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Harnack, ebenfalls in einer der Mühlen zu beschäftigen, und für die Zukunft alles Gute versprochen. Der Baron, der sehr genau informiert war wie immer, wies ihn kurz ab und machte sogar die definitive Anstellung des älteren tüchtigen, ihm warm empfohlenen Bruders von der Bedingung abhängig, daß der jüngere Harnack nie die Kolonie Josephsthal betreten, nie sich in irgend welche persönliche Beziehung zu seinem Bruder setzen dürfe.

All dies hat der junge Harnack eines Abends dort in Westfalen in Gegenwart meines Bekannten und zweier oder dreier anderer ,Kollegen‘ in besonders animierter Stimmung selbst erzählt. Schon damals hat er Drohungen gegen den hochmütigen ‚Geldprotzen‘, den ,Tugendhelden‘, der anständigen Leuten gegenüber einen solchen Ton anzunehmen und sie schnöde zurückzuweisen wage, ausgestoßen: es sei noch nicht aller Tage Abend, und es würde eine Zeit kommen, da die Herren Fabrikanten und Kapitalisten ihren hohen Ton gewaltig herabstimmen werden. Die kleinste Pistolenmündung verrichte oft Wunderdinge! – Wollheim und die andern haben den jungen Menschen zu beschwichtigen gesucht und diese Drohungen für die hohlen Renommistereien eines stark angetrunkenen Prahlers genommen.

Bald darauf ist Harnack junior entlassen worden und unmittelbar danach auch Kraßna – die beiden haben sehr häufig geäußert, sie würden bei einander bleiben und wären Freunde fürs ganze Leben. Es hieß, der ältere Harnack, der schon verschiedentlich namhafte Opfer für seinen Bruder gebracht, habe diesem das Geld gegeben, nach Amerika hinüberzugehen und sich dort eine Zeit lang über Wasser zu halten. Kraßna kam damals nach Josephsthal, verschwand aber bald wieder, und nach seinen Reden hätte man annehmen sollen, er werde seinem Freund Harnack als treuer Intimus in die Neue Welt folgen – doch stellte es sich heraus, daß er eine Stelle in Mecklenburg angenommen hatte.“

Der Rechtsanwalt warf sein Cigarrenstümpfchen in hohem Bogen fort und zündete sich eine neue Cigarre an.

„Mein Freund Wollheim,“ fuhr Hagedorn fort, „hatte als eifriger Zeitungsleser, der er ist, die Josephsthaler Mordaffaire mit Interesse verfolgt, dann dasselbe, da keine Resultate erfolgten, allmählich fallen lassen. An die beiden Freunde, Harnack und Kraßna, mit denen er persönlich keine Beziehungen gehabt, dachte er gar nicht mehr; er hatte andere Dinge, die ihn beschäftigten. Da erhielt er von seiner einzigen Schwester, die an einen Kaufmann in Breslau verheiratet ist, einen Brief, in dem sie ihn bat, sich ihres jungen Schwagers, des Bruders ihres Mannes, anzunehmen. Der junge Mensch, ein Baubeflissener, hatte vor kurzem eine nicht unbedeutende Erbschaft angetreten; die Kontrolle im Hause des verheirateten Bruders sagte ihm nicht länger zu, er hatte beschlossen, zunächst für einige Zeit zu reisen, ,sich die Welt anzusehen‘, und seine Verwandten hatten den blutjungen, zum Leichtsinn neigenden Menschen nicht ohne Sorge von sich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 689. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0689.jpg&oldid=- (Version vom 18.2.2023)