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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

„Der Wirt sagt, die Lady habe freilich einen Brief erhalten. Aber eine Stunde darauf sei sie abgereist!“

„Abgereist?“

„Jawohl. Sowie die Pässe vom spanischen Konsul da waren. Mit den beiden Gentlemen und aller Dienerschaft. In der Richtung nach Ceuta. Unterwegs wollen sie eine Nacht am Meer in Zelten lagern.“

„Und was hat sie mir hinterlassen?“

Erneuter Wortwechsel zwischen dem Wirt und dem Hebräer.

Dann zuckte der die Achseln. „Mein Herr, der Wirt sagt, die Lady hat nichts hinterlassen!“

„Gar nichts?“

„Nein. Gar nichts!“

Eine Weile stand der Fremde stumm da. Dann reichte er dem jüdischen Vermittler nach Landesbrauch die Hand. „Ich danke Ihnen,“ sagte er kurz und ging langsam, wie ein Schwerkranker, wieder seiner Herberge zu.


5.

Gegen Abend hatte sich das Wetter geklärt. Vom Mittelmeer herüber wehte eine Brise durch das rauhe Land und scheuchte die Wolkenfluten in ihre Schlupfwinkel in der zerrissenen Wildnis des Atlas zurück. Bald brach die Sonne durch, mit stechenden Abendstrahlen, in deren Glut alles von Feuchtigkeit dampfte, und die weiten Heidestrecken, die mit Agavenhecken umsäumten Gärten, die grünen Saatfelder am Habesch-Fluß sich in eine weiße Rauchdecke hüllten.

Weiter nach dem Meer zu, jenseit des Kap Negro, verlor sich diese Ueppigkeit des Pflanzenwuchses. Als da die Sonne am nächsten Morgen in langen feuerroten Streifen sich aus den blauen Wellen des Ostens hob, übergoß ihr Licht eine jener eigentümlichen Sumpflandschaften, wie sie der Kampf zwischen Ebbe und Flut an flachen Küstenstreifen erzeugt, ein Gewirr von Sanddünen, brackigen, reglosen Morästen, Seewasserpfützen und schlammerfülltem Buschwald, das niedere Höhenzüge nach dem Land zu, muschelbedecktes buntes Kieselgeröll auf der Seeseite abschlossen.

Hart an der Flutgrenze des Mittelmeeres, neben einigen phantastisch aufgerichteten Felszacken stand ein Zelt. Maultiere und Pferde wälzten sich träge daneben am Boden und zwischen ihren angepflöckten Pflegebefohlenen lagen reglos, die Sättel als Kopfkissen unterm Haupt, in verschossene braune Mäntel gewickelt, die Gestalten der Treiber.

Nur zwei Männer waren an diesem frühen Morgen schon wach, dessen bläßlichblaue Wölbung sich klar und kühl über Länder und Meere spannte, und gingen schweigsam, die Cigarre im Mund, die Hände in den Hosentaschen, auf dem knirschenden Kies mit leisem Sporenklirren auf und nieder.

„Hören Sie mal, Franklin!“ sagte der Hüne nach einer Weile und blieb stehen. „Ich muß Sie mal was fragen.“

Well. Fragen Sie!“

„Ich meine … wann gedenken Sie denn eigentlich so ungefähr nach Johannisburg zurückzukehren?“

„Nach Johannisburg? Gar nicht!“

„Na oder nach Amerika. Oder sonstwohin? Irgendwo muß der Mensch doch hin!“

„Das weiß ich nicht. Es gefällt mir hier ganz gut!“

„Wo denn?“

„In Ihrer Gesellschaft, Durchlaucht!“ sagte der kleine Yankee und lächelte liebenswürdig. „Ich wüßte keine bessere.“

Der Prinz drehte ärgerlich seinen roten buschigen Schnurrbart und begann wieder mit seinen langen Beinen den Sand der Dünen zu messen. „Sie sind mir ja auch verdammt sympathisch!“ murmelte er, mit der Reitpeitsche die Disteln am Boden köpfend. „… Aber … schließlich … na kurz gesagt … Einer von uns kann sie ja doch nur heiraten!“

Sein Begleiter lächelte tiefsinnig. „Ich werde Sie zur Hochzeit einladen, Prinz! Seien Sie unbesorgt!“

„Oder ich Sie!“

„Oder keiner von uns den andern!“ ergänzte der Kleine.

„Das kann niemand wissen!“

„Nein. Ich wollte auch nur wissen, ob Sie nicht die Sache aufgeben?“

„Ich denke nicht daran!“

„Ich auch nicht!“

„All right!“ Und einträchtig kehrten die beiden zum Lager zurück. Der Lange schraubte gähnend ein Fernrohr aus und musterte den Strand. „Dort ganz in der Ferne reitet sie,“ brummte er. „Ich sehe so einen weißen Punkt und so ein Gewimmel drum herum. Das ist sie.“

Er reichte das Glas dem Yankee, der bestätigend nickte. „Das ist Angela,“ sagte er und sah auf die Uhr. „Und die zwei Stunden, die sie uns nach ihrem Abmarsch zu warten befohlen hat, sind um. Wir können aufbrechen! Hallo, ihr Kerle!“ Er klatschte in die Hände. „Auf! An die Pferde!“

In dem Getümmel der sich erhebenden Berber und ihrer Tiere blickte der Prinz sauertöpfisch drein. „Sagen Sie um Gottes willen, Franklin,“ frug er endlich, „ich zerbreche mir schon die ganze Zeit den Kopf: was ist denn heute eigentlich in Angela gefahren, daß sie allein mit ihren Leuten vor Tag und Tau vorausreitet und wir ihr erst in zwei Stunden Abstand folgen dürfen?“

Der Kleine suchte lächelnd den weißen Punkt an der Küste. „Sehr einfach,“ meinte er. „Es ist jemand in Tetuan, den sie nicht sehen will! Sie wissen, wer dieser Jemand ist!“

„Ja.“

„Gleich nach seinem Brief ist sie fort. Wir natürlich mit. Es wäre aber möglich, daß dieser Jemand hinter unserer Karawane herreitet. Dann trifft er bloß uns. Und was er sucht, ist verflogen wie der Wind. Das blinkt nur noch ganz ferne dort übern Strand. Wenn er es nicht weiß, kann er es auch mit dem Fernrohr nicht erkennen!“

„Aber was sagen Sie ihm, wenn er nach Angela frägt?“

„Was sie mir aufgetragen hat: Sie sei schon gestern abend an der Mündung des Tetuanflusses an Bord der dort kreuzenden Jacht ,Liberty‘ gegangen. In den Ocean kann er nicht hineingaloppieren. Also kehrt er um!“

„Ach so!“ Der Prinz stieg tiefsinnig in den Sattel und trieb das Pferd an. „Aber er kommt überhaupt nicht. Er sah sehr schlecht aus. Ich glaube, er wird krank!“

„Ich glaube es auch!“ meinte der Yankee gleichmütig und die beiden trabten los.

*  *  *

„Aeh!“ sagte der Riese nach einer Weile ärgerlich. „Wie die Gäule im Sand versinken! Wir kommen nicht von der Stelle! Ich habe dies Herumstrolchen in Afrika satt. Ich sehne mich nach meinen Bergen!“

„In ein paar Wochen sind wir in Chamounix,“ tröstete ihn Franklin. „Sie haben doch unsere Wette mit den Herren vom Londoner Alpine-Klub nicht vergessen?“

„Aiguille du diable und Gipfel des Montblanc an zwei Tagen hintereinander zu machen? Das werde ich vergessen!“

„Und glauben Sie, daß wir’s zwingen werden?“

„Natürlich! Auf den Montblanc wollte ich mich noch verpflichten, Angela führerlos mitzunehmen! Das wäre eigentlich eine Idee! Das giebt dem Ganzen noch so einen …. wie nennt man das …. so einen ästhetischen Anstrich!“

„Schlagen Sie es ihr doch vor! Die kommt gleich mit!“

„Das werde ich auch!“ sagte der Prinz vergnügt und deutete nach vorn: „Jetzt werden wir naß, Franklin! Naß bis zum Sattel! Jetzt geht’s in die Sümpfe!“

Das Meer hing an dieser Stelle weithin mit den in das Innere des Landes sich erstreckenden Morästen auch bei der Ebbe zusammen. Es gab keinen Weg als quer durch den Wasserspiegel, dessen Ausdehnung die rings darin verstreuten Gebüschgruppen kaum erraten ließen.

Zuerst lenkte der Araber, den sie gestern in Tetuan als Führer angenommen, sein Roß hinab in die Flut, die dem geduldig vorwärtsschreitenden Tier bald bis an den halben Leib reichte. Wie ein großer bunter Wasservogel schwamm sein Reiter in seinem weißen Burnus und dem roten Turban auf der blauen Flut und gab durch ein Schwenken der hoch über den Kopf gehaltenen Flinte das Zeichen, ihm zu folgen.

Das Wasser, das krystallklar über den feinen Sandgrund hin dem Meere zurann, umspülte unangenehm kalt die Steigbügel

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 680. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0680.jpg&oldid=- (Version vom 30.1.2023)