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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

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Zwischen Gräbern.

Novelle in Tagebuchblättern.
Von Ernst Wichert.

     (Schluß.)

Das ist aber doch zu arg!

Als ich heute auf den Friedhof kam, fand ich das neue Grab ausgehoben und die Erde zum Teil auf unsern jungen Rasenbelag geworfen. Er sah abscheulich aus. Die eine Seite war ganz verschüttet. Das braucht man sich doch nicht gefallen zu lassen! Ich beschwerte mich beim Inspektor. Es lasse sich nicht vorsichtiger verfahren, entschuldigte er achselzuckend. Der Raum zwischen den Gräbern sei zu enge, um die ausgehobene Erde aufnehmen zu können; da bleibe bei aller Sorglichkeit nichts übrig, als vorläufig die Nachbarhügel zu belasten. Morgen früh werde die Erde schon wieder zur Füllung der Grube gebraucht. Der Aufwurf sei auch so leicht, daß eine Beschädigung nicht gefürchtet werden dürfe. Und wenn sie doch unvermeidlich gewesen sei, so müsse eben der Gärtner nachbessern.

Hätte ich’s nur vorher gewußt! Ich würde wenigstens den Rasen mit einer Leinwand bedeckt haben. Der Anblick war so traurig, daß ich mich diesmal nur wenige Minuten aufhalten mochte.


Es hatte in der Nacht geregnet, und es regnete noch immer. Das gute Wetter scheint ein Ende haben zu sollen, der Herbst plötzlich hereinzubrechen.

Ach, diese Zerstörung! Da lag nun seitwärts der neue Grabhügel wie ein wüster Erdhaufen, ein einziger Palmenwedel darauf, und der schmale Gang zwischen den beiden Gedenkstätten war schmutzig von zertretenem Lehm, und nasse gelbe Lehmkluten oder Reste davon verunzierten den Rasen. Ich versuchte ihn zu reinigen, aber das gelang nur sehr unvollkommen. Die Spuren wird auch der Herbstregen nicht ganz abwaschen. Die Leute hätten wohl rücksichtsvoller verfahren können!

Ein einziger Palmenwedel mit Blumenagraffe auf dem Grabe. Wahrscheinlich vom Sohn niedergelegt. Hatte die Frau gar keine Freunde?


Es regnet weiter. Die Mutter ist noch krank und durfte auch bei so schlechtem Wetter nicht hinaus.

Ich war in der Dämmerstunde, wie immer, nach dem Friedhof gegangen, wollte aber schon kurz vor dem Ziel umkehren, da ich den langen Menschen zwischen den beiden Gräbern stehen sah. Ich hatte das Gefühl, als ob ich ihn stören müßte. Dann bedachte ich aber, daß er mich doch gar nichts anginge und solche Begegnungen unvermeidlich sein würden.

Ich trat also an des Vaters Grab. Er sah sich flüchtig nach mir um, grüßte aber nicht und nahm auch weiter keine Notiz von mir. Ein merkwürdiges Gesicht, knochig und eckig, aber nicht unschön, mit spärlichem, dunklem Bart um Mund und Kinn, die hohe Stirn unter dem zurückgeschobenen Hut frei. Ich hatte nur eine Sekunde zu diesen Beobachtungen Zeit.

Um ihm nicht in den Weg zu treten, hielt ich mich auf der andern Seite des Rasenhügels, so daß ich seinen Rücken sah. Er stand noch eine Weile mit gesenktem Kopf, die Hände in den Taschen. Er hatte zwar einen Schirm, hielt ihn aber ungeöffnet unter dem Arme und ließ sich vom Regen durchnässen, der von der Hutkrempe auf den Rücken tropfte und von seinen Schultern ablief, was er aber nicht zu bemerken schien.

Tann ging er auf dem nassen Pfade zwischen den Gräbern ein paarmal hin und her. Er murmelte dabei wieder etwas vor sich hin; ich glaube, er zählte halblaut die Schritte, obgleich er über vier nicht hinauskam. Die Schmalseite nahm er mit noch wenigeren, ich meinte eben zu hören: eins – zwei. Diese Ausmessung schien ihm denn doch noch nicht zu genügen. Nachdem er wieder einige Minuten sinnend stehen geblieben war, gebrauchte er den Schirm als Meßstab, indem er ihn in der Mitte faßte und gebückt abwechselnd mit der Spitze und Krücke in den nassen Lehm tauchte. Als er sich dann auf ihn stützen wollte, beschmutzte er natürlich seine Hand und war nun sichtlich in Verlegenheit, wie er sie reinigen sollte. Er suchte die hintere Rocktasche, aus der er wohl das Taschentuch nehmen wollte, hatte aber offenbar vergessen, daß er einen Ueberzieher trug, der geschlossen war, und schien gar nicht auf den Gedanken zu kommen, darunter im Rock zu suchen. Zuletzt gab er seine Bemühungen auf und hielt die Hand mit gespreizten Fingern vom Körper ab, wahrscheinlich um abzuwarten, bis der Lehm getrocknet sein würde. Eine Hand mit langen, schmalen Fingern.

Mich selbst prickelte es, ihm einen guten Rat zu geben. Aber ich war doch verständig genug, mich zurückzuhalten. Wer konnte wissen, wie er ihn aufnehmen würde? Und es schickte sich auch nicht für mich, eine Bekanntschaft anzuknüpfen. Ich wußte aber, daß meine Andacht heute gestört bleiben müßte. Ich entfernte mich daher bald. Ach, meine schönen einsamen Abendstunden – hoffentlich seid ihr nicht für immer eingebüßt!


Gestern war ich ungestört. Auf dem Erdhügel nebenan zeigten sich frische Blumen, Astern und Georginen, nicht zusammengebunden. Der Wind, der den Regen abgelöst hat, mochte einige davon hinabgefegt haben. Sie lagen auf dem feuchten Boden herum. Es ging mich nichts an, aber ich hob sie doch auf und fügte sie den andern bei. Es war mir ein zu trauriger Anblick.

Heute aber hatte ich kaum mein Sträußchen auf den Rasen gelegt und mit einem kleinen Pflock befestigt, als ich den langen Professor, Blumen in der Hand, mit eiligen Schritten nahen sah. Er blickte erst auf, als er nicht mehr weit von mir entfernt war, stutzte und machte kehrt. Offenbar war ich ihm so unangenehm, als er mir. Er verließ den Friedhof jedoch nicht, sondern ging den Hauptweg auf und ab und wurde von Zeit zu Zeit wieder hinter dem Gebüsch sichtbar. Sollte ich mich verdrängen lassen? Endlich schoß er heran und ohne aufzusehen an mir vorüber, legte die Blumen oder warf sie vielmehr zu den verwelkten und eilte wieder fort. Ein recht wunderlicher Herr!


Um dem Professor nicht zu begegnen, besuchte ich den Friedhof diesmal schon in der Mittagszeit. Da hatte ich mich aber verrechnet. Er stand mit dem Inspektor zusammen zwischen den Gräbern und machte mit den Armen Bewegungen nach der Breite und Höhe hin.

Der Inspektor grüßte mich freundlich. Nun blickte auch er zurück, betrachtete mich eine kleine Weile sehr eindringlich, hob nun auch zögernd die Hand nach dem Hut und entfernte ihn ein wenig von der hohen Stirn, ohne sich zu verbeugen. Dann setzte er das Gespräch mit dem Inspektor fort, wandte aber noch zweimal den Kopf nach mir, als ob er sich überzeugen wollte, ob ich wirklich die Unverschämtheit hätte, in der Nähe zu bleiben. Ich ließ mich so nicht vertreiben.

Er sprach leise, immer nur wenige Worte. Den Inspektor hörte ich sagen, das sei nun einmal Vorschrift und davon ließe sich nicht abgehen; so ein Grab müsse fest untermauert werden, mindestens zwei Meter tief; darauf könne dann die steinerne Bordschwelle gelegt und in sie das Gitter eingefügt werden.

Der Professor schien sich dann nach den Kosten zu erkundigen. Die „vorläufige“ Rechnung, die ihm gemacht wurde, kam mir erschreckend hoch vor. Ihm wohl auch. Das eiserne Gitter könne ganz nach Gefallen gewählt werden, meinte der Inspektor; man habe es von zwanzig Mark pro Meter bis zu hundert und mehr. „Hundert Meter und mehr –!“ wiederholte der Lange, den Kopf in die Schultern duckend, „ach – ach – ach! Und zwanzig Meter…“ Die Zahl war jedenfalls ganz unrichtig, wahrscheinlich um die Hälfte zu hoch; der Inspektor schien aber keine Neigung zu haben, ihn zu berichtigen, und machte ihm etwas ungeduldig den Vorschlag, sich eine schriftliche genaue Aufstellung geben zu lassen. Darum bat der Professor denn auch.

Die beiden Herren hatten sich schon in Bewegung gesetzt und entschwanden mir bald aus Gehörweite. Als ich nach einigen Minuten zwischen den beiden Gräbern hindurchging, bemerkte ich,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 826. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0826.jpg&oldid=- (Version vom 26.5.2023)