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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

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Reineke auf der Fasanenjagd.
Nach dem Gemälde von M. Hünten.

„Wie der schöne Schorsch mit ihr bekannt geworden war, weiß ich nicht. Genug, sie vernarrte sich in ihn, und es wurde bald richtig zwischen den beiden. Auch sollte rasch geheiratet werden. ,Du siehst nun endlich,‘ sagte ich zu meiner Frenndin, ,was für ein Mensch dein Ungetreuer ist; hängt sich an so eine, bloß des lieben Geldes wegen. Denn sie ist älter als er und muß sich schon pudern und schminken, um noch zu gefallen, und was man von ihrem Lebenswandel sagt, müßte einen rechtschaffenen Mann von ihr abschrecken. Na, es ist nichts an ihm verloren. Du aber – dein armes getreues Herzchen wird hoffentlich nun endlich zur Ruhe kommen.‘

‚Ja,‘ sagte sie, und nickte ganz nachdenklich vor sich hin, ,das hoff’ ich auch. Ich will nun aber nach Hause, die Lust zum Spazierengehen ist mir verflogen. Ich muß zur Ruhe kommen, ich habe einen Schmerz im Kopf und am Herzen, der wird immer ärger, wenn ich mich nicht ganz still halte.‘

„Also standen wir auf, und ich begleitete sie nach ihrer Wohnung und redete ihr immer eifrig zu, daß sie sich’s nicht zu Herzen nehmen, sondern jetzt ein neues Leben anfangen sollte. ,Du hast recht,‘ sagte sie, ,mit dem alten Leben bin ich fertig, das war traurig genug. Aber wenn ich hier bleibe – nein, da kann ich nicht zur Ruhe kommen. Ich hab’ schon früher gedacht, ich sollt’ verreisen. Wenn’s nicht um den armen Papa gewesen wäre, hätt’ ich’s schon gethan, weit weit weg. Aber wer soll nach ihm sehen, wenn ich nicht mehr da bin?‘

„Das alles ganz verständig und ohne die geringste Aufregung, aus der ich Verdacht hätte schöpfen können.

„Ich sagte ihr, ich fände ihren Entschluß sehr gescheit, am liebsten würde ich sie begleiten, ich müßt’ aber die Saison erst abwarten. Indessen wollt’ ich statt ihrer mich um den blinden Vater bekümmern, daß ihm nichts geschehen sollte, auch wenn sie fern wäre.

„Da drückte sie mir die Hand und sagte, sie danke mir, ich sei die einzige getreue Seele, die sie auf der Welt habe, Gott werde mir’s einmal lohnen.

„Unter solchen Reden kamen wir in ihre Wohnung, eine einzelne Stube im dritten Stock eines Hinterhauses, die ihr eine gute Frau vermietet hatte. Ich fragte sie, ob ich gehen und sie allein lassen sollte. Sie bestand aber darauf, ich müßte bleiben und Thee mit ihr trinken, es sei ihr so unheimlich in dem schwülen Käfig, obwohl sie das Fenster aufgemacht hatte, so daß die Abendluft hereinwehte. Ich mußte mich auf das Sofa setzen – sie hatte noch ihre alten Möbel, so viel sie in dem einen Zimmer hatte stellen können – dann machte sie mir Thee, trank auch selbst eine halbe Tasse, setzte sich aber nicht zu mir, sondern ging beständig hin und her, wie eine ruhelose arme Seele im Fegefeuer. Denn daß sie Qualen litt, konnt’ ich deutlich sehen, trotz ihres stillen Gesichts und der weisen Sprüche, die sie von Zeit zu Zeit von sich gab, fast lauter Verse, die sie einmal gelesen hatte. Manches klang ganz unsinnig, fast wie wenn jemand aus dem Fieber spricht, ich ließ sie aber reden, denn ich merkte, daß es ihr das Herz erleichterte, und es war auch lieblich anzuhören, wie sie’s mit ihrer leisen Stimme so vor sich hin sagte, halb wie gesungen.

Darüber wurde es immer dunkler, sie zündete aber kein Licht an, vielmehr stellte sie sich ans Fenster und sagte: ,Sieh nur, wie hell es da oben ist, die Sterne kommen heraus, da ist alles so heiter und reinlich, und wenn ich in den Hof hinuntersehe, ist’s wie in einem dunklen, schmutzigen Brunnen, daß einem eine Gänshaut über den Rücken läuft. Aber gleichviel, ich darf mich nicht beklagen,

Ich habe genossen das irdische Glück,
Ich habe gelebt und geliebet!

„Armes Herz! dacht’ ich bei mir selbst, was hast du denn vom irdischen Glück genossen? – Ich mußte aber fort und fragte nur noch, ob ich nicht später wiederkommen und die Nacht bei ihr zubringen sollte. Das wollte sie durchaus nicht erlauben, umarmte mich und sagte, das mit dem Abreisen wolle sie sich noch überlegen, ich erführe jedenfalls, was sie beschlossen habe. Als ich dann schon aus der Thür war, rief sie mich noch einmal zurück und gab mir hastig die Photographie von ihrem Ungetreuen, die immer auf ihrer Kommode gestanden hatte. ,Du kannst sie verbrennen,‘ sagte sie, ,er gehört jetzt einer anderen,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 637. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0637.jpg&oldid=- (Version vom 4.1.2023)