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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Karoline von Günderode.

Ein Lebensbild von Moritz Necker.

Die Erinnerung an Karoline von Günderode wäre trotz ihres tragisch erschütternden Todes wohl längst verdunkelt, wenn nicht Bettina von Arnim ihr Andenken so sehr gefeiert hätte. Die Dichtungen Karolinens haben keine große Verbreitung gefunden, und heutzutage sind sie eine Rarität, die sogar in großen Bibliotheken nicht zu finden ist. Die Günderode war auch zu ihren Lebzeiten als Dichterin nur einem engeren Kreise von Freunden in Frankfurt, Heidelberg und Weimar bekannt; sie starb zu früh, um das poetische Talent, das sie ohne Zweifel besaß, zu voller Blüte auszubilden. Man hatte dann ein Interesse daran, nicht viel von ihr zu sprechen; eine druckfertige Sammlung ihrer Gedichte wurde nach ihrem Aufsehen erregenden Tode unterdrückt, obwohl schon ein Teil davon gesetzt war und die Korrekturbogen vorlagen. Sie wäre also ganz verschollen, wenn nicht Bettina in drei Werken, von denen eines den Titel „Die Günderode“ trägt und 1840 erschien, so warm, so begeistert von ihr gesprochen hätte; die anderen Werke sind „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde“ (1835) und „Clemens Brentanos Frühlingskranz aus Jugendbriefen ihm geflochten“ (1844). Und da alle diese Werke noch immer leben, so viel Absonderlichkeiten ihnen auch anhängen, so lebt mit ihnen das Bild der Günderode fort, wie es Bettina in ihrer treuen Freundesseele festgehalten hat.

Darin erscheint Karoline als das wahre Widerspiel Bettinens. Diese ist der ewig unruhige Geist, übersprudelnd von Gefühlen, von närrischen und tiefsinnigen Gedanken. Karoline, um mehrere Jahre älter als Bettina, ist von ruhigerer Gemütsart, mehr zur Beschaulichkeit und Grübelei geneigt, etwas gedrückt auch durch manche herbe Lebenserfahrung. Karoline ist Freundin, Vertraute, Erzieherin Bettinens; alt genug, um bedächtiger als sie zu sein; jung genug, um mit ihr zu Zeiten noch schwärmen und phantasieren zu können. Folgt man Bettinens Erzählung, die im einzelnen zuweilen Dichtung, im ganzen aber Wahrheit bietet, so erfährt man aus ihr die Geschichte einer Freundschaft, die idealer nicht gedacht werden kann und zwischen Frauen, die litterarisch bekannt wurden, auch ihresgleichen nicht mehr hat. Diese Aufzeichnungen der Freundin haben in der That mehr noch als der tragische Tod der Günderode die Nachwelt zur Beschäftigung mit dem Schicksal der unglücklichen Dichterin angeregt und noch ganz neuerdings L. Geiger, E. Rhode, K. B. Stark und andere zu Publikationen veranlaßt. Auf Grund dieser Forschungen wollen wir die kleine Lebensgeschichte nun wiedererzählen.

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Karoline v. Günderode.
Nach einer Lithographie von C. Lang.

1.

Karoline von Günderode stammte aus einer alten, angesehenen Familie in Hessen und Baden, die schon von Kaiser Rudolf II in den Freiherrnstand erhoben wurde und eine Reihe von Militärs, Justiz- und Hofbeamten aufweist. Karolinens Vater, Hektor Wilhelm von Günderode (1755–1786), begnügte sich nicht mit seiner amtlichen Stellung in Karlsruhe, sondern hatte auch wissenschaftlichen und litterarischen Ehrgeiz. Er erwarb sich einen guten Ruf als besonnener und gründlicher Historiker, starb aber, mit wenig mehr als dreißig Jahren, zu früh, um das Ziel seines Ehrgeizes zu erreichen. Nach der Schilderung seines Biographen Posselt war Hektor von Günderode „mehr Beobachter als Sprecher. Es beleidigte ihn, wenn die Leute über Abwesende spotteten. Sein Leben war das Leben eines Mannes, der gern alles thun möchte und noch wenig gethan zu haben glaubte. Bei allem Ehrgeiz sehnte er sich nach Freiheit und Ruhe, er war zur Schwermut geneigt.“ Auch Hektors Bruder Friedrich Justinian von Günderode war litterarisch thätig, doch mehr in schöngeistiger, feuilletonistischer Art. Von ihrem Vater dürfte Karoline nicht bloß den Charakter, sondern auch die litterarischen Neigungen geerbt haben. Sie war auch körperlich dem Vater ähnlich, doch hat er keinen Einfluß auf ihre Bildung genommen, da sie, geboren am 11. Februar 1780 in Karlsruhe, erst sechs Jahre alt war, als er starb. Er hinterließ seine Familie in etwas bedrängten Verhältnissen. Die Pension der Witwe betrug nach der kurzen Dienstzeit des Gatten nur 300 Gulden jährlich. Sie hatte ursprünglich sechs Kinder, fünf Töchter und einen Sohn; doch starben die drei älteren Töchter in früher Jugend wie der Vater an der Auszehrung. Auch die Mutter Karolinens, gleichfalls eine geborene von Günderode, war bei großer Schönheit eine reich begabte und vielseitig gebildete Frau; sie betrieb philosophische Studien mit Vorliebe; Fichtes Schriften waren ihr vertraut, und anonym hat sie manches Gedicht in Zeitschriften veröffentlicht. Nach dem Tode ihres Gatten siedelte sie von Karlsruhe nach Hanau über. Die schmale Witwenpension wurde durch die Einkünfte des Günderodeschen Fideikommisses immerhin soweit ergänzt, daß die Freifrau ein eigenes Haus in Hanau kaufen und ihren Kindern eine gute Erziehung angedeihen lassen konnte. Dazu bot auch die Stadt hinreichend Gelegenheit; sie hatte gute Lehranstalten, lebhaften geselligen Verkehr und ward aus dem nahen Kurorte Wilhelmsbad viel besucht. Seit 1787 blühte Hanau neuerdings auf, da der Erbprinz von Hessen-Kassel, der spätere Kurfürst Wilhelm II, dort seinen Hof hielt und bis zur Franzosenzeit daselbst verblieb. Frau von Günderode hatte auch eine Stellung an diesem Hofe, die sie oft von den Kindern fernhielt.

Ueber das Leben Karolinens bis zu dieser Zeit sind wir wenig unterrichtet, da sich unter den wenigen Briefen, die wir überhaupt von ihr besitzen, keiner aus den Jahren vor ihrer Uebersiedelung in das von Cronstetten-Hynspergsche adelig-evangelische Damenstift in Frankfurt a. M. vorfand. Diese Uebersiedelung machte Epoche in Karolinens Leben.

Das adelige Damenstift war 1766 zunächst nur für mittellose Frauen der „Ganerbschaft“ Alt-Limpurg von Fräulein Justine von Cronstetten gegründet worden, und zwar für Witwen oder Fräulein, die das dreißigste Lebensjahr erreicht hatten. Bei Karoline von Günderode, deren Familie auch zum Hause Alt-Limpurg gehörte, machte man jedoch eine Ausnahme, als man sie, die wenig mehr als Siebzehnjährige, am 4. April 1797 ins Stift aufnahm. Der Dienst, den man dem jungen Mädchen damit leistete, war von zweifelhafter Art. Man entlastete wohl die Mutter, sperrte aber die Tochter in eine Art von reformiertem Kloster ein. Denn die Statuten des Stiftes waren sehr streng. Die Damen mußten sich schwarz, zum mindesten dunkel kleiden, durften keine Herrenbesuche empfangen, in keine große Gesellschaft gehen, sollten dem Tanz und dem Theater entsagen, sich aller Karten- und anderen Spiele enthalten, auch aller Klatschereien und üblen Nachreden, und zwar mußten sie all dies eidlich geloben! Mittags und abends mußten sie bei der gemeinsamen Tafel erscheinen, nur ausnahmsweise durften sie auf ihren Zimmern allein essen …. Es läßt sich leicht denken, daß

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 720. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0720.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2023)