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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

war von blühenden Kindern umringt. Als Fürstin durfte sie mit Stolz auf die Macht ihres Hauses blicken. Oesterreich stand festgefügt da unter dem Scepter von Habsburg und allmählich vernarbten die Wunden, die der Bürgerkrieg dem Lande geschlagen hatte. Wie beneidenswert erschien Elisabeth damals Tausenden und Millionen von Frauenherzen – die mächtige Kaiserin und glückliche Mutter!

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Leicht gezimmert ist das Menschenglück, denn zuzeiten ist das Schicksal hart und unbarmherzig. Anmut und Unschuld halten es nicht auf in seinem Einherschreiten, und mit seinem wuchtigen Hammer trifft es gleich zerschmetternd die Hütten der Armen wie die kaiserlichen Burgen. Auch über Kaiserin Elisabeth verhängte es Prüfungen über Prüfungen.

Schon im Jahre 1857 war es ihr beschieden, den ersten tiefen Schmerz zu empfinden, da sie am Sterbebette ihres ältesten Töchterchens den letzten Atemzügen des Kindes lauschen mußte. Trübes brachte das Jahr 1859 mit sich. Das Auftreten Napoleons III machte den Krieg mit Frankreich und Piemont unvermeidlich; der Kaiser stand im Felde, aber das Glück war seinen Waffen nicht treu; die Schlachten bei Magenta und Solferino gingen verloren, und in dem Frieden von Villafranca mußte Oesterreich die Lombardei abtreten. Treu stand die Kaiserin in dieser herben Zeit ihrem Gemahl zur Seite, aber ihre Gesundheit war frühzeitig erschüttert. Ein schweres Lungenleiden hatte sich bei ihr eingestellt, die frischen Farben waren verschwunden und traurig schauten die blauen Augen aus dem bleichen Gesicht. Gebieterisch verlangten nun die Aerzte die Trennung von Wien und dem Gemahl, denn nur im warmen Süden winkte der Todkranken Rettung.

Nach langem Zögern trat die Kaiserin im November 1860 die Reise nach Madeira an. Das milde Klima des fernen Eilandes wirkte Wunder. Bereits im Mai des folgenden Jahres kehrte Elisabeth nach Wien zurück, scheinbar völlig genesen und neu aufgeblüht, aber plötzlich trat ein Rückfall des heimtückischen Leidens ein, und die Kranke mußte nach kaum einem Monat wieder den Süden aufsuchen. Diesmal begab sie sich nach Miramare und Korfu. Erst im August 1862 konnten die Wiener mit herzlicher Freude ihre heimkehrende genesene Kaiserin begrüßen.

In ihrem Wesen trat aber allmählich eine Aenderung ein. Niemals war sie eine Freundin lauter Festlichkeiten gewesen; jetzt begann sie mehr und mehr die Oeffentlichkeit zu meiden. Nur bei wichtigsten Anlässen trat sie mit ihrer Person hervor; so eilte sie nach Budapest, als es galt, nach den Ereignissen von 1866 die Magyaren mit der Krone zu versöhnen. Es gelang ihr auch leicht, die Sympathien der Ungarn zu gewinnen, die von nun an ihre Königin mit stürmischen Eljenrufen empfingen. Die Politik war jedoch nicht nach ihrem Sinn; sie gehörte zu jenen Fürstinnen, die in die Geschicke der Völker nicht eingreifen und ihre in der Welt bevorzugte Stellung nur zur Förderung gemeinnütziger Ziele benutzen. So floß ihr Leben still dahin; im Jahre 1868 schenkte sie noch ihrer jüngsten Tochter, der Erzherzogin Marie Valerie, das Leben, und als weitere freudige Ereignisse begrüßte sie die Vermählung des Kronprinzen Rudolf sowie ihre Silberne Hochzeit, die sie im Jahre 1879 feierte. So lange ihre Gesundheit es gestattete, fand sie am Reiten große Freude; die Neigung zu diesem Sport hatte sie von ihrem Vater geerbt, und aus dem Vaterhause nahm sie auf den Lebensweg auch das lebhafte Interesse für die Kunst. Namentlich die Dichtung zog sie an; sie hatte griechisch gelernt und trug sich mit der Absicht, die Werke Shakespeares ins Griechische zu übersetzen. Sie war in der magyarischen Sprache und Litteratur bewandert und eine Verehrerin Heines. So führte sie in der selbstgewählten Einsamkeit, auf den Schlössern Miramare bei Triest und Achilleion auf Korfu, auf ihren Reisen in die Alpen ein an geistigen Anregungen reiches Leben und wurde von Jahr zu Jahr mehr und mehr eine stille Schwärmerin. Aber der innere Frieden, die Ruhe, nach denen sie sich sehnte, sollten ihr nicht beschieden werden.

Rauh und gewaltsam griff das Schicksal in ihr Herz ein, als sie im Jahre 1889 das tragische Ende ihres einzigen Sohnes erleben mußte. Seit jenen düsteren Tagen war sie eine gebrochene Frau; sie hatte noch die Kraft gehabt, ihrem Manne in den schwersten Stunden über den Gram hinwegzuhelfen, doch die Trauer wich nicht mehr aus ihrer Seele. Sie ist noch bis in ihr spätes Alter schön geblieben, aber Schmerz und Leid hatten sich nun tief in ihr Antlitz eingegraben. Die Welt kennt aus den Bildern, die von ihr vorhanden sind, nur die frühere Kaiserin; aus den letzten Jahren hat man kein Bildnis von ihr, nur eine Büste der Kaiserin Elisabeth von Viktor Tilgner wird die gramdurchfurchten Züge der trauernden Mutter der Nachwelt überliefern.

Seit der furchtbaren Katastrophe im Schlosse Meyerling trug die Kaiserin stets schwarze Kleider; keine Festlichkeit konnte sie bewegen, die Trauerfarbe abzulegen, nur an einem Tage des Jahres, am 18. August, dem Geburtstag Kaiser Franz Josephs, vertauschte sie das düstere Gewand mit einem freundlicheren schwarz-weißen Kostüm. Mehr und mehr wurde die Kaiserin zu einem Schatten, der dahinwandelte und in die Einsamkeit des Hochgebirges sich flüchtete, um dort seinem Schmerz zu leben. Aber der so tief Gebeugten sollte noch eine weitere Prüfung auferlegt werden: sie mußte noch die Kunde von dem schauerlichen Flammentode ihrer Schwester, der Herzogin von Alençon, bei dem Bazarbrande in Paris erfahren. Nun war die Kraft der Kaiserin völlig gebrochen; ein Herzleiden stellte sich ein und die Kunst der Aerzte mußte alles aufbieten, um das Schlimmste zu verhüten. Die Ernährung ließ viel zu wünschen übrig, da die Kranke sich seit langer Zeit mit einer äußerst schmalen Kost begnügte, die gar nicht im Einklang stand mit den Anstrengungen, welche die von der Kaiserin mit Vorliebe ausgeführten weiten Fußtouren im Gebirge mit sich brachten. So trat zu der Herzerweiterung noch Blutarmut hinzu. Als die Kaiserin in diesem Frühjahr im Schlosse Lainz sich aufhielt, wurde der Schwächezustand so bedenklich, daß eine Badekur dringend nötig erschien. Auf deutschem Boden, in Bad Nauheim, fand die Leidende zuletzt eine Linderung, und gestärkt ging sie in die Schweiz, um an den Ufern des Genfersees im Angesicht der schneegekrönten Alpen eine Nachkur zu gebrauchen.

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Oesterreich-Ungarn steht im Zeichen des Jubeljahres. Vor fünfzig Jahren hat Franz Joseph den Kaiserthron bestiegen. Die Völker huldigen ihm und frohe Feste lösten sich in der Kaiserstadt an der blauen Donau ab … Doch wie jäh und schrill wird der Jubel durch die Klage übertönt!

Der herrliche Sommer naht seinem Ende; noch prangt das Grün in Wald und Flur; goldene Lichter webt die Septembersonne über dem österreichischen Alpenland, aber von den hohen Zinnen der Berge wehen Trauerflaggen; von Buchs her über Feldkirch fährt ein düsterer Zug nach dem Osten, nach der Kaiserstadt Wien, und bei seiner Ankunft klagen die Glocken von den Kirchen der Dörfer und Städte und Scharen des Volkes schauen ihm mit thränenerfülltem Auge nach. Eine Missethat ist geschehen, wie sie das Jahrhundert nicht kannte! Ein entmenschter Bube hat gegen das wunde Herz der Dulderin den Mordstahl gezückt … nun kehrt die tote Kaiserin in ihr Land zurück.

Tiefe Trauer senkt sich über Oesterreich nieder, aber unbeschreiblich ist der Schmerz, mit dem der Kaiser der Toten harrt an der Stätte ihres einstigen Glückes.

Fürwahr, im Tiefinnersten erschüttert die Herzen dieses unheilvolle Schicksal; weit über Oesterreichs Grenzen dringt die Klage, und lange, lange noch wird die Welt mit Wehmut gedenken der stillen Dulderin, Kaiserin Elisabeth.




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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 658. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0658.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2022)