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Pommersche Fischer in Göhren.
Nach dem Gemälde von Eduard Spoerer.


jetzt an meine Zukunft und an meinen guten Stern. Ich will hingehen und aus all meinen Kräften versuchen, mir einen Namen, eine Stellung zu schaffen. Willst du auf mich warten, bis ich mir beides errungen habe? Hast du mich lieb genug dazu?“

Wohl war’s ein Wagnis, aber in dem Rausch, der über ihn gekommen war, in der Schaffensfreudigkeit und Siegeszuversicht, die ihm in allen Adern pochte, hätte er es unternommen, hätte er die Würfel geworfen um sein Lebensglück ....

Jetzt aber –

Er war vielleicht in zehn Stunden schon ein toter Mann! Harnack würde ihn sicher nicht schonen! Er witterte in ihm einen Nebenbuhler um Alix’ Gunst, er sah in ihm den Ankläger und Verderber des Bruders, und er hatte von Anbeginn an schon eine tiefgehende Antipathie gegen ihn gefaßt! Es half nichts, um den Gedanken vorsichtig herumzugehen, er war immer wieder da: Raimund Hagedorn – es geht um dein Leben!! –

Und dazu schien die Sonne draußen so herrlich, und wie die glühende Hitze allgemach ein wenig nachließ, kam wohliges Genießen über alle Kreatur. „Leben!“ zwitscherten die Schwalben, die in Schraubenwindungen hin und her schossen und blitzschnell unter den Dachfirst des Hausdaches schlüpften. „Leben!“ flötete die kleine Amsel im Käfig, wie sie von Sprosse zu Sprosse sprang und ihr Köpfchen dem Licht zukehrte. „Leben!“ säuselten die Blätter der Bäume, die jenseit des Weges ihren Wipfel in der Abendsonnenglut wiegten, und „Leben!“ jauchzten die Stimmen der spielenden Kinder fernher vom Dorf. Und er hatte das Leben immer geliebt – als kleines Kind schon, das sich jubelnd ohne Veranlassung daheim im Garten in Wien ins hohe Gras warf – als Knabe, der in unbändiger Lust tobte und sprang – als junger Mensch, der mitten in dem leisen Grauen, das seine tollkühnen Reiterkunststücke ihm erregten, deutlich genug die aufquellende Daseinslust empfand, die ihn gerade solche waghalsigen Unternehmungen geflissentlich suchen ließ – als Mann, der trotz einer aufgezwungenen Arbeit immer noch unzählige Augenblicke aufflackernder Begeisterung, selbstvergessenen Genusses gekannt hatte, denen freilich zu leicht nur der Schmerz sich gesellte. Sie waren nicht ausgeblieben, die Stunden, in denen Raimund sich voll Groll gesagt hatte, daß Nichtsein für ihn bester wäre als Sein, daß er diese Existenz nur wie eine Schuld ansehe, die er seinem alten Vater abtragen müsse – dennoch rang sich Jugend und Genußfähigkeit immer von neuem in ihm empor, und namentlich die Freuden, die er seiner Musik verdankte, tönten wie glockenrein gestimmte Accorde in seinem Innern wieder.

Er stand immer noch am Schreibtisch neben dem geöffneten Fenster, hielt selbstvergessen das Bild seiner Mutter in der Hand und horchte auf die Töne, die das Leben ihm zurief!

– – – Zuletzt raffte er sich zusammen – er mußte handeln.

Eine Zeit lang kramte er zwischen Papieren umher, zerriß viele und schichtete die Fetzchen zu einem Stoß zusammen, um den er ein großes Zeitungsblatt schlug, und ging damit vorsichtig zum Kaminofen. Er legte das Papier in die sorgfältig gefegte Oeffnung und setzte es mit einem Zündholz in Brand. Gedankenvoll sah er zu, wie die rasch auflodernde Flamme um sich griff und die Blätter bis zu einem Häufchen grauschwarzer Asche verzehrte.

Hierauf ging er zum Schreibtisch zurück, legte sich weißes Papier zurecht, und nach wenigen Minuten flog seine Feder im schnellsten Tempo darüber hin.


20.

Alix war vor ihrer Uebersiedlung nach Josephsthal keine Frühaufsteherin gewesen. Hier aber führte sie ein ungleich ruhigeres, regelmäßigeres Leben. Hatte sie auch häufig Besuch aus der Nachbarschaft, so fuhr derselbe, mit Rücksicht darauf, daß das junge Mädchen noch in Trauer war und dem offiziellen Verkehr ihr Haus noch nicht geöffnet hatte, meistens gegen zehn oder elf Uhr abends davon, für Alix sonst eine sehr frühe Stunde. Jetzt hatte sie sich’s angewöhnt, zeitig zu Bett zu gehen, und die natürliche

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 733. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0733.jpg&oldid=- (Version vom 20.2.2023)