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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Die schweizer Lieblingsplätze der Kaiserin Elisabeth.


Nachdem ich die arme Kaiserin Elisabeth im Hotel Beaurivage in Genf aufgebahrt gesehen hatte, ein Anblick, der jedem Fühlenden das Herz zusammenpreßte, nachdem ich tieferschüttert meine Pflicht als Berichterstatter erfüllt, fuhr ich über die blaue Flut des Genfersees wieder der Heimat zu.

Es war mir ein Bedürfnis, vor meiner Rückkehr nach Wien auch jenen Stätten am glücklichen waadtländischen Ufer, an denen unsere Kaiserin so gerne geweilt, einen Abschiedsbesuch abzustatten.

Das Kirchlein von Montreux.

Ueber den stillschönen Genfersee trug mich der Dampfer in die östliche Bucht, an das Gestade der vielgerühmten Landschaft Montreux. Man glaubt sich hier in den herrlichsten Garten versetzt, in dem, wie der Dichter singt, „die Rosen mit den schönsten Veilchen sich vermählen“; an die zwanzig Dörfer liegen auf Hügeln und Bergen zerstreut und zwischen ihnen ragen die Türme zweier mittelalterlichen Burgen empor; frischgrüne Weiden und dunkle Wälder schmücken in der Höhe die Berge, und näher dem Ufer grünen neben Nußbäumen und Kastanien die Myrte, Granate und der Lorbeer. Dazwischen liegen übereinander prächtige Weinberge, aus denen die köstlichsten Weine der Schweiz hervorgehen. Hier ist die Rebe wohlgeborgen, denn der weite Spiegel des Sees, der die Luft mildert, schützt sie vor Winter- und Frühlingsfrösten, und die Bergzüge, die sich hinter dem Gestade auftürmen, lassen die kalten Nord- und Ostwinde nicht aufkommen. Mit Recht hat Vuillemin, der Geschichtschreiber des Waadtlandes, von Montreux gerühmt, daß es im Besitz einer „privilegierten Natur“ sei. Und in dieser herrlichen, an malerischen Ausblicken so überaus reichen Landschaft wohnt und gedeiht ein prächtiger Volksschlag; hochgewachsen und sehnig sind die Männer, schlank und anmutig die Frauen. Kein Wunder, daß dieser von Gott gesegnete Landstrich schon in früheren Zeiten von Touristen gern aufgesucht wurde; bald lernte man aber auch die Vorzüge dieses Klimas für Kranke würdigen. Hier ist der Winter so mild, daß schon im Februar Levkojen und Krokus blühen, und darum ist Montreux seit lange eine vielbesuchte Winterstation für Brustkranke. Herrlich sind in dieser Gegend die Herbsttage und im September strömen Tausende herbei, um an den Gestaden des blauen Sees die Traubenkur durchzumachen. So sind im Laufe der von Jahre in der Gegend von Montreux, in Vevey, Clarens, Montreux-Vernex, Territet und Veytaux am Ufer des Sees und höher hinauf in Glion und Caux zahlreiche Hotels und Pensionen entstanden, von denen aus die Kurgäste die herrlichsten Fahrten auf dem See oder Ausflüge in die prächtige Bergwelt unternehmen können.

Caux mit dem Hotel, in dem Kaiserin Elisabeth wohnte.

Wie unendlich schön ich Territet gefunden, als ich vor Jahren zum erstenmal mit dem Kaiser und der Kaiserin von Oesterreich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 659. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0659.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)