Seite:Die Gartenlaube (1898) 0811.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Sie rückte etwas naher heran, um von den Umsitzenden nicht gehört zu werden. Doch ihr Auge vermied, dem seinen zu begegnen. „Sie würde sagen: Lieber Mann! Kein Mensch ändert sich. Auch in der Ehe nicht, wenn man verhältnismäßig so spät heiratet. Dn bleibst, was du bist, und weil du so bist, gefällst du mir. Und sollst nicht anders werden aus Rücksicht auf Weib und Kind!“

„Nicht aus Rücksicht auf die allein, sondern auf mich selbst!“

Sie schüttelte den Kopf. „Die Rücksicht auf sich selbst gebietet Ihnen, so zu leben, wie es Ihre Natur, Ihr ganzes Wesen nun einmal erfordert! Sehen Sie … ich habe in diesen Tagen viel über Sie nachgedacht – warum soll ich es nicht sagen? Sie wissen es ja wohl so schon – und habe versucht, in Ihr Wesen einzudringen. Das ist gar nicht so schwer. Denn gerade Männer wie Sie, wirkliche Männer, wenn sie meinetwegen auch ein bißchen brutal und wild sind, verstehen wir Frauen ganz instinktiv. Die sind ja eigentlich das, was wir suchen. Und da hab’ ich mir gesagt: der größte Fehler, den Ihre künftige Frau begehen könnte, der wäre, Sie zu einer Aenderung Ihres Lebens und Ihrer ganzen Lebensweise zu zwingen! Sie brauchen die Freiheit wie die Lebenslust! Sie müssen kommen und gehen können, wie Sie wollen. Fühlen Sie, wie jetzt, den Drang nach Ruhe und Erholung, so finden Sie zu Hause alles zu Ihrer Begrüßung bereit. Und treibt Ihr innerstes Wesen, Ihre waghalsige Abenteurerlust Sie wieder unwiderstehlich in die Ferne, dann soll sich nicht eine Kette von Familienrücksichten, Thränen und Klagen an Sie hängen. Die Frau, die Sie brauchen, die muß Sie lachend empfangen und fröhlich auch wieder gehen lassen. Lieber Gott … die Frauen von Seeoffizieren etwa, die müssen auch oft lange Zeit allein sein. Immer besser, sich um einen Mann zu sorgen und zu bangen, als ihn neben sich gähnen zu sehen!“

„Wer sagt Ihnen, daß ich das thäte?“

Sie wurde beinahe zornig. „Das sage ich mir, daß man nicht mit einem Schlage aus einem wildbewegten abenteuerlichen Leben in ein völliges Stillliegen hineingeraten kann – und wenn zehnmal Tannenhochwald herum ist und ewiger Schnee und Zitherspiel und Gejodel und Wildschützenromantik. Das ist ja alles sehr schön, und ein paar genußreiche Sommermonate kann man auf diese Weise sicher zubringen. Aber befriedigen kann einen das auf die Dauer nicht. Die Befriedigung kommt von innen … aus der Arbeit … indem man das thut, wozu einen nun einmal die Natur veranlagt hat. Das weiß ich, die ich selbst einen Beruf habe, und weiß, daß ein müßiger Mann ein unglücklicher Mann ist!“ Sie brach ab.

Ein unheimliches Grauen durchfröstelte ihn, wie ihm die helle Stimme da nebenan ahnungslos und in bester Absicht seine letzte Zukunftshoffnung zerstörte. Aber noch gab er das Spiel nicht verloren. „Sie sagen, man muß thun, wozu einen die Natur veranlagt hat!“ begann er. „Wenn ich aber nun deutlich fühle, daß eine Umwandlung in mir vorgegangen ist, daß ich mich nun mehr zu einem beschaulichen Leben eigne …. es braucht ja kein müßiges zu sein …. es giebt ja doch wissenschaftliche Studien genug …“

„Für Sie?“ Sie lachte. „Ich brauche doch bloß Ihr braungebranntes Wildschützengesicht mit den Feueraugen anzusehen und dem verwegenen Lächeln unter dem Schnurrbart …. o …. ich weiß, was Sie sagen wollen …. Sie haben auf Ihren Reisen stets der Wissenschaft gedient. Aber warum? Um Ihrer Abenteurerlust ein Mäntelchen umzuhängen! Das haben Sie mir neulich selbst gestanden und ich begreife es vollkommen. Aber die Wissenschaft allein …. der Vorwand ohne den eigentlichen Zweck …. das geht nicht. Sie würden sich nach kurzer Zeit am Schreibtisch so ungemütlich vorkommen wie etwa ein rechter Stubengelehrter in Centralafrika unter den Wilden, und all den Krempel beiseite werfen, um im Hochland Gemsen zu jagen oder irgend eine unnütze Bergkletterei auszuführen. Und es ist auch ganz recht so!“

Er sah sie ernst an. „Können Sie sich denn gar nicht in den Gedanken versetzen,“ sagte er langsam, „daß das alles nun einmal ein Ende haben könnte? Daß alles wirklich so ist, wie ich sagte, und ich mein ganzes ferneres Leben in vollkommener Ruhe und Zurückgezogenheit verbringen werde?“

„Nein!“ Ihre Stimme klang beinahe hart. „Ich will mich gar nicht hineindenken und Sie in solch trüben und, weiß Gott, unnützen Träumereien unterstützen!“

„Ich träume nicht, Fräulein Klara!“

„Doch. Sie spielen da mit einem Gedanken, der das größte Unglück für Sie wäre! Und nicht nur für Sie, sondern auch für die Ihren. Ich muß es Ihnen noch einmal sagen: ich habe viel über Sie nachgedacht und weiß: Sie sind nicht zu unserem guten deutschen Familienleben geschaffen. Sie sind frei und brauchen einen Menschen neben sich, der in seiner Art auch auf eigenen Füßen steht und eine eigene Persönlichkeit ist. Das giebt die richtige Wahlverwandtschaft und die richtige Ehe. Aber wenn ich mir einen Mann wie Sie tagaus tagein, jahraus jahrein im Getriebe des häuslichen Lebens denke, mit all der notwendigen Prosa, die dazu gehört, ohne den erfrischenden Lufthauch von außen, den man sich aus der großen Welt holt und der einem dann sein eigenes Nest warm und traulich erscheinen läßt – nein, ich kann es mir gar nicht denken und ich will es auch nicht!

Sie brauchen doch auch Verkehr!“ fuhr sie fort. „Ich meine, Männer, die Ihnen ebenbürtig sind! Menschen giebt’s freilich überall. Und viele liebe und gute darunter, die Ihnen doch nur langweilig vorkommen müssen, weil sie Ihnen nichts bieten und Sie unnütz belästigen. Ich habe als Malerin Sinn für Physiognomie. Glauben Sie, ich hätte Ihr Gesicht vorhin nicht bemerkt, wie die andern alle hier herum saßen? Wen Sie auch heiraten mögen, solche Verwandtschaft besitzt wohl jede Frau. Und wenn sie sie auch um des Mannes willen gerne von ihm fernhalten will, so kann sie das, wenn er still im Lande zwischen den andern wohnt, kaum durchführen, ohne all die treuen Seelen unnütz zu kränken und schließlich ganz einsam zu werden. Läßt sie aber all die gutgemeinte Anhänglichkeit gewähren, nun, dann hat man eben das weitverzweigte, breite Familienleben, in dem Sie sich nie heimisch fühlen können.“

Er fühlte den Schrecken langsam durch sich rieseln, wie sie ihm da ganz ruhig seine eigensten Empfindungen von vorhin darlegte. Er merkte wohl, sie hatte mit dem Blicke der Liebe in ihm gelesen, und ein Gefühl schmerzlichen Mitleids stieg in ihm empor bei dem Anblick dieser treuen, tapfern Seele, die gerade in dem Bestreben, sich ihm anzuschmiegen, ganz ihm gleich zu werden und für sein künftiges Lebensglück zu sorgen, unbewußt, Wort um Wort, ihre eigene Hoffnung und ihrer beider Zukunft zerstörte. Und mit jedem dieser tötenden Worte, die so sanft und hell von ihren Lippen klangen, hatte sie recht! Er wußte es wohl.

Sie verstand sein Schweigen anders. „Ich finde, es ist gut, man spricht sich über derlei einmal aus,“ sagte sie und bemühte sich, unbefangen zu lächeln. „Wir sind ja keine Kinder mehr, sondern Sie ein gereifter Mann und ich nahezu eine alte Jungfer. Warum sollen zwei erwachsene Menschen, die das Leben kennen und manches Schwere in ihm erfahren haben, nicht offen über derlei sprechen? Ich finde, das erste und die Hauptsache ist, daß man sich ganz versteht, vollkommen! Mir wenigstens liegt daran, daß Sie mich ganz kennen, wie ich bin! Darum habe ich so lange gesprochen und nicht wie es mir der Zufall eingab, sondern wohlüberlegt, Tag und Nacht überlegt, in dieser letzten Zeit.“

„Ich danke Ihnen.“ Er sprach ganz gelassen. „Sie glauben also bestimmt, daß mein Plan verfehlt wäre, mich zur Ruhe zu setzen?“

„Ja. Das glaub’ ich!“

„…. Daß das mich unglücklich machen würde …. und andere auch?“

„Ganz gewiß glaub’ ich das!“

„Sie glauben es! Aber Sie sind nicht sicher?“

„Doch. Ich bin sicher!“

Sie schwiegen eine Weile, dann machte er den letzten Versuch. „Und wenn Sie sich nun doch täuschen!“ sagte er leise und eindringlich. „Wenn ich, etwa nach zehn Jahren, sagen kann: Ich bin doch glücklich gewesen. In all der engen Häuslichkeit, mit, all der Verwandtschaft. Und trotz all des Müßiggangs!“

Jetzt war das Lächeln von ihren Lippen geschwunden. Sie sah sehr ernst aus. „Dann wäre das Schlimmste geschehen, was ich mir denken kann!“ sprach sie halb vor sich hin. „Dann wären Sie klein geworden in der Alltäglichkeit. Abgestumpft. Eingelullt von der Gewohnheit. Dann hätten Sie in Wahrheit Ihr

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 811. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0811.jpg&oldid=- (Version vom 23.12.2019)