Seite:Die Gartenlaube (1898) 0775.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

„Dann haben Sie eine Million weniger!“ sagte der Fremde und that, als ob er gehen wollte. „Aber dann machen Sie mir, bitte, später keine Vorwürfe …“

Eine Million! Das interessierte den Großspekulanten. Es war also kein gewöhnlicher Schnorrer, der da vor ihm stand. „Was wissen Sie denn von einer Million?“ frug er und ein Lächeln spitzbübischer Aufmerksamkeit erhellte jetzt das ganze Knabengesicht.

„Da drüben liegt sie!“ sprach der abenteuernde Kaufmann gleichgültig und wies in die Nacht hinaus.

„Das ist die Richtung von Tanger?“

„Richtig, Herr! Sind Sie da nicht einmal über den Strand längs des Meerbusens außerhalb der Stadt gegangen oder geritten?“

„Jeden Tag.“

„Haben Sie nicht gefunden, daß da Geld drin steckt?“

„Wieso?“

„Eine stundenlange, ebene Strandpromenade aus feinstem Sand, herrlichster Blick auf zwei Weltteile und zwei Meere, denkbar pittoreskeste und interessanteste Umgebung, anerkannt vortreffliche, stärkende Seeluft mit kühlen Brisen im Sommer, starker Wellenschlag auf weithin ganz flachem, bequemem Seeboden ....“

„Man meint, Sie reden von Ostende oder Nizza!“

„Eben!“ sagte Steffen kaltblütig. „In diesem Strand steckt ein Seebad im großen Stil. Ein afrikanisches Modebad für Frühling und Herbst, wenn es anderswo zu kalt ist – passen Sie auf, wie das bei den Engländern und Yankees zieht! Ich weiß, was Sie sagen wollen: es giebt ein paar solche Plätze in Algier. Aber wie dürftig, wie schwer in ein- bis zweitägiger Seefahrt zu erreichen! Hier aber kann die Verbindung gar nicht bequemer sein. Wöchentlich einmal der schon jetzt bestehende Luxusexpreß Paris-Gibraltar und von da eine Spazierfahrt von ein paar Stunden. Und überhaupt die Nähe von Gibraltar: dieser Knotenpunkt des Weltverkehrs, wo alle Schiffe von London und New York, von Genua und Marseille anlegen. Es wird den Leuten beinahe zu leicht gemacht, unser Seebad Tanger zu überfüllen …“

„Unser Seebad ...“ sagte der Millionär mit hochgezogenen Brauen, aber der andere ließ ihn nicht zu Worte kommen: „Sie wissen, wie billig alle Lebensmittel drüben sind. Ganz Gibraltar bezieht ja seinen Bedarf von da. Interessante maurische Kaufläden, gute Pferde, Gelegenheit zur Eberjagd … nun … es existiert ja jetzt schon ein halbes Dutzend Hotels in Tanger, darunter ein bis zwei ersten Ranges. Und das ohne das Seebad.“

„Sollten Sie denn wirklich der Erste sein, der auf diese Idee gekommen ist?“

„Sehr einfach!“ sagte der Kaufmann. „Es ist eine Schwierigkeit da, eine große Schwierigkeit, die jeden anderen zurückschrecken würde: der Widerstand der marokkanischen Behörden. Ich bin seit Jahren kreuz und quer durch das Land geritten – ich kenne viele der Würdenträger und stehe gut mit ihnen. Wenn einer die Erlaubnis durchsetzen kann, bin ich es. Vor der deutschen Nation hat außerdem die Schwefelbande Angst, seit wir ihnen ein paarmal energisch mit Kriegsschiffen übern Hals gekommen sind. Sie als Russe können da wenig machen …“

„ … außer Geld geben!“ Nicolai Rey lachte herzlich. Die Phantasien seines späten Besuchers amüsierten ihn.

Der aber blieb ernst. „Geld, das sich vortrefflich verzinsen wird. Es ist eine große Sache, Herr Rey!“

Sie waren im Eifer des Gespräches auf dem Verdeck auf und nieder geschritten. Jetzt blieb der Petroleumkönig stehen.

„Einleuchtend ist mir das Unternehmen noch nicht,“ sprach er kühl und es zuckte heiter um seine Mundwinkel.

„Ich kann Ihnen Pläne und Berechnungen vorlegen. In wenigen Tagen. Hätte ich geahnt, Sie heute hier zu treffen ...“

„Ich reise morgen abend weiter, nach Marseille. Aber die Geschichte macht mir Spaß. Sie könnten mich einmal besuchen … in Chamounix. Dort bleibe ich.“

Der andere stand betroffen da. Die Fahrt kostete ihn einen großen Teil seiner Ersparnisse. Sein Gönner faßte das Schweigen anders auf. „Chamounix!“ wiederholte er. „Ueber Lyon und Genf. Ganz nahe von hier!“

Ueber Genf! Damit war Albrecht Steffens Entschluß gefaßt.

„Ich werde kommen, Herr Rey!“ sprach er gepreßt. „Freilich … wenn dann aus der Sache nichts wird …“

„Dann findet sich vielleicht etwas anderes!“ Der kleine Mann blinzelte ihn listig prüfend an. „Ich habe überall auf der Erde meine Geschäfte, und wenn jemand mir Spaß macht und gefällt, dann hab’ ich immer für ihn Verwendung.“


14.

Durch die Straßen von Gibraltar zog in Gleichschritt und kriegerischem Klang der Zapfenstreich, junge hagere Rotröcke der britischen Garde, der baumlange Paukenschläger in phantastischem Pantherfell allen voraus, ein Gewühl von Spaniern, Juden, Seeleuten und Mauren wie ein Fastnachtszug hinterher.

Auch sonst war noch reges Leben in der Waterport-Street, durch die der Afrikaner, von der Jacht „Liberty“ kommend, langsam dahinschritt. Die feuerfarben leuchtenden Soldaten mit ihren Spazierstöckchen, die scharenweise herumstehenden Kaufleute und Händler, die in trunkenen Reihen ihres Weges ziehenden Kriegsmatrosen, die Hotelkuriere, die zweifelhaften Kaffeehausgäste, die vielen Offiziere in Civil – sie alle kümmerten sich nicht weiter um den Fremdling in seiner Wüstentracht. Hier, an dem Brennpunkt aller Welten, wo Afrika mit Europa sich eint und von diesem wieder nach Amerika, nach Asien und Australien die Dampferlinien ausstrahlen, hier fällt keine Erscheinung und keine Kleidung auf.

An ihrem Südende wurde die Straße stiller und stiller. Hier war das offizielle England – der Regierungspalast des Gouverneurs und seitlich davon die Kathedrale. Ihr gegenüber das Hotel, in dem der Afrikaner die Damen zu finden hoffte. Aber als er in den Drawingroom des kleinen Hauses trat, fand er nur die Gouvernante vor, die, schweigsam und ernst wie immer, mit dem ihr gegenüber sitzenden, noch etwas bläßlichen Major Domino spielte. Sie nickte ihm zu. Die Kleine habe sich, erschöpft von den heutigen Anstrengungen der Erholungsreise, schon schlafen gelegt, Klara aber sei die paar Schritte zum Strande hinuntergegangen, um noch die schöne Abendluft zu genießen.

Eine Luft, wie sie das rauhe Hochland Nordafrikas nicht kennt! Weit mehr als drüben in Marokko fühlt man sich hier den Tropen nahe. Der schmeichelnde, von überall her im Winde wandernde Blumenduft, das Rauschen hochgefiederter Palmen und zischelnder Zuckerrohrbüsche, die kosend weiche Schwüle der Nacht, in die nur zuweilen ein herber erfrischender Seehauch weht – das alles mischt sich mit dem rastlosen Rauschen der Wellen, dem gleichmäßigen Schaukeln der buntfarbigen Lichtpunkte in dem Mastenwald draußen über der weißrollenden Reede, dem klaren Sternenglitzern zu einem Gefühl tiefer, andächtiger Ruhe. Der wüste Lärm des Morgenlandes, das Schreien der Halbwilden und ihrer Arche Noah ist hier verstummt, der Dunst von Schmutz und Verwahrlosung steigt nicht mehr übel von allen Seiten auf. Hier ist die Stille, die Sauberkeit, das europäische Behagen. Und doppelt willkommen dem, der es durch Jahre nicht genossen und nun erst merkt, wie viel er wieder entbehrt hat in der langen Zeit da draußen – entbehrt an allen Freuden des Daseins, allem geistigen Leben, allem Verkehr mit wirklichen Menschen. Und der sich dann wieder fragt: Warum? Wie viel bringt dir die Abenteurerlust, die dich ruhelos über Länder und Meere hetzt, und wie viel nimmt sie dir von allem, was das Leben lebenswert macht?

An der steinernen Brustwehr, die hinter der Kathedrale sich über dem Meere hinzieht, hatten sie sich getroffen. Sie stand da und schaute in das Meer hinaus, mit seinen unruhigen Hafenlichtern und dem fernen Flimmerglanz des Städtchens Algeciras am anderen Ende der Bucht. Er war neben sie getreten und begrüßte sie stumm. Irgendwo am Ende des Mauerpfades tönten zuweilen schwere Atemzüge. Spanische Strolche oder anderes Gesindel, das da unter den Bäumen nächtigte. Sonst war kein Mensch ringsum zu bemerken. Hoch von oben her, von einer der Gipfelbatterien, kam der scharfe Knall und das donnernde Echo eines Signalschusses. Dann wurde wieder alles still.

„Schade, daß sie immer schießen!“ sagte Klara ruhig, als finge sie eine eben abgebrochene Unterhaltung wieder an. „Man möchte so gerne träumen und sich verlieren – aber die Schüsse wecken einen gleich wieder auf und man merkt, daß man nur in einer schönen Festung ist.“

„In einem Gefängnis! Jetzt sind alle Thore bis Morgengrauen geschlossen. Kein Mensch kann hinaus oder herein, und was sich draußen regt, wird festgenommen.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 775. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0775.jpg&oldid=- (Version vom 1.2.2023)