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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

eine junge und an den freien Verkehr in Hof und Stadt Hanau gewöhnte Dame wie Karoline das Leben im Stift als eine Beschränkung ihrer Freiheit empfinden mußte und jede Gelegenheit, auswärts zu verkehren, mit Freuden ergriff. Daß sie unter den Stiftsdamen selbst eine Freundin gefunden hätte, ist nicht bekannt; alle, die sie liebten, lebten draußen.

Und was war das für ein bewegtes Leben da draußen! Man erinnere sich nur an alle die großen Umwälzungen in der politischen und geistigen Welt, welche gerade um die Wende des Jahrhunderts in Deutschland und ganz Europa stattfanden. Die französische Revolution vom Jahre 1789 hatte eine neue Zeit eröffnet.

Als die Günderode in das Alter kam, wo sie schon selbst denken und urteilen konnte, da war der Stern Napoleon Bonapartes im vollen Aufsteigen. Man sah in ihm schon den Selbstherrscher der Franzosen; die öffentliche Meinung war geteilt in Gegner und Bewunderer seines Genies; man stritt über den Wert der verschiedenen Verfassungen: Republik und Monarchie. Man ahnte damals freilich noch nicht, daß Deutschland mit dem bewunderten Genie des Schlachtfeldes bald auf Leben und Tod ringen werde. In diesem großen Parteigegensatz der Zeit stand Karoline auf seiten der Republikaner; sie bewunderte nicht den Eroberer, wie die meisten Menschen in ihrer Umgebung, und zeigte wenig Sympathie für Frankreich. Die großen Schöpfungen des goldenen Zeitalters unserer Litteratur blieben natürlich nicht ohne Einfluß auf das begabte Stiftsfräulein. Karoline las sehr viel: Dichter und Philosophen, Romane und Geschichtswerke, und suchte zu mehr als bloß dilettantischen Einsichten zu gelangen. Besondere Freude bereiteten ihr Herders „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“. Und wie für Herder war sie auch für den demokratischen Jean Paul eingenommen. Den tiefsten Eindruck scheint indes Schiller auf sie gemacht zu haben. An seinen Werken bildete sich ihre eigene dichterische Sprache; sein Sinn für Geschichte, seine philosophische Aesthetik und sein Idealismus entsprachen ihrem eigenen dichterischen und zur Reflexion neigenden Naturell, und sie hielt zu ihm, obwohl ein Teil ihres Freundeskreises aus seinen Gegnern bestand und sie von ihm abzulenken bestrebt war. So schrieb ihr Savigny aus Marburg am 29. November 1805: „Dein Geschmack an Schriftstellern, z. B. an Schiller, hängt damit (nämlich mit der Ueberspannung der Gefühle, die er ihr zum Vorwurf machte) zusammen. Denn, was ist das Charakteristische an diesem als der Effekt durch eine deklamatorische Sprache, welcher keine korrespondierende Tiefe der Empfindung zum Grund liegt?“

Doch damit haben wir schon der Zeit vorgegriffen und den Kreis von Freunden berührt, der auf das Schicksal der Günderode so stark eingewirkt hatte. Das Leben des Weibes wird ja mehr noch als das des Mannes von seiner Umgebung bestimmt.

Der eben erwähnte Karl von Savigny, der später so berühmt gewordene Rechtslehrer und Begründer der historischen Rechtsschule, von dessen Methode auch Jakob Grimm den Anstoß zu seinen epochemachenden deutschen Sprach- und Altertumsforschungen erhielt, spielte eine bedeutsame Rolle im Leben der Günderode. Er stand ungefähr in gleichem Alter mit ihr. Savigny wurde am 21. Februar 1779 in Frankfurt a. M. geboren, wo sein Vater als Vertreter mehrerer Fürsten und auch als Kreisabgesandter des oberrheinischen Kreises lebte. Doch starben Savignys Eltern frühzeitig, er wurde bei seinem Obervormund von Neurath in Wetzlar erzogen und studierte dann in Göttingen (1796 bis 1797) und Marburg (1798 bis 1799) Jurisprudenz. Im Sommer pflegte sich Savigny auf dem väterlichen Gute Trages bei Hanau aufzuhalten, und hier war es, wo ihn Karoline von Günderode bei der gemeinsam befreundeten Familie Leonhardi kennenlernte. Der junge Savigny war eine früh gereifte männliche Erscheinung, von feinen Umgangsformen, klarem, zielbewußtem Willen; 1800 ward er Doktor der Rechte und habilitierte sich auch gleich als Privatdocent in Marburg.

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Karl v. Savigny.
Nach dem Leben gezeichnet von L. Claude.

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Clemens Brentano.
Nach der Büste von Chr. Fr. Tieck.

Dieser hochbegabte Mann konnte nicht ohne Eindruck auf das Gemüt Karolinens bleiben, und es sind mehrere Brieflein von ihr an ihre Freundin Karoline von Barckhaus, geb. Leonhardi, erhalten, in denen sie ihrer Liebe rührend und liebenswürdig Ausdruck gab. Den Sommer 1799 verbrachte die Günderode bei ihrer Mutter in Hanau. Sie war leidend, Kopf- und Augenschmerzen plagten sie, und sie zog sich so viel als möglich vom geselligen Leben zurück. Auch das Herz war ihr schwer, denn sie wußte nicht, ob sie wieder geliebt werde und Hoffnungen hegen dürfte. In dieser Not eröffnete sie sich der Frau von Barckbaus, die auch Savigny gut kannte. Ihr schrieb sie am 4. Juli 1799 aus Hanau:

„Schon beim ersten Anblick machte Savigny einen tieferen Eindruck auf mich; ich suchte es mir zu verbergen und überredete mich, es sei bloß Theilnahme an dem sanften Schmerz, den sein ganzes Wesen ausdrückt, aber bald, sehr bald belehrte mich die zunehmende Stärke meines Gefühls, daß es Leidenschaft sei, was ich fühle. Ich wußte mich vor Freuden kaum zu fassen, als Sie mir in Ihrem letzten Briefe schrieben, Savigny käme nach Wilhelmsbad. Zürnen möchte ich mit mir selbst, daß sich mein Herz so schnell an einen Mann hingab, dem ich wahrscheinlich ganz gleichgiltig bin; aber es ist nun so, und mein einziger Trost ist, bei Ihnen, Beste, freundliche Theilnahme zu suchen …“

Frau von Barckhaus versagte ihr diese Teilnahme nicht, aber sie suchte Karolinen auf andere Gedanken zu bringen und

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 721. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0721.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2023)