Seite:Die Gartenlaube (1898) 0746.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

„Wer das jetzt malen könnte!“ sagte sie nach einer Weile, scheinbar mehr zu sich als zu ihrem Freunde. „Der weiße Schimmer der Stadt da unten … die violette Nacht überm Meer und überall, im Vordergrund die schwarzen Umrisse der Bäume und über dem Ganzen der große, kalte, weite Sternenhimmel .....“

„Malen Sie es doch!“

„Ich kann’s nicht. Es wird nichts Rechtes draus. Nacht und Sonnenschein haben wir nicht auf der Palette. Das muß von innen kommen. Vom Kopfe durch die Hand!“

„Und in dem armen Blondkopf steckt’s nicht drin?“

Sie lachte. „Da steckt überhaupt viel weniger darin, als Sie glauben!“

„Nun … wenn Sie das so vergnügt sagen,“ er rückte ihr etwas näher, „dann ist es eher ein Beweis für das Gegenteil!“

Sie wandte ihm ihr Gesicht zu, so daß er die blassen, hübschen Züge deutlich im Dämmerschein erkennen konnte. „Was hilft es denn schließlich, traurig zu sein?“ sagte sie. „Ich kann mir das große Talent nicht herbeizaubern! Und wenn ich’s hätte, wer weiß, ob ich dann glücklicher wäre! Ich meine, es steckt in jedem Menschen, wie er auch ist, die Möglichkeit, glücklich zu sein. Das Schlimme ist nur: oft findet man den Weg nicht; man sieht vielleicht das Nächste nicht. Und dann hat man so dumme Stimmungen wie ich heute abend. Seien Sie nicht böse, daß ich Sie damit belästigt hab’. Und nun will ich gehen und Toilette machen. Es ist Zeit zum Diner! Zu Ihrem ersten europäischen Diner seit zwei Jahren. Das ist ein feierlicher Augenblick für Sie!“


11.

„Oft liegt das Glück dicht vor einem und man sieht es bloß nicht!“ Klaras Worte klangen im Ohre des Afrikaforschers nach, während er auf dem festen Sand an der Flutgrenze des Oceans dahinschritt, weit vor sich die Weiße, hochgetürmte Häusermasse von Tanger, hinter sich die langgestreckte öde Küste, die nur einige nachtschwarz lustwandelnde Franziskanermönche, ein paar wilde Hunde und ein galoppierender Araber auf prächtigem Maultierschimmel belebten.

Er fühlte sich körperlich frei und leicht, beinahe gesund. Die plötzliche Anregung durch diesen letzten Vorposten der Civilisation gab seinen Nerven neue Spannkraft. Er hatte am Abend vorher zum erstenmal eine europäische Mahlzeit genossen, eine Flasche guten Bordeaux getrunken und sich im Rauchzimmer von den eleganten diplomatischen Attachés der verschiedenen Großmächte, die als Pensionäre im Hotel wohnten, die Weltbegebenheiten erzählen lassen. Natürlich waren die Herren dabei über deren Auffassung in Streit geraten, es hatte einen amüsanten Wortwechsel in englischer und französischer Sprache gegeben, und schließlich trennte man sich, sehr angeregt und befriedigt von dem Zusammentreffen mit dem berühmten Reisenden, den die Ladies anfangs, als er sich in seiner Wüstentracht, als der einzigen, die er besaß, zur Tafel setzte, mit einem erschrockenen „shocking“ begrüßt hatten.

Auch der heutige Vormittag war sehr genußreich. Ein Bad, ein kräftiges Frühstück, ein Ritt am Strand entlang zu den Ruinen der uralten Phönikerstadt Tingis, deren aus mächtigen Quadern geformtes Hafenthor jetzt weit von dem zurückgewichenen Ocean entfernt zwischen Sumpf, Busch und Brakwasser die Jahrhunderte durchträumt, und nun dieser erfrischende Rückweg zu Fuß, die steife Seebrise um die Ohren, den blauen Himmel über sich, klagender Möwenschrei und fernes Segelblinken, all die unermeßliche Freiheit, die das Weltmeer atmet!

Und trotzdem war bei aller neu erwachenden Spannkraft des Körpers sein Geist gedrückt und mißmutig. Er empfand eine reuevolle Stimmung, einen Aerger über sich selbst und sein Mißgeschick.

Sein Ungeschick vielmehr, durch das er in Tetuan die vielleicht nie wiederkehrende Gunst des Zufalls verscherzt hatte! Wieder sah und hörte er um sich das nächtliche Getümmel der Arche Noah vor dem kanonengeschmückten Thor und dazwischen Angelas helle Stimme. Warum hatte er sich an jenem Abend in thörichter Zuversicht von ihr getrennt und die Fonda d’España aufgesucht, um am andern Morgen ihr Nest leer zu finden?

Er wußte ja, daß sie vor ihm floh, obwohl oder vielleicht gerade weil er ihr nicht gleichgültig war. Es war ja nicht das erste Mal und war, wenn auch unerklärlich, so doch nicht das Schlimmste und ganz Hoffnungslose, daß sie bei aller Sympathie für ihn doch etwas wie Angst vor seiner Nähe zu fühlen schien. Darum hätte er ihr folgen sollen! Die Spur war leicht zu finden. Sie wies nach Ceuta. Dort konnte er sie einholen und sich trotzig eine Antwort erzwingen, statt daß er in der elenden Fonda, Cigaretten rauchend, auf dem Bette lag und sich vor Mißmut und Enttäuschung in eine Krankheit hineinärgerte.

Hinter ihr her hätte er jagen müssen! Statt dessen lenkte er sein Pferd gen Westen und ritt bescheiden und bedächtig mit den drei Sachsenmädchen über Land. Jetzt zuckte er die Achseln darüber. Was gingen sie ihn an? Wie kam er in solch zahme Gesellschaft?

Er empfand plötzlich Lust, unverzüglich nach Tetuan zurückzureiten! Warum, das wußte er selbst nicht. Er hatte nur ein dumpfes Gefühl, als müßte sich dort noch irgend eine Spur, ein Zeichen von Angela finden, das ihn auf den Weg nach Ceuta führte. Aber vor Ceuta lag die weiße Jacht „Liberty“ und trug ihre leichte Last hinaus auf das dämmernde Meer. Wohin – das erfuhr wohl der britische Kapitän des Oceanrenners selbst erst auf hoher See, wenn er vom Schiffsherrn, dem kleinen Petroleumkönig, die trockene Weisung empfing, ihn und seine Gefährten nach Afrika, nach Amerika oder Asien zu steuern.

Gott weiß, wo sie jetzt schon schwammen. Vielleicht segelten sie der Bucht von Monte Carlo zu, um gelangweilt einen Regentag an der Spielbank totzuschlagen. Oder sie warfen am Goldenen Horn Anker und fuhren mit der unterirdischen Zahnradbahn in das buntscheckige Gassengewühl von Pera hinauf. Vielleicht waren sie auf dem Weg nach Jaffa, um Jerusalem zu besichtigen, vielleicht unterwegs nach Neapel, um im Schatten der Rauchwolke vor Anker zu gehen, die als ein schwarzer Riesentrichter über dem Aschenkegel des Vesuv steht.

Wo sie auch waren – er fand sie so leicht nicht wieder und seine Briefe blieben, wie der letzte, ohne Antwort. Es war ja alles umsonst. Mehr und mehr war in ihm die Ueberzeugung aufgestiegen, daß sie ihm immer von neuem entgehen, daß er das Ziel seines Lebens so wenig erreichen werde, wie man den Regenbogen mit Händen greifen kann, der scheinbar nahe und dennoch unerreichbar sich vor den Augen spannt.

Aber freilich … wer immer in die Ferne schaut, sieht nichts zu seinen Füßen. Das Glück! … Dieses Glück des Philisteriums, der Ehe, über das er so oft gelacht! Noch spielte er mit dem Gedanken und merkte doch, wie der immer stärker wurde und in immer neuen lockenden Verkleidungen sich bei ihm einschlich.

Gewiß war es hier schön und angenehm in Tanger. Aber er mußte trotzdem mit dem heutigen Dampfer, mit dem auch die drei Damen fuhren, nach Gibraltar! Schon seiner Kleider wegen. Es war ja ein Skandal. Und neue Anzüge, neue Wäsche ließen sich erst dort beschaffen. Dort konnte er auch hoffen, durch die anglo-ägyptische Bank telegraphisch Geld aus seinem Münchener Guthaben zu ziehen. Dort war er ungestört, während hier natürlich nun schon die Kunde seiner Ankunft alle Gesandtschaften und Hotels erfüllt hatte und er einer Menge Menschen, lästigen Besuchen und Höflichkeitspflichten nicht mehr entgehen konnte. Nein, da war es schon besser, so rasch wie möglich nach Gibraltar zu fahren, das dort am anderen Ende der blauen Wasserstraße als ein kaum sichtbarer zuckerhutförmiger Dunstzacken vor dem Himmel stand.

Er blieb stehen und lachte laut auf. So viel Worte und Pläne, um nur die eine Thatsache vor sich selbst zu verhehlen, daß er an der Gesellschaft der blonden Malerin mehr als Vergnügen und Zufriedenheit fand! Es schien, als sei ihm ihre freundliche Heiterkeit, ihr helles Lachen schon unentbehrlich geworden seit jenem Regenabend, wo sie sich im Dämmern der Karawanserai El-Fondak zum erstenmal gesehen. Er sträubte sich dagegen und fühlte sich eigentlich doch ganz wohl dabei. In dem Gefühl, jeden Augenblick den Fuß aus der Schlinge ziehen zu können und mit der Gefahr nur zu spielen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 746. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0746.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2023)