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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

„Das muß es wohl! Sie sind zu sehr im Vorteil gegen mich. Sie waren gestern die erste europäische Dame, die ich seit zwei Jahren gesprochen hab’ – bedenken Sie, wie da jedes Wort einer Gardinenpredigt wirkt – Sie sind jung, gesund, frisch, heiter, mit sich und der Welt zufrieden – schlendern mit Ihrer Skizzenmappe im afrikanischen Regen herum, als ob sich das von selbst verstände – kurz, ein ganzer Kerl – verzeihen Sie das Wort, aber ich muß mich erst wieder an den Verkehr mit Damen gewöhnen – hingegen ich … Ja, was bin ich denn noch? …“

„Ich sage Ihnen kein Kompliment!“ Sie drückte ihm noch einmal die Hand zum Abschied. „Das thäte Ihnen jetzt nicht gut. Sagen Sie sich lieber in Ihrem verschwiegenen Innern einige Offenherzigkeiten, je deutlicher desto besser, dann wachen Sie morgen als ein ganz anderer Mensch auf! Nun Adieu! Ich hör’ unten unser hungeriges Nesthäkchen rufen, daß das Essen fertig ist. Wir schicken Ihnen was herauf. Nehmen Sie etwas zu sich, lassen Sie Ihren Cognac ungetrunken, Ihre Cigaretten ungeraucht … und machen Sie sich keine trüben Gedanken mehr. Wollen Sie mir das versprechen?“

Er lächelte seltsam.

„Was Sie wünschen. Es ist zu komisch: ein Mensch, der um einen sorgt, das bin ich gar nicht gewohnt!“

„Ja, irgend jemand muß Sie doch pflegen!“

„Mich hat kein Mensch gepflegt … seit Jahren. Draußen in Europa hab’ ich für tot gegolten und da unten, in der schwarzen Welt, da hätten Sie mich am liebsten tot gesehen, da war ich ganz allein. Von Ihnen kommt mir seit langer, langer Zeit die erste wirkliche Teilnahme, aus dem Herzen heraus. Nicht bloß aus Höflichkeit oder weil man dafür zahlt. Das thut so wohl. Geben Sie mir noch einmal die Hand!“

„Meinethalb! Aber nun zum dritten- und letztenmal!“

„Zum letztenmal hoffentlich nicht!“ sagte er lachend.

Auch sie lachte. Sie nickten sich zu und schieden.


8.

Mit seinem blonden Vollbart, dem narbengezierten Antlitz, das dem alten Korpsstudenten hier in Afrika das Aussehen eines furchtbaren Kriegers gab, und dem funkelnden Kneifer die Menge der um ihn gescharten Mauren und Juden weit überragend, stand Albrecht Steffen auf dem Marktplatz da und handelte. Mit der Kaltblütigkeit des vielerfahrenen Geschäftsmannes, den der ehrwürdige arabische Kaufmann so wenig übers Ohr haut wie Israel in all seinen Schattierungen, vom alttestamentarischen Patriarchen in Käppchen und Kaftan bis zu dem bleichen spanischen Elegant in dem abgelegten Civil irgend eines britischen Lieutenants aus Gibraltar.

Das eigentliche Geschäft war beendet. Es galt jetzt nur noch, die Kaufsumme zu zählen und das dazwischen verteilte falsche Geld auszuscheiden. Zu diesem Zweck hatte sich die ganze Gesellschaft um einen aus dem Schlamm des Bodens aufragenden und von der Morgensonne bereits getrockneten Feldstein gruppiert. Auf diesen ließ der Handlungsreisende mit geübter Hand eines der großen silbernen Fünfpesetastücke nach dem anderen aufspringen, um dann je nach dem Klang des Metalls die Münzen, die ein Berberjunge aus dem Kot auffischte und blank rieb, seinem leinenen Geldbeutel einzuverleiben oder ohne ein weiteres Wort dem Käufer wieder zuzustellen.

„Die Welt wird ehrlich, meine Damen!“ lachte er und lüftete, zu der herankommenden kleinen Maultierkarawane gewendet, den Schlapphut. „Kaum ein Fünftel falsches Geld! Es ist geradezu unheimlich!“

Hilda reichte ihm vom Sattel herab die Hand. „Was werfen Sie denn um Gottes willen das Geld in den Schmutz, Herr Steffen?“

„Ich sondere die Spreu vom Weizen!“ Er wies auf das zurückgeschobene Silberhäufchen, in das sich ein weißbärtiger, düster schöner Araber mit einem jungen jüdischen Stutzer schweigend teilte. „Das ist alles falsches Geld. Dessen Anfertigung ist, wie Sie wissen, außer dem Stierkampf und dem Bürgerkrieg die einzige Arbeit, die das spanische Volk als seiner würdig betrachtet. Und man muß es ihm lassen: darin ist es unermüdlich. Ich war übrigens auch nicht faul. Ich habe heute schon Leder gekauft, Pesetas gewechselt, einen vorteilhaften Abschluß in Blutegeln gemacht und eine Hausse in Honig hervorgerufen – ich komme mir vor wie Rothschild auf der Londoner Börse!“

„Und was haben Sie jetzt vor?“

„Nichts!“

„Dann begleiten Sie uns doch!“ bat die Kleine. „Wir haben solche Angst, Tetuan ist eine schreckliche Stadt. Zu Fuß können wir uns auf der Straße schon gar nicht sehen lassen, nur auf diesen abscheulichen Maultieren. Dabei kann Klara natürlich nirgends zeichnen. Jetzt haben wir uns den Schlüssel zur Festung holen lassen. Da kommt niemand anders hinein, und wir sind vielleicht eine Weile ungestört!“

„Hoffen wir’s! Ich glaub’ es nicht! Der Schlüssel ist doch nur dazu da, um von den Fremden Bakschisch zu erlangen. Das Volk klettert, wo es will, über die Mauern. Wie war denn die Nacht?“

„Fragen Sie nicht!“ sagte die Kleine melancholisch. „Ich mache ja eine Erholungsreise. An die Erholung werd’ ich denken!“

Sie klommen, die Stadt im Rücken lassend, zu der Kasbah, dem hochragenden maurischen Kastell Tetuans, empor. Die Gassen hörten auf. Schuttplätze, grasbewachsene Hänge umgaben den Weg bis in das Innere des zerfallenen Werks. Eine wüste Trümmerwelt, wie überall in dem verrotteten Lande, in dem selbst die Erinnerung an die einstige maurische Herrlichkeit von Granada, an Cordovas Kunstblüte, an den Glanz der Wissenschaft am Hofe der Omaijaden völlig geschwunden, in der Roheit eines unwissenden, fanatischen Hirtenvolkes versunken zu sein scheint.

Verfall ringsumher in den bröckligen Mauern, den verrosteten Kanonen auf fauligen Lafetten, den aus den Angeln hängenden Thoren. Nur eins war von der Zeit unversehrt geblieben: der Blick von dem Wartturm herab auf das weiße, im Frühlicht leuchtende Häusermeer von Tetuan, die ringsum saftgrün prangende Ebene, von fahler, zerrissener Bergwildnis umrahmt, und in der Ferne der silberblaue Schimmer des Mittelmeers.

Hier ließ sich Klara nieder und begann ihr Malgerät zu ordnen. Die Gouvernante setzte sich steif abseits und Hilda ging mit dem jungen Kaufmann plaudernd zwischen den behaglich im Grase sich wälzenden Maultieren auf und ab.

Es war Steffen, als sei zwischen den Schwestern etwas vorgefallen. Und in der That konnte ihm die Kleine ihr überströmendes Herz nicht lange verschließen.

„Denken Sie nur,“ sagte sie bekümmert und beklommen und blieb stehen. „Wir haben uns heute morgen gezankt … wir drei! Das passiert sonst nie! Wir haben uns ja so gerne. Aber wir sind schon alle so nervös und weinerlich, von dem abscheulichen Land … zwei Nächte haben wir jetzt kein Auge zugemacht, sondern auf den Stühlen gesessen und Licht gebrannt – Sie können sich schon denken, weshalb – und den Tag über immer im Regen auf dem bösen Maultier und die Treiber mit ihrem ,Aerra! Aerra!‘ hinterher, und nichts zu essen und zu trinken. Wir haben nur noch eine Flasche. Auf der steht ‚Old scotch Whisky‘ und innen schwimmen ein paar Pfropfen, eine Menge Fliegen und ein bißchen Rotwein, schwarz wie Tinte … nein … ich halt’ es nicht aus; ich hab’ es Klara gesagt: Ich will nach Tanger zurück! Meine älteste Schwester auch!“

„Eine solche Weltumseglerin! Das nimmt mich wunder!“

„Ja, das hat seine Gründe.“

Die Kleine lächelte verstohlen.

„Sehen Sie nur, wie grimmig sie dasitzt! Sie möchte um ihr Leben gern in Tanger sein, wenn die Cooksche Reisegesellschaft dort ankommt. Wir haben sie vor vier Wochen in San Sebastian getroffen. Unterdes sind die Cooksleute überall in Spanien gewesen.“

„Und nun kommen sie von Cadix nach Tanger?“

„Ja, und von da nach Gibraltar. Und da ist jemand darunter … ein verwitweter Major außer Diensten. Lachen Sie, bitte, nicht! Wenn Sie meine Schwester ansehen, werden Sie merken, daß das noch ganz gut ginge! Der Major ist auch nicht mehr der Jüngste. Und daß er gerade schön ist, kann man nicht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 715. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0715.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2023)