Zwiebäcke an, die der Bäcker am Morgen gebacken, und das Alter der ihn fragenden Personen nach Jahren, Tagen und Stunden.

Bei dieser Thätigkeit des Klopfgeistes war äußerlich nicht das Geringste wahrzunehmen: kein Staub wirbelte von dem Lehmboden auf, keine Bewegung war zu sehen und nichts zu hören außer dem gleichmäßigen Klopfen.

Was war natürlicher, als daß sich unter der großen Menge des Volkes allmählich der Glaube verbreitete, daß das wunderbare Klopfen von einem bösen Geiste herrühre, der unter dem Boden des Zimmers hause. In dieser Ueberzeugung begab sich eines Tages der „Opfermann“ eines benachbarten Dorfes nach Dibbesdorf, um den unsaubern Geist auszutreiben. Allein dieser

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 627. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0627.jpg&oldid=- (Version vom 3.1.2023)