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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Nun, sei es denn, sei es! Etwas von fatalistischem Trotz kam über Alix. Sie hatte das Gute, das Rechte gewollt in beiden Fällen – an ihm, an Raimund war es nun, das zu durchschauen, sie zu verstehen! Daß er eine große Leidenschaft für sie empfand, wußte Alix. Blind und thöricht hätte sie sein müssen, es nicht zu wissen. Ob seine Liebe aber auf einem tieferen Verständnis ihres Wesens begründet war, dafür hatte ihr das Leben noch keine Beweise gegeben.

Seit sie an Raimunds Krankenlager gestanden, seit sie in Todesangst um sein Leben gezittert, seit sie mit heißen Thränen des Glücks Gott in der Stille gedankt hatte für seine Genesung, wußte sie, daß ihr ganzes Herz ihm gehörte, daß sie auch das, was ihr in seinem Wesen noch fremd und unverständlich war, freudig tragen könnte – wäre es ihr nur vergönnt, mit ihm vereint durchs Leben zu gehen! Würde auch er sich mit allem versöhnen können, was ihn an ihrem Charakter befremdete?

Auch nachdem der Kranke sein Lager verlassen hatte – vor wenigen Tagen war es geschehen – hatte Alix ihn täglich mehrmals gesehen, immer aber nur im Beisein der Majorin von Sperber. Von Alix’ Anwesenheit an seinem Leidenslager wußte er nichts, die Fieberphantasien waren in seinem Gedächtnis ausgelöscht. Fürs erste stand Raimund noch ganz im Zeichen der Genesung, jenes wohlig müden, dankbaren, innerlich staunenden Zustandes, der nicht grübelt, nichts fragt, sich über nichts beunruhigt. Es ist da allerlei gewesen, was ihn gequält hat, er weiß das wohl, auch liegt seine Zukunft, wenngleich etwas heller, doch immer noch schleierhaft vor ihm – es thut ihm jetzt nichts! Das hat alles noch Zeit, er schiebt es von sich fort einstweilen und genießt sein Glück, wie in einem seligen Traum.

Ist das nicht Glück für ihn, hier im Josephsthaler Schloß zu leben, gepflegt, bedient, verwöhnt wie ein Prinz? Dazu Sommerluft, strahlender Sonnenschein, Blumenpracht, wohin das Auge blickt, unvergleichlich schöne Abende und solch’ zauberhafte Mondnächte, daß man sich’s, wenn man einmal aufwacht, kaum wünschen mag, von neuem einzuschlafen; es träumt sich, so mit weitoffenen Augen in dies hereinflutende Silberlicht schauend, gar zu wonnig!

Was aber war dies alles gegen das eine Gefühl: sie könnte kommen – sie wird kommen – da ist sie! Gegen die beseligende Gewißheit: Du bist bei ihr! Sie sieht nach dir – sie denkt an dich, sinnt darüber nach, was dir Freude machen könnte – kurz, sie beschäftigt sich mit dir! Und wie stolz auch im Grund seines Wesens Raimund Hagedorn war – so, wie er gegenwärtig empfand, that es ihm wohl, alles, alles von ihr, die er liebte, entgegenzunehmen!

Ach, und das heimliche Glück, wenn ihre Blicke sich trafen und selbstvergessen ineinander ruhten, wenn er vergaß, zu antworten, weil er sich nicht satt sehen konnte an ihr – an ihrem weißen, feingeschnittenen Gesicht, den blauen Augen, dem leuchtend braungoldenen Haar! Nahm er das Weinglas, das sie ihm bot, entgegen und berührten sich dabei zufällig ihre Hände, wie es ihm heiß zum Herzen strömte! Oder wenn sie ihm vorlas, welche Wonne bereitete es ihm, sie ungestört anzusehen und auf ihre Stimme zu lauschen, bis sie ihre langen, seidigen, tiefdunklen Wimpern hob, als fühlte sie seinen Blick, um nach einer kleinen verlegenen Pause hastig weiter zu lesen, als gälte es eine große Versäumnis nachzuholen! Und war auch immer die Majorin zugegen – was that das? Die war eine gute und kluge Frau, die war auch einmal jung gewesen und hatte ein so gütiges, mütterliches Lächeln ..... es that nichts, wenn sie verstand!

Ueber das Duell wurde nicht mehr gesprochen. Wozu denn auch? Es war abgethan, es lag hinter ihm! Raimund wußte, daß Oberingenieur Harnack sechs Monate Festungshaft zuerkannt worden waren und daß er diese Strafe demnächst antreten würde. Auch er selbst würde eine solche, wenn auch kürzere Haft verbüßen müssen, sobald er erst vollständig hergestellt wäre. Auch von der Mordaffaire redete niemand im Schlosse zu ihm, und er fragte nicht danach.

Besuch bekam der junge Mann, nachdem der Arzt überhaupt die Erlaubnis erteilt hatte, solchen zuzulassen, mehr als ihm lieb war. Sein Name war in aller Mund, und es zeigte sich bei dieser Gelegenheit recht deutlich, wie beliebt Raimund Hagedorn und wie unbeliebt Ingenieur Harnack war.

Cecil Whitemore war vielleicht der einzige in der ganzen Kolonie Josephsthal, der den Ingenieur Harnack wirklich vermissen und seine Abwesenheit beklagen würde. Da er sein Vorgesetzter gewesen war und ihn dies, bei aller Höflichkeit und Achtung vor des Ingenieurs Kenntnissen, stets hatte fühlen lassen, so war ihm der hochmütige Ton, die kalte, überlegene Art, das verächtliche Herabblicken Harnacks, das die andern so oft empört hatte, fremd geblieben, und er hatte nur den tüchtigen Beamten in ihm gesehen, der Eminentes leistete und sich in die Josephsthaler Verhältnisse in einer Weise hineingearbeitet hatte, daß sein Fehlen in der That als ein großer Verlust anzusehen war. Cecil konnte aber, trotz seiner reservierten Art, im Lauf der Zeit nicht umhin, Interesse an Raimund Hagedorn zu nehmen. Als schlechter Geschäftsmann hätte dieser ihm eigentlich antipathisch sein müssen, aber in dieser Beziehung hatte er nichts mit Hagedorn zu thun gehabt, mithin keine Gelegenheit gefunden, sich über ihn zu ärgern. Cecil hatte sich daran gewöhnt, diesen entfernten Verwandten als einen speziellen Schützling seiner Cousine Alexandra anzusehen, er drückte wegen dieser weiblichen Marotte nachsichtig ein Auge zu. Und als der junge Mann schwer verwundet ins Josephsthaler Schloß gebracht wurde, fühlte sich Cecil Whitemore doch verpflichtet, sich um ihn zu kümmern, ihm gewissermaßen als Pseudo-Schloßherr die Honneurs zu machen. Und da begab es sich, daß den steifleinenen Sohn Albions die offene, freimütige Art Raimund Hagedorns wunderbar ansprach.

Gegen Mittag ist es. Der Krankenstuhl ist in den Schatten zweier gewaltiger Linden gerückt, die reich in Blüte stehen und stark duften. Ein kleiner kühler Weiher liegt rechts, von gebückten Weiden und dichtem Erlengebüsch umstanden; an einer Stelle treten die Weiden auseinander, und man kann deutlich über dem Wasserspiegel, der gleich dunkelpoliertem Metall glänzt, die schlanken Libellen hinschießen sehen.

Doktor Petri ist dagewesen, hat die Wunde untersucht, sich zufrieden geäußert und versprochen, sehr bald den Verband abzunehmen. An seinem Arm ist Raimund ein paarmal auf und ab gegangen, langsam, langsam, vielleicht zweihundert Schritte im ganzen. Es hat noch nicht gut damit gehen wollen, es ist immer noch Schwäche vorhanden. Aber es ist eine Schwäche, die dem Patienten wohlthut – er will sie noch gar nicht abschütteln.

Alix trägt wieder ein weißes, luftiges Kleid und zartduftende rote Oleanderblüten im Gürtel – leicht zurückgelehnt in ihren Stuhl, sitzt sie vor ihm, blickt über den Rand des Buches, aus dem sie ihm vorlas, nach ihm hin, und ihre Augen begegnen sich ….

Der alte Hagedorn sitzt auch unter den Linden im Schatten und hat zugehört. Er hält eine Strähne weißer Baumwolle über den Händen, und die Majorin wickelt die Strähne bedächtig ab. Sie ist gut Freund mit dem alten Herrn, nennt ihn in der Stille ein liebes, weißhaariges Kind, und er verehrt die stattliche Dame, die ihm seinen Jungen so schön gepflegt hat, hoch und ist glücklich, wenn er ihr einen kleinen Dienst leisten darf.

„Ich kann mir gar nicht denken, daß einmal eine Zeit kommen wird, da es anders um uns vier stehen könnte – ich meine, da wir nicht mehr bei einander sind!“ sagt des alten Hagedorn Stimme laut und unvermittelt in das Stillschweigen hinein.

Raimund zuckt zusammen. Der alte Herr bemerkt die flüchtige Bewegung seines Sohnes und schaut Alix fragend und bittend an: hat er etwas Ungehöriges gesagt?

„Dort kommt Mr. Whitemore!“ ruft die Majorin und deutet nach rechts hinüber. „Wie sonderbar! Um diese Zeit ist er doch immer beschäftigt!“

Cecil kam um den kleinen Teich herum mit ziemlich raschen Schritten. Er winkte der Gruppe unter den Lindenbäumen schon von weitem mit der Hand zu.

„Was giebt es, Vetter?“ fragte Alix und sprang auf.

„Etwas Wichtiges für Sie – – für uns alle! Harnack junior – hat ein Geständnis abgelegt!“

Zuerst tiefe Stille, dann ein allgemeiner Ruf des Staunens. Die Majorin und der alte Hagedorn waren gleichfalls von ihren Sitzen aufgestanden, selbst Raimund machte Miene, sich zu erheben, aber Alix, deren Blick sofort zu ihm zurückgegangen war, winkte ihm ab: „Nein, Sie nicht! Bitte, bleiben Sie ruhig! Vetter Cecil, wollen Sie uns sagen –“

Sie stellte sich neben den Lehnsessel, eine Hand auf die Seitenwand gestützt, wie um den Patienten vor Aufregung zu

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 763. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0763.jpg&oldid=- (Version vom 21.2.2023)