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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

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Weihnachtsüberraschungen.

Humoreske von Arthur Sewett. Mit Illustrationen von G. Mühlberg.

Wir wollten uns letzte Weihnachten recht einschränken. Wir hatten im Sommer eine große Reise gemacht und manche andere außerordentliche Ausgabe gehabt, da mußte das Fest um so bescheidener ausfallen.

Meine gute kleine Frau! Da stand ich und las ihren Wunschzettel. Lauter einfache nützliche Gegenstände – kein Putz – kein Schmuck – nicht einmal ein Buch!

Ich war gerührt über diese Selbstverleugnung; ich hätte ihr so gerne etwas geschenkt, das mehr nach ihrem Herzen war als diese rein praktischen Dinge. Es fiel mir bald auch mancherlei ein; doch immer meldete sich zugleich auch ein „aber“ dagegen, denn die betreffende Anschaffung wäre wider den Etat gegangen. Standhaft aber mußte ich diesmal bleiben, das hatte ich mir fest vorgenommen. Ich sann und sann … Nie hätte ich geglaubt, daß die Wahl eines Geschenkes für mein bescheidenes Frauchen mir so viel Kopfzerbrechen verursachen könnte!

Endlich eines Morgens kam mir beim Aufstehen – die Kinder lärmten lustig im Nebenzimmer – ein Gedanke, der mir wie eine Erlösung schien. Meine Frau hatte schon öfter darüber geklagt, daß ich bei aller sonstigen Freigebigkeit mich so schwer entschlösse, die Kinder photographieren zu lassen. Solch ein Bild, welches die schnelle Entwicklung der Kinder in ihren einzelnen Phasen festhalte, sei eine Erinnerung fürs ganze Leben! Andere Eltern ließen, so wies sie mir nach, ihre Kleinen alle halben Jahre aufnehmen, und so hübsch und niedlich wie jene Kinder waren unsere doch mindestens auch! Dennoch waren beide erst ein einziges Mal, und das in ihrem ersten Lebensjahr, als ihre Reize noch gar zu wenig entwickelt waren, beim Photographen gewesen. Und unsere Hanna vollendete jetzt bereits ihr zweites, unser Oskar sogar sein drittes Jahr! Jetzt lohnte sich’s wirklich, an eine neue Aufnahme zu denken. Meine Frau hatte recht; sie hatten sich, in der letzten Zeit zumal, riesig entwickelt, und es war nicht zu verwundern, daß alle unsere Bekannten von ihnen ein Bild begehrten!

Unwillkürlich schritt ich zur Thür nach dem Kinderzimmer, aus welchem die Stimmen der Kleinen so lustig herüberklangen. Ich öffnete, und mit strahlenden Augen und hellem Jubelgeschrei liefen sie auf mich zu und sagten mir Guten Morgen. Oskar und Hanna, eben frisch angezogen, sahen wirklich ganz allerliebst aus. Mein Vaterstolz hob sich. Ja, das war’s! Ich wollte die Kinder in aller Heimlichkeit zum Photographen bringen, und zu Weihnachten wollte ich mich dann an dem lieben erstaunten Gesicht meiner Frau erfreuen.

Wie hätte ich ahnen können, auf wie viel Schwierigkeiten dies Vorhaben stoßen würde!

Mein erster schüchterner Versuch, die Kinder auf eine Stunde am Tage loszubekommen, scheiterte an dem energischen Widerstande ihrer sorglichen Mutter, die das Wetter zu stürmisch fand. Auch war ihr mein plötzliches Vorhaben, mit den Kindern allein spazieren zu gehen, zu überraschend, um nicht durch das Ungewöhnliche zum Widerspruch gereizt zu werden. Ich hatte einen derartigen Wunsch bisher ja auch niemals geäußert.

Mein Mißgeschick wuchs.

Auf den Sturm folgte eine Regenperiode, so andauernd, so hartnäckig, daß ich in förmliche Verzweiflung geriet.

Aber daran kehrte sich der Regen nicht. Nur mit um so hämischerer Schadenfreude gurgelte er tagaus tagein die Dachrinnen in dicken Strähnen herab, nur um so ärger schlug er gegen die Fensterscheiben. Schon waren es nur noch acht Tage bis Weihnachten, und wenn es noch lange so weiter ging, mußte mein schöner Plan rettungslos zunichte werden.

Da – endlich!

Eines Morgens erwache ich und siehe, das gräuliche Gegurgel draußen hat aufgehört. Ich gehe ans Fenster und sehe vergnügt, daß schöner klarer Frost eingetreten ist.

Und als ich des Mittags angesichts meines großen Vorhabens eine Stunde früher als gewöhnlich aus dem Bureau nach Hause komme, scheint die liebe Sonne so hell und freundlich in das Zimmer herein, als wolle sie mir frischen Mut und neues Hoffen in das zagende Herz senden.

 „Jetzt muß
Gehandelt werden, schleunig, eh die Glücks-
Gestalt mir wieder wegflieht überm Haupt,
Denn stets in Wandlung ist der Himmelsbogen“

sagte ich mit Wallenstein.

Und ich sollte Glück haben.

Meine kleine Frau war nicht zu Hause. Ich raffe also den Paletot meines Jungen, Hannas neuen roten Plüschmantel, Mütze, Gürtel, Kapotte, Gamaschen, Gummischuhe und was mir sonst noch in die Hände fällt, eilends zusammen und will die Kinder eben anziehen – da – nein, so ging es ja nicht!

Die Kinder hatten ihre ältesten Hauskleider an, die noch dazu die Spuren ihrer intimen Bekanntschaft mit Fußboden und Wänden sichtbar an sich trugen. Dazu waren sie nicht ordentlich gewaschen und gekämmt. So konnten sie unmöglich photographiert werden. Sie mußten umgezogen werden vom Kopf bis zu Fuß – es half nichts!

Aber wie sollte ich diesen Schritt, ein solches bei mir ganz ungewohntes Eingreifen in die Befugnisse meiner Frau rechtfertigen, ohne ihrem klugen Sinne sogleich mein ganzes Vorhaben zu enthüllen?

„Frisch ans Werk, mein Kopf!“ sprach ich mit Hamlet. Und da kam mir auch gleich ein Einfall.

Bei dem schönen Wetter würde es meine Frau schon eher begreiflich finden, wenn ich einmal allein mit den Kindern einen Besuch machen wollte. Sie hatte erst kürzlich geklagt, daß das Wetter zu schlecht sei, einen durchaus nötigen Besuch bei Tante Heim, der Patin von Hanna, zu machen, welche immer so freundlich gegen die Kinder war.


Mein schlaues Anerbieten, ihr diese Mühe abzunehmen, sobald es das Wetter erlaube, hatte freilich nicht das rechte Verständnis gefunden – doch brauchte ich das ja nicht bemerkt zu haben!

Ich klingelte also schleunigst dem Mädchen, damit sie die guten Sachen für die Kinder brächte und sie umzöge – so schnell als möglich, bevor meine Frau nach Hause kam.

Und siehe – ein wahrer Glücksstern schien heute endlich über meinen Entschlüssen zu schweben – da kam schon das Kindermädchen, bevor ich die Klingel nur angerührt, und als hätte sie meine geheimsten Gedanken erraten, trug sie das

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 821. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0821.jpg&oldid=- (Version vom 26.5.2023)