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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

„Das Land ist schwach bevölkert,“ bestätigte der düstere Prinz. „Aber die Einwohner sind es desto mehr! Ein Glück, daß wir wenigstens noch für Angela ein sauberes Quartier bekamen.“

„Und wie geht es Frau Angela sonst?“ frug der Afrikaner. „Kann man sie schon sehen?“

Der Kleine schüttelte den Kopf. „Sie ist noch unsichtbar. Zu ermüdet von dem gestrigen Ritt. Hat sich gleich, wie wir in die Herberge kamen, in ihrem Zimmer ihr Feldbett aufschlagen lassen und erklärt, sie käme heute nicht vor Zwölf zum Vorschein.“

„Dann werde ich um zwölf Uhr meinen Besuch machen und mich inzwischen durch ein paar Zeilen anmelden!“

„Thun Sie das, Herr!“ Der Yankee lächelte höflich, während sein reckenhafter Begleiter schweigsam und düster in die Ferne sah. „Auf Wiedersehen! Wir müssen jetzt zum spanischen Konsul!“

„Ich hätte Lust, diesen Konsul, den dicken Lümmel, mit seiner eigenen Schlafrockschnur zu erdrosseln!“ brummte der Prinz.

„Aber nachher giebt er uns, fürchte ich, keine Pässe nach Ceuta. Kommen Sie, Franklin!“

Er grüßte und das ungleiche Paar wanderte die Straße weiter. Der Afrikaner schaute ihnen eine Weile nach, dann kehrte er in sein Zimmer zurück, holte sein Taschenbuch heraus und schrieb mit Bleistift einen Brief.

 „Liebe Freundin!
Das erste, was mir entgegenklang, als ich aus der Wildnis kommend gestern wieder am Nordrand der Kultur auftauchte – das war Ihr Name.

Das schien mir ein gutes Vorzeichen. Ich habe daraufhin meinen Reiseweg geändert und habe gethan, was ich schon so oft seit dreizehn Jahren gethan habe: ich bin hinter Ihnen hergeritten!

Sie wissen, es giebt kaum einen Winkel der Welt, wo wir uns nicht schon getroffen haben, in Sheppards Hotel in Kairo, im Yellowstone-Park drüben überm Wasser, auf den ,Inseln‘ in St. Petersburg, auf den Boulevards von Paris – ach, überall!

Und überall habe ich Sie dasselbe gefragt: Wann Sie endlich meine Frau werden wollen?

Und überall haben Sie nur gelacht. Dasselbe silberhelle Lachen, das ich gestern in der Nacht seit lange wieder zum erstenmal gehört hab’! Eine blonde Malerin, die ich gestern traf, die meinte, Sie hätten ein rechtes Madonnengesicht. Aber ich kenne Sie besser: Echt ist das Gesicht nur, wenn ein spitzbübisches Lächeln darauf liegt, wie es ja auch Ihr verehrter Herr Vater, der Petroleumkönig, besitzt.

Wann werden Sie endlich meine Frau? Als Sie mich vor zwei Jahren abwiesen, hab’ ich die Achseln gezuckt, den Weg in die Wüste eingeschlagen und mir gesagt: Das war das letzte Mal! Nun vergiß sie wirklich!

Ich habe Sie nicht vergessen, und als ich müde von meinen Abenteuern zurückkam, da traf ich sofort wieder Sie, Frau Aventiure!

So hab’ ich Sie damals getauft, in jener Stunde auf dem Montblanc, als wir uns zum erstenmal sahen. Da standen Sie plötzlich hinter mir wie ein Geist in Ihren weißen Schneeschleiern, mit Ihrem Gatten und Ihren Führern.

Oben auf dem Montblanc stellt man sich nicht vor. Da waren wir bald wie alte Freunde. Wir saßen beisammen im Schnee und frühstückten und lachten und deuteten mit der Hand unter uns: da unter Ihrer Stiefelspitze die kleine Spielzeugschachtel ist die Schweiz – und da drüben, dies zerknitterte Ding unter den weißen Lämmerherden von Wolken Südfrankreich, und da hinten, wo eben unten im Thal das kleine Gewitter niedergeht, Italien.

In der Stunde wurde mir frei und leicht. Ich hatte die Empfindung: du hast den Menschen gefunden, der zu dir gehört! Fleisch von deinem Fleisch und Geist von deinem Geist!

Ich bin zu wild und rauh für das Philisterglück. Ich habe es mir nie als so ein zärtliches, blondes Etwas am Kaffeetisch mir gegenüber denken können und ein anderes krabbelndes Etwas unten am Boden und ringsherum die gute Stube.

Das mag andere freuen. Ich brauche einen Kameraden oben auf den Höhen. Und als ich wenige Wochen darauf las, Ihr Gatte sei gestorben – da schien mir auch das wie eine Fügung des Schicksals für mich.

Ein Jahr darauf bat ich Sie, meine Frau zu werden. Sie haben gelacht und mich auf später vertröstet. Seitdem sind zwölf Jahre verstrichen. Ich bin über vierzig und habe mein Leben wahrlich doppelt gelebt. An meinen Schläfen färbt sich das Haar schon grau, und als gestern am Thor von Tetuan einen Augenblick das Streichholz aufleuchtete, da war es mir sogar, als läge auch über Ihren dunklen Haaren schon ein leichter silberner Schein.

Das ist natürlich Täuschung. Aber der Herbst ist nah. Wir werden alt und grau, Frau Aventiure, und müssen die Zeit nutzen, ehe alles traurig und öde wird.

Oder vielmehr: in mir ist’s schon so! Was hab’ ich von diesem ganzen wildbewegten Leben? Nur eine Leere, ein Unbefriedigtsein, ein fortwährendes Warten und Suchen nach dem, was das Leben eigentlich bringen soll.

Sie soll mir das Leben bringen. Ich weiß es ganz genau und werde nicht eher froh. Wir beide gehören zusammen.

Erhören Sie mich diesmal. Ich hatte so eine gläubige Hoffnung, als ich Ihnen gestern durch die Nacht und Wüste im Galopp nachritt: diesmal muß es werden!

Um Zwölf bin ich bei Ihnen.

Möge meine Hoffnung mich nicht täuschen!“

*  *  *

Er versiegelte den Brief und gab ihn dem Berberjungen zur Besorgung nach der nahegelegenen anderen Herberge. Nach kurzem kam der Bengel wieder, lächelte verschmitzt unter seiner Kapuze und meldete, daß der Auftrag ausgerichtet sei.

Der Afrikaner entlohnte ihn mit einem maurischen Silberstück und streckte sich wieder auf dem Lager aus. Er wußte nicht, was ihm fehlte, aber er fühlte sich schwerkrank seit dem Sturze von gestern. Die Beklemmungen im Herzen wollten nicht weichen und wurden stärker und stärker, je mehr der Zeiger seines Chronometers auf Mittag wies.

Die Erregung vor dem entscheidenden Zusammentreffen – weiter war es nichts! Er stand auf und ging im Zimmer hin und her, unermüdlich, eine Stunde um die andere, bis es endlich Zeit war. Der Berberjunge zeigte ihm den Weg. Sie schritten die schmutzige Straße hinab und bogen auf den großen Marktplatz ein. Ganze Hammelherden blökten hier, im Regen zu graugelben Klumpen zusammengedrängt; zu Dutzenden lagen, in der Farbe kaum vom Erdboden zu unterscheiden, die Kamele in dem Schlamme, und endlos wirrte und wogte wie in einem Ameisenhaufen das Gewimmel der braunen Gestalten in braunen Mänteln und hohen Kapuzen schreiend durcheinander. Machten sie auch willig dem Europäer Platz, so kostete es doch Mühe, sich durch all diese unablässig über die engen Gassen hingespülten farblosen Menschen- und Tierwogen den Pfad bis zu der Herberge zu bahnen, die wie die Fonda d’España etwas abseits von dem großen Verkehr zwischen Winkelmauern lag. Am Eingang der Fonda lehnte der Wirt, ein zwerghaft schmächtiger Spanier. Er verstand nur seine Muttersprache und einige berberische und englische Worte. Allen Fragen nach Frau Angela Rey und ihren Begleitern wies er ein lächelndes Kopfschütteln entgegen und deutete mit der Hand die Straße abwärts.

Er mußte schwachsinnig sein, daß er so gar nicht begriff, um was es sich handelte! Aber der kleine braune Bengel wußte Rat. Er sprang davon und kam nach kurzem mit einem europäisch gekleideten jungen Juden zurück, der, den Strohhut lüftend, sich auf französisch bereit erklärte, aus Gefälligkeit den Dolmetscher spielen zu wollen.

„Dann bitte, mein Herr,“ sagte der Afrikaner gleichfalls auf französisch, „fragen Sie diesen Menschen da, warum er mich nicht bei Frau Angela Rey anmelden will! Sie erwartet mich! Ich habe ihr einen Brief geschrieben.“

Der Jude wandte sich in erregtem spanischen Wortwechsel zu dem Inhaber der Fonda, dann wieder zu dem Fremden:

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 679. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0679.jpg&oldid=- (Version vom 30.1.2023)