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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Albrecht Steffen strich sich nachdenklich seinen blonden Vollbart. „Es gleicht sich eben alles aus in der Welt!“ sagte er. „Früher hab’ ich mein Geld verthan und in dulci jubilo gelebt. So ist’s nicht mehr als recht und billig, daß ich jetzt Blutegel exportieren muß und die maurischen Juden beim Pesetawechseln einseifen, nebenbei bemerkt, ein höllisches Stück Arbeit. Einmal wird’s ja auch wohl wieder anders werden. Von Leder und Blutegeln wird man auf die Dauer nicht fett. Es muß ein großer Schlag kommen!“

„Das wünschte ich Ihnen wirklich!“ sagte die Kleine herzlich. Sie sahen sich an und eilten dann, den während ihres Gespräches schon weit vorausgerittenen Haupttrupp wieder zu erreichen.

*  *  *

Das Wetter hellte sich allmählich auf. Als sie, noch vor Sonnenuntergang, ihre Pferde im Schritt durch das Stadtthor von Tetuan lenkten, schimmerten schon blaue Lücken am Himmel und das letzte Abendgold verklärte das Gewühl von Mensch und Tier in der weißgetünchten Stadt, über deren flachen Dächern geisterhaft der letzte Ruf der Muezzin hinzitterte.

Es war hier nicht so bunt wie in Tanger. Der Völkermischmasch des Hafens, der Gegensatz zwischen Morgenland und Europäertum fehlte und damit auch die Fremdenindustrie samt ihren lächerlichen Auswüchsen. Hier war der Islam noch Alleinherr, gemischt nur mit alttestamentarischer, orientalisch gekleideter Judenwelt, deren jüngste Sprossen nur vereinzelt, als seltene weithin sichtbare Erscheinungen in Rock und langen Hosen gingen. War doch sogar der französische Konsul, den Steffen im Vorbeireiten grüßte, ein richtiger freundlicher alter Türke mit hohem Turban, großer Brille und einem Regenschirm, der wenig zu seinem malerisch wallenden Gewande paßte.

„Darin ist Marokko merkwürdig!“ sagte der Reisende zu Hilda. „Der Islam schließt sich hier trotz seines Fanatismus nicht so streng gegen uns Christen ab wie sonst. Vielleicht weil die Leute hier selbständig sind und vom Sultan in Konstantinopel nichts wissen wollen. Ich bin hier oft sogar im Inneren maurischer Häuser gewesen, was in vielen anderen Städten Nordafrikas ganz unmöglich sein soll. Kennen Sie die Alhambra?“

„Jawohl!“ Die Schwestern waren auf der Herreise dort gewesen, und Klara hatte Studien zu einem Bild gemacht, das man im nächsten Jahr mit Vorteil zu verkaufen hoffte.

„Nun, sehen Sie,“ fuhr Hildas Begleiter fort und wies auf die burgartig nach außen abgeschlossenen, fast fensterlosen Gebäudereihen zu beiden Seiten der Straße. „Hier in den Häusern dieser reichen Mauren lebt die Alhambra wieder auf. Im kleinen natürlich, flüchtig ausgeführt, aber eben doch wieder diese Säulenhallen mit ihrer Filigranarbeit an den Wänden und den verschnörkelten Decken und die Gärten mit den Wasserbecken, den Springbrunnen und Orangenbäumen. Und statt der Engländer und Führer und Bettler in der Alhambra hier wirkliche Moslims in weißen Kleidern und Negersklavinnen an den Thüren … kurz, eben Stimmung! Mir wird ganz sonderbar darin zu Mut!“

Die Malerin hatte zugehört und wandte den hübschen Kopf zurück. „Kann man nicht ein solches Haus einmal sehen?“

„Es wird schwer gehen! Für eine Dame ist’s überhaupt mit Tetuan so so! Die Leute hier sind noch zu wenig an unverschleierte Europäerinnen gewöhnt. Sie ärgern sich darüber. Und wie Sie in diesem Gewühl auf der Straße sitzen sollen und Skizzen machen, das weiß ich wahrhaftig nicht. Im günstigsten Fall haben Sie sofort ein paar hundert Menschen, Esel, Hammel und wilde Hunde als Zuschauer dicht um sich her.“

„Ja, es wird Mühe kosten!“ seufzte die blonde Malerin und streifte mit dem Blick eine offene Moschee, in deren Vorraum zwischen den massenhaft herumstehenden gelbledernen Pantoffelpaaren ein einäugiger uralter Araber kauerte. „Sehen Sie nur, wie wütend mich dieser Mensch anschaut! Ich fürchte, wir müssen mit leerem Skizzenbuch nach Tanger zurück!“

Sie war nachdenklich geworden und schwieg, bis man die Fonda d’ España erreicht hatte. Dort stand die dicke Wirtin am Eingang und rief schon von weitem erregt dem Kaufmann ein paar spanische Worte entgeHen.

Auch auf dessen Gesicht malte sich Bestürzung. „Das ist eine schöne Geschichte!“ wandte er sich zu den Damen. „Der deutsche Herr, von dem ich Ihnen sprach … Sie erinnern sich … mit dem ich die Nacht im selben Zimmer schlief …“

„Nun ja … was ist mit ihm?“

„Er scheint plötzlich schwer krank geworden zu sein! Es ist niemand bei ihm. Und, was das Sonderbarste ist, es heißt, daß er Sie erwartet!“

Aufs neue begann die Spanierin ihren Wortschwall.

„Er hat der Wirtin gesagt,“ verdolmetschte Steffen, „es würden drei Damen ankommen, die er gestern in El-Fondak getroffen. Drei Deutsche, darunter eine, die blond und eine Malerin sei. Die wolle er bitten, ihm etwas nach Deutschland oder wenigstens bis Gibraltar mitzunehmen!“

„Warum hat er denn nicht Sie darum gebeten!“ forschte die düstere Gouvernante.

„Er wußte ja nicht, daß ich zurückkommen wollte. Aber wenn Sie wünschen, kann ich natürlich …“

„Nein, lassen Sie nur!“ meinte Klara schnell. „Sagen Sie, bitte, der Wirtin, daß sie mir das Zimmer zeigt!“

Die Kleine hielt sie am Arm zurück. „Aber, Klara! Das schickt sich doch nicht!“ flüsterte sie aufgeregt. „Zu einem Herrn …“

„Zu einem Kranken. Uebrigens kann ja Martha mitkommen.“

Sie stieg mit der Aeltesten hinter der vorausleuchtenden Wirtin die Treppe empor.

Hilda blieb unten zurück. „Um Gottes willen, gehen Sie nicht auch fort!“ bat sie verstört den Reisenden. „Sonst passiert mir heilig irgend ein Unglück in dieser schrecklichen Stadt!“

„Wo werd’ ich denn fortgehen!“ sagte ihr Freund und lächelte, während sie unter seinem Blick die Augen niederschlug.


7.

In einer leeren Whiskyflasche flackerte ein Kerzenstumpf und warf sein helles Licht auf die gegenüberliegende schmutzige Wand mit dem Oeldruck der Madonna. Der übrige Teil des Zimmers lag im Dämmerschein, namentlich das Bett in der Ecke, auf dem der Fremde von gestern gestiefelt und gespornt, in seinen Plaid gewickelt und eine Cigarette zwischen den Zähnen, ruhte.

„Guten Abend!“ klang seine Stimme aus der Gegend, wo das Feuerpünktchen glühte. „Ich danke Ihnen sehr, daß Sie gekommen sind.“

Klara trat näher. „Sind Sie denn wirklich krank?“ forschte sie besorgt.

„Ich bin zusammengeklappt. Und da ich nicht weiß, wie es ausgeht, möchte ich Sie um eine Gefälligkeit bitten.“

Die blonde Malerin rückte einen Stuhl heran. „Also ich soll Ihnen etwas nach Deutschland mitnehmen?“

„Ja. Selber kann ich nicht hin. Sowie ich mich aufrichte, geht mir der Atem aus, und es sind da so Stiche … na, einerlei … ich bin in der Lage, wo man einen vernünftigen Menschen braucht. Also wollen Sie es thun?“

„Gern!“ Sie stand auf, holte das Licht in der Flasche heran und setzte sich erwartungsvoll wieder vor ihn hin.

Er hatte die Augen geschlossen, wie um zu überlegen. Im Kerzenschein sah sie jetzt zum erstenmal sein Gesicht. Gestern Hatte sie die Gestalt nur im Dämmern geschaut, und doch war ihr ein ganz bestimmter Eindruck, eine Erinnerung geblieben. Jetzt plötzlich wußte sie es: Defregger! Das waren die deutschen Alpen, wie sie sich auf harten, kühnen Gesichtern widerspiegeln. Etwas Adlerartiges in Blick und Schnitt des Antlitzes, Kraft, Trotz und unsteter Freiheitsdrang, Vollmenschen der Lebenszähigkeit und Körperkraft, bis an die Grenzen der Wildheit. In diesen Köpfen verliert sich der germanisch blonde Typus. Etwas Welsches kündet sich in dem dunklen Schnurrbart, dem gelblichen Ton der Wangen, der sehnigen Magerkeit des Körpers an, mag auch die Sprache deutsch sein und echt deutsch die kecke Lust an Abenteuern und Gefahren.

„Es ist ja nur eine Kleinigkeit, um die ich Sie bitten möchte,“ sagte er plötzlich. „Verzeihen Sie, daß ich Sie als eine beinahe ganz Fremde damit belästige. Aber sonst kenne ich überhaupt niemand in Tetuan?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 711. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0711.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2023)